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Ein Jahr Biden: Von Corona und "Dorfkaiser" entmachtet

Ein Seufzer der Erleichterung ging vor genau einem Jahr durch die Welt. Joe Biden wurde zum US-Präsidenten angelobt und Donald Trump musste das Weiße Haus verlassen. Zum Jahrestag der Präsidentschaft Bidens analysiert die "Heute" die bisherige Amtszeit des Demokraten aus drei Blickwinkeln. Wir beginnen mit der innerpolitischen Bilanz des 46. US-Präsidenten.

Corona als Wahlentscheider, Corona als Stimmungskiller

Nur die Wenigsten hätten im Jänner 2020 damit gerechnet, dass Donald Trump eine zweite Amtszeit verweigert werden würde. Die Umfragen des Amtsinhabers waren stabil und die Demokraten verstrickten sich in innerpolitischen Streitereien. Wie so vieles brachte die Pandemie den Umschwung. Trumps Vorschlag einfach Desinfektionsmittel zu trinken, war im Gegensatz zur Impfung, ein Schuss, der nach hinten los ging.

Die Demokraten nutzten das katastrophale Pandemie-Management - Joe Biden versprach rasche Besserung unter seiner Regentschaft. Zusätzlich zu Corona wurde Trump ein weiterer Umstand, der aus den Folgen der Pandemie entstand zum Verhängnis. "Eine wirtschaftliche Rezension ist seit jeher die glaubwürdigste Variable, an der man ablesen kann, ob ein Präsident wieder gewählt wird oder nicht", weiß Reinhard Heinisch, Universitätsprofessor für Politikwissenschaften an der Universität Salzburg und selbst wahlberechtigt in den USA.

Trump war der erst zweite Präsident in den vergangenen 40 Jahren, dem (vorerst) eine zweite Amtszeit verwehrt wurde. Schuld daran war die desaströse Corona-Lage und der wirtschaftliche Niedergang, der zuerst mit einer nationalistischen "America first"-Politik, die zuerst ökonomische Freudensprünge bei der US-Wählerschaft auslöste.

Ein Jahr nachdem die genannten Indikatoren zur Abwahl Trumps führten, muss sich sein Nachfolger aber noch immer mit diesen Problemen herumschlagen. Während die Republikaner nahezu jede Freiheitsbeschränkung ablehnen und aus Protest gegen den demokratischen Präsidenten auf die Impfung verzichten, sorgt die Omikron-Welle für neue Rekordinfektionszahlen und ein Andauern der wirtschaftlichen Misere.

Vorsichtiger Kurs der Demokraten

Innerhalb der Partei hegt sich dennoch nur leiser Widerstand gegen Biden. Die Demokraten gelten als die vorsichtigeren Pandemie-Manager, da der Oppositionskurs derart harsch ist und jenen von rechtspopulistischen Kräften in Europa um nichts nachsteht, steht die Partei in diesem Punkt hinter ihrem Präsidenten.

Auf große parteiinterne Geschlossenheit wie beim Thema Corona kann Biden in anderen Themen hingegen nicht vertrauen. So werden zwei weitere zentrale Wahlversprechen des 79-Jährigen von einem Parteikollegen Bidens torpediert. 80 Prozent der schwarzen Bevölkerung votierte für Biden - die Community war bereits entscheidend für die Nominierung des ehemaligen Vizepräsidenten.

"Dorfkaiser" blockiert Prestigeprojekt

Ihnen hatte Biden nicht nur unter dem Gesichtspunkt der großen Black-Lives-Matter-Demonstrationen Verbesserungen der Lebenslage versprochen. Ein 2,5 Billionen Dollar schweres Infrastrukturpaket hätte dafür sorgen sollen. Der Konjunktiv dieser Zeilen sieht sich in der Blockade vom demokratischen Gouverneur Joe Manchin von West Virginia begründet.

„Manchin regiert als eine Art Dorfkaiser in einem sehr ländlich geprägten Bundesstaat, das stark Bergbau und dergleichen abhängig ist, für seine Region und seine Wählerschaft ist das Klimaprojekt Bidens das auch viele sozialpolitische Reformen mit sich bringen würden, schlicht nicht tragbar", so Heinisch im Gespräch mit der „Heute". Und so steckt der große zweite Teil des Infrastrukturprojekts noch immer im Kongress fest.

Experte: "Total schwacher Präsident"

Dort herrscht nämlich mit 50 Republikanern zu 50 Demokraten ein Unentschieden, würde Manchin jedoch seiner Partei folgen, könnte das Projekt auf den Weg gebracht werden - doch der 74-Jährige bleibt hartnäckig. Ein erster Erfolg ist dem Präsident jedoch gelungen. Schon im Sommer verabschiedete der Senat einen Teil des Pakets, der mit 550 Milliarden Dollar beziffert ist. Dieses Geld soll für Straßen, Brücken, Häfen, Flughäfen, den Nahverkehr und die Bahn eingesetzt werden.

Der Rückhalt in der eigenen Partei ist für Biden demnach nur bedingt gegeben - daran bestand jedoch in Wahrheit nie ein Zweifel. "Er ist ein total schwacher und unpopuläre Präsident in seiner Partei, er war aber der einzige, der Trump schlagen konnte", sagt Heinisch der „Heute". Anders als europäische Parteien sind die Demokraten von ihrem Profil sehr breit aufgestellt.

Umgelegt auf Österreich ist diese Breite so verstehen, als ob die Grazer KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr und ÖVP- Bundeskanzler Karl Nehammer in einer Partei wären. Auch die Nachwehen der schmerzhaften Niederlage 2016 von Hillary Clinton sorgten vier Jahre später dafür, dass sich die Partei letztlich geschlossen hinter dem, wie ein Partei-Anhänger sagt, „senilen, netten aber eben moderaten Opa" stellen konnte.

Um das oberste Ziel Donald Trump aus dem Weißen Haus zu befördern zu erreichen, war den Demokraten klar, dass es einen Kandidaten braucht, der auch in bürgerlichen Kreisen punkten konnte. Joe Biden war dieser Kandidat, ein moderater Verbinder zwischen den Linien mit keinen radikalen Umsturzplänen oder sozialpolitischen Träumereien wie sie etwa Bernie Sanders forderte.

Als "leicht senil aber sicher nicht böse" wurde Biden von Vertretern der eigenen Partei wahrgenommen. Die demokratische Partei sowie alle innenpolitischen Beobachter in den USA sind sich sicher: "Bidens Präsidentschaft ist nur geborgte Zeit". Die Blockade von Joe Manchin, die Pandemie sowie die Inflation lassen diese Zeit jedoch schneller verrinnen, als so manchen Demokraten lieb ist. Innerpolitisch war das erste Jahr von Bidens Präsidentschaft von desaströsen Krisen geprägt, auf die das Staatsoberhaupt nur wenig zu antworten wusste.

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