"Die Regelungen im Moment sehen ja so aus, dass man sehr viele Anträge schreibt, dafür sehr viel Zeit verwendet, die eigene Fassade pflegt und poliert, und versucht, den Kolleginnen und Kollegen zu gefallen. Also, es ist tatsächlich immer mehr eine PR-Veranstaltung in eigener Sache und ich dachte, wenn ich da professionell mitspiele, dann will ich das nicht auf die Weise machen" Professor Tilman Reitz, Jahrgang 74, spielt seit einem Jahr mit, als Soziologieprofessor an der Friedrich-Schiller-Uni in Jena.
Auf das Spiel mit der Exzellenz dagegen hat er keine Lust, er will nur ganz normal forschen. Reitz hat Hegel verstanden, er hat Marx gelesen, er hat zu Klassenverhältnissen und Bildung publiziert. Nun will er was verändern am deutschen Uni-System: Mit seiner Petition und dem Blog „Exzellenzkritik" möchte er die Förderpolitik neu diskutieren, die mit dem Wettkampf um Elite entstanden ist. Vor allem die Förderung von Forschungsprojekten, die für die vielversprechendsten Anträge vergeben wird. Seiner Meinung nach genau die falsche Logik: "Also es gibt ja noch die andere Möglichkeit, das heißt man haut da erstmal was raus, findet irgendein Publikationsorgan und dann schaut man, ob irgendwann, nach drei Jahren, nach fünf Jahren, nach einem halben Jahr die Leute sagen: 'Oh, das war aber ein guter Gedanke.'"
Bürokratie für die einen, Geld für die anderen
Im Moment kann Reitz nicht einfach mal was raushauen. Er muss Anträge schreiben, Formulare ausfüllen: "Du musst die ganze Zeit schon vorher sagen: Ich beabsichtige, folgendes zu beforschen, darf ich das denn? Sagt Ihr, meine Fachkolleginnen und -kollegen: Ich bin jetzt dazu befugt?" Ohne bewilligten Forschungsantrag kein Geld. Und ohne Geld keine Mitarbeiterstellen, keine aufwändigen Forschungsinstrumente, keine Bücher. Es sei denn, man forscht an einer Exzellenz-Uni. Die bekommen einiges an Geld, das anderen Unis verwehrt bleibt. Der Soziologe Reiner Keller lehrt an der Uni Augsburg, im Schatten der Münchner Exzellenz: "Auf der Ebene der Lehre, was die Bibliotheksausstattung angeht, welche Bücher wir kaufen können, welche Gesamtpakete von Verlagen wir kaufen können, was wir über Fernleihe beziehen können, also das nicht vergleichbar mit dem, was an der LMU stattfindet."
Auch Keller hat unterschrieben bei der Anti-Exzellenz-Petition. Der Wissenschaftler ist weltweit bekannt für seine selbst entwickelte soziologische Analysemethode. Fachkollegen würden seine Forschung als exzellent beschreiben. Doch um seine internationale Anerkennung zu vergrößern, müsste er seine Bücher übersetzen lassen und im Ausland forschen können - dazu fehlt seinem Institut aber das Geld. Zum Beispiel, wenn GastwissenschaftlerInnen eingeladen werden sollen: "Ich habe einmal das probiert mit einer Kollegin, deren Flug sehr teuer gewesen wäre - aus den USA. Es ist eine mehrfach ausgezeichnete Sozialwissenschaftlerin, eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Die Uni Augsburg hatte nicht die Mittel, um das zu finanzieren. Während die Kollegin aus der Exzellenzuniversität sagen konnte: 'Kein Problem. Wir haben dafür die Etats.'"
Das deutsche Uni-System droht zu einem Zweiklassen-System zu werden, befürchten die Gegner des Exzellenz-Prinzips. Wenige Elite-Unis stünden dann vielen Provinz-Unis gegenüber. Eine von gegenwärtig elf Elite-Hochschulen ist die TU in München. Deren Präsident Wolfgang Herrmann verteidigt das Exzellenz-System.
"Es wird mit Sicherheit zu einer Differenzierung der Hochschullandschaft kommen. Das heißt, Hochschulen, die auf bestimmten Gebieten ihre Schwerpunkte setzen, und dort, sagen wir mal, den Ehrgeiz haben, Weltmeister zu werden - und es vielleicht auch in einigen Gebieten schon sind. An anderen Hochschulen wird man wahrscheinlich auf neue Lehr- und Lernmethoden setzen. Das heißt, der Einheitsbrei wird sich strukturieren zu einem differenzierten Hochschulsystem. Das ist der Wunsch und die Erwartung, die ich hätte. Solche Entwicklungen dauern natürlich lange, aber sie sind durch die Exzellenzinitiative - und das mit vergleichsweise wenig Geld - gut angelegt und auf den Weg gebracht."
"Die Studenten wissen gar nicht, was sie verpassen"
Nicht alle Professoren von Elite-Unis teilen Hermmans Haltung. Der Münchner Germanist Clemens Pornschlegel argumentiert sozusagen gegen seine Interessen: "Diese Exzellenz-Forschung hat ja - das trägt der Name ja schon in sich - ein bisschen die Tendenz zur Exklusivität, zum Sich-Abschotten. Für diejenigen, die drin sind, ist es sehr schön. Und für diejenigen, die draußen sind, ist es so, dass sie nicht einmal wissen, woraus sie draußen sind. Und das finde ich bedauerlich für die Studenten. Das heißt, manchmal denke ich, die Studenten wissen eigentlich gar nicht, was sie verpassen."
Studierende haben von der Exzellenz-Initiative bisher noch sehr wenig gehabt. Wer an der Münchner LMU studiert, weiß das: Auch an der Elite-Uni sparen sich Professoren Korrekturarbeit, indem sie auf Multiple-Choice-Klausuren umstellen, auch hier klagen Studierende über Platzmangel. Förderung von Lehre bei Bachelor und Master stand bisher nicht im Exzellenz-Programm. Die Exzellenz-Befürworter wollen deutsche Top-Unis in eine Liga mit den britischen oder amerikanischen Elite-Unis bringen. Ein deutsches Harvard hält Pornschlegel aber in naher Zukunft für eher unwahrscheinlich: "Also, wenn Sie das vergleichen mit London School of Economics, dann haben sie dort andere Betreuungsrelationen. Auch in Princeton oder in Harvard. Und wir kopieren hier schlecht ein System, das mit der Geschichte der deutschen Universität nicht kompatibel ist."