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In Linz geht man sich aus dem Weg

Notwendiger Integrationwille, heraus aus der Opferrolle: Schlagwörter, die oft fallen, wenn das Integrationsthema politisch aufgeheizt wird. daStandard.at hat einen Linzer mit kambodschanischen Wurzeln getroffen, der diesen Forderungen entspricht und sich trotzdem nicht zugehörig fühlt

Gottfried Chen und Lai Hor sind einander noch nie begegnet. Dazu sind ihre Wohnorte zu weit voneinander entfernt und ihre Lebenswege zu unterschiedlich. Der eine lebt in Baden bei Wien, der andere in Linz, Oberösterreich. Beide sind sie stolze Familienväter, haben die österreichische Identität, die sie als ihre eigene empfinden, aufgesaugt - so wie es sich Sebastian Kurz für alle Migranten nur wünschen würde.

Parallelen

Was Hor und Chen aber auf Anhieb zusammenführt, ist dieser Satz: "Im Grunde genommen wollte ich nach 40 Jahren als Österreicher nur sagen, dass ich mich, egal wie integriert ich bin und wie sehr ich mein Meidlinger 'L' trainiere, in meiner Heimat trotzdem nie ganz heimisch fühlen werde." So schrieb ein entrüsteter Gottfried Chen vor mehr als einem Jahr in einem Leserkommentar zum Thema Ausländerproblematik im STANDARD. Und Hor fühlte sich direkt angesprochen: "Ich wusste sofort, wovon er spricht", sagt der Oberösterreicher, in Linz geboren und aufgewachsen, mit kambodschanischen Wurzeln.

Zurückhaltend

Als unaufgeregt und zurückhaltend könnte man das Naturell des 28-Jährigen beschreiben. In seiner Arbeit in einem Elektrofachhandel in der Linzer Innenstadt funktioniert der Kontakt zu den Kunden "prächtig, reibungslos". Im Alltag abseits des Verkaufstresens begegnen ihm aber auch oft Ressentiments. "Viele gehen davon aus, dass ich kein Deutsch kann, wenn sie mit mir reden, dann ändert sich ihre Meinung wieder." Dann heißt es: "Bei dir ist es ja anders."

Direkte Konfrontation am Land

Die Vorurteile fallen in einer Stadt wie Linz, in einem Umfeld wie Oberösterreich viel direkter und rascher auf als in Wien, betont Hor. Dass die Reputation von Migranten in Oberösterreich allgemein angekratzt ist, liege zum einen an den reißerischen Schlagzeilen vieler Medien, zum anderen würde die Politik einen starken Beitrag zur Verunsachlichung der Debatte leisten, findet Hor. Die ohnehin kritische Materie würde sich somit auch im Gedanken vieler Menschen weiterhin verankern: "Viele Botschaften zum Thema werden auch unterbewusst aufgenommen, ohne dass man es merkt."

Nebeneinander

Das überschaubare Linzer-Stadtbild liefere die Beweise dazu, sagt Hor. Denn es gäbe keinen echten Austausch unter den Einwohnern, vielmehr sind es Lebenswelten, die nebeneinander existieren. Aus migrantischer Sicht geschieht dies, weil nicht wenige in Oberösterreich das Gefühl haben, dass ihnen erstmal Misstrauen entgegenschlägt, vermutet der 28-jährige. Insgesamt würden sich viele eher aus dem Weg gehen: "Dabei ist mir das persönlich vollkommen egal, ich bin weder bei der einen noch bei der anderen Gruppe, mir sind die menschlichen Kontakte wichtig."

Banalitäten aus dem Alltag

Der notwendige Integrationwille müsse vorhanden sein, Migranten raus aus der Opferrolle, dann gibt es keine Probleme. Das habe er so schon oft gehört. Dass aber auch er zu "den Anderen" dazugerechnet wird, kann er sich nachwievor nicht erklären: "Es ist schon ärgerlich, weil ich das "Land", aus dem man vermutet, dass ich komme bislang nur aus Erzählungen der Eltern kenne. Aber bei banalen Auseinandersetzungen bin ich trotzdem immer zuerst der Asiate und noch viel Schlimmeres."

Unauffällig

Hors oberösterreichischen Dialekt hört man in jedem Satz, seine Zurückhaltung hat er von seiner Familie und seinem Umfeld, wie er sagt: "Die Kambodschaner, die ich kenne, legen viel Wert darauf nicht aufzufallen und sich besonders anzupassen, deswegen haben viele sogar österreichische Vornamen angenommen oder sind zum Christentum konvertiert." Hors gesamte Familie - Bruder, Onkel, Tante und Cousine - leben größtenteils in Oberösterreich. Andere Familienmitglieder haben an der amerikanischen Ost- und Westküste sowie in der Schweiz Wurzeln geschlagen. Bald, vielleicht schon in diesem Jahr, möchte Hor Kambodscha, das Land seiner Eltern, besuchen. "Die andere Seite kennenlernen", wie er sagt. (Toumaj Khakpour, daStandard.at, 24.1.2014)

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