Ein Radiobeitrag von Tobias Hausdorf für rbb kultur
Ihr Blick ist durchdringend, doch die junge Frau auf dem Foto blickt nicht allein. Ein Pfau vor ihr ersetzt die eine Gesichtshälfte. Tier und Mensch verschmelzen. Sein Auge wird ihr Auge und gemeinsam schauen sie in die Kamera von Ren Hang. Das Gefieder des Pfaus leuchtet, weil Hang mit hartem Blitz fotografierte.
In der neuen Ausstellung »Love, Ren Hang« im C/O Berlin ist das Bild gleich zweimal zu sehen: auf über zwei Meter vergrößert, bedeckt es eine Wand im letzten Raum. Der Blick muss hierauf fallen, wie auf das Ende eines Tunnels. Das kleinere Original hängt links.
Körperlichkeit, dazu Tiere und auch Pflanzen als Requisiten – das ist charakteristisch für Ren Hang. »Bei Ren Hang sieht man eben, wie unterschiedlich er mit Körper umgeht«, Felix Hoffmann, der Kurator führt durch die Ausstellung, »einerseits performt er mit den Modellen vor der Kamera, dann verwandelt er die Körper in grafische Strukturen, dann spielt er mit Tieren, manchmal weiß man gar nicht, sind diese Tiere ausgestopft oder leben die noch? Also man ist immer in unterschiedlichen Gefühlsbädern und das macht auch dieses Werk so reichhaltig, weil man in diesem Überblick sehen kann, in diesen paar Jahren, was ist da eigentlich entstanden?«
Ren Hang fotografierte vor allem nackte Männer und Frauen. Hang, 1987 geboren, sagte einst: »Ich will nicht, dass andere denken, die Menschen in China seien Roboter ohne Schwanz und Muschi«. Nacktheit spielt in fast allen seinen Bildern eine Rolle. Das ist keineswegs pornografisch: Hang inszeniert ganze Körperskulpturen und bildet so Neues.
An einer roten Wand hängen zwei Fotos. Sie sehen für einen kurzen Moment aus, wie Landschaften von Salvador Dalí. Nur ohne verfließende Gegenstände. Doch das sind Körper, nebeneinandergereiht. Hinterteile und Venushügel bilden die Landschaft.
Bei Felix Hoffmann lösen die Fotos Verschiedenes aus: »Manchmal Ratlosigkeit, manche machen mich total glücklich, weil sie so humorvoll sind. Es gibt Bilder, die einen in ganz unterschiedliche Gefühlszusammenhänge bringen und das schätze ich an Ren Hang sehr.«
Andere Fotografien sind ähnlich surreal, aber eindeutiger. Sie haben grafische Qualität. Wenn fünf Frauen mit pechschwarzen Haaren und roten Lippenstift im Kreis liegen, Kopf an Kopf und die Arme verschränkt, dann sieht das wie ein Muster oder Ornament aus.
Die Modelle, oft waren das Freunde, machen absurd anmutende Verrenkungen. Hang machte die gewünschten Posen vor, die sie nachahmen sollten. »Ren Hang muss jemand gewesen sein, der auch mit seinen Modellen sehr empathisch agiert hat. Da gab es eine sehr große emotionale Nähe«, sagt Hoffmann.
Mit einer analogen Kleinbildkamera fing Ren Hang die Sehnsucht, Angst und Einsamkeit einer Generation in China ein. Trotz Zensur. Seine Farbfotos zeigen Verletzlichkeit und explizit Sexualität. Was in Berlin längst nicht mehr schockt, ist in China Provokation. Wegen des Vorwurfs der Pornografie wurde Hang verhaftet. Werke von ihm sind gar beschädigt, bespuckt und beschlagnahmt worden. Die Repressalien des chinesischen Staates machten ihm zu schaffen.
Doch nicht nur die belasteten den jungen Künstler. Ren Hang litt lange an einer schweren Depression, die er auch in einem Blog verarbeitete. Gedichte von ihm sind in die Ausstellung eingewoben. »Uns ist es eben wichtig, klar zu machen, das ist nicht nur eine humorvolle, lockere, nette Auseinandersetzung mit seinem Freundeskreis, wo ein bisschen Heitatei vor der Kamera performt wird, sondern das hat auch einen tieferen Grund.« Im Alter von nur 29 Jahren nahm sich Ren Hang das Leben.
Für Felix Hoffmann fiel die Entscheidung für eine Ausstellung mit dem Tod des Künstlers 2017. Doch mit dem Nachlass eines so jung Verstorbenen umzugehen, sei nicht so einfach gewesen. Nicht alle Rechte seien geklärt. Für die Retrospektive hat er etwa 160 Fotografien zusammengetragen.
Nackte Menschen drapiert mit Schwänen, Schlangen, Äpfeln, Kirschen oder Tulpen – keines der Fotos von Ren Hang trägt einen Titel, doch es sind Bilder, die man nicht vergisst. Und den Künstler somit auch nicht.