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Ärztliche Prüfung: Das Stex im Wandel

Foto: Luca Pierro/stocksy

In diesem Jahr hat das IMPP einige Neuerungen im zweiten Staatsexamen (Stex) eingeführt, die es in Zukunft ausbauen will: Key-Feature-Fragen, Fragen zu Wissenschaftskompetenz und mehr Fallbeispiele sollen Medizinstudierende besser auf die Klinik vorbereiten. Wie gut die neuen Fragen funktionieren und wie sinnvoll sie sind, wird diskutiert.

Es war durchwachsen. Es gab einige Fragen, die ich sehr schwer fand, andere Fragen waren gut zu beantworten. Besonders schwierig war der dritte Tag", resümiert Medizinstudentin Jenny ihr in diesem Frühjahr bestandenes Zweites Staatsexamen. Sie ist zufrieden mit dem Ergebnis. Dabei war Jenny - so wie etwa 5 000 andere Studierende - Teil eines Experiments: Das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) hatte nämlich einige Änderungen an den Fragen vorgenommen.

Dies ist zwar grundsätzlich nichts Neues, doch in diesem April waren die Änderungen beim Zweiten Staatsexamen besonders weitreichend: Eine größere Anzahl an Fällen, mehr Wissenschaftskompetenz und Key-Feature-Fragen sollen nach Ansicht des IMPP den ärztlichen Nachwuchs auf den Alltag als Ärztin oder Arzt trainieren. Ist das Experiment geglückt? Ja, meint Prof. Dr. med. Jana Jünger, Direktorin des Instituts: Es hätte keine Veränderung im Erfolg der Studierenden trotz der neuen Fragen gegeben. „Jede Änderung führen wir langsam ein. Es werden nie mehr als zehn Prozent der Fragen von der inhaltlichen Ausrichtung her grundlegend verändert. Das gibt der Lehre in den Fakultäten und den Studierenden Zeit, sich daran anzupassen."

In ihrem Büro in der Mainzer Innenstadt erinnert sich Jünger an ihr eigenes Staatsexamen. „Ich habe mich damals furchtbar aufgeregt über die Fragen. Natürlich war das IMPP für mich als Studentin eine Institution. 2006 als Medizindidaktikerin wollte ich es dann abschaffen, weil die Fragen und die Reformen an fast allen deutschen Fakultäten nicht zusammenpassten", erklärt sie. Doch es kam anders: Jünger wurde 2016 Direktorin des IMPP, das nicht nur für Medizinstudierende, sondern auch für Pharmazeutinnen und Pharmazeuten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Abschlussprüfungen erstellt und auswertet. Jetzt arbeitet die Fachärztin für Innere Medizin selbst daran, die Staatsexamina zu verbessern - zum Beispiel mit Key-Feature-Fragen.

„Die Key-Feature-Fragen sollen auf Schlüsselprobleme abzielen: Erkenne ich im EKG den STEMI (ST-elevation myocardial infarction, Anm. d. Red.) und weiß ich, was darauf diagnostisch und therapeutisch zu tun ist? Das ist für die zukünftigen Ärzte wichtig zu wissen." Die Vorbereitung darauf solle vor allem im Unterricht am Krankenbett stattfinden, meint die Direktorin und fordert von den Fakultäten, die klinische Entscheidungsfindung ihrer Studierenden mehr zu stärken.

Dass Key-Feature-Fragen sinnvoll seien, bestätigt auch Prof. Dr. med. Martin Fischer, Leiter des Instituts für Ausbildungsforschung in der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Bei den Key-Feature-Fragen wird klinisches Handlungswissen zum Lösen von Fällen in mehreren Schritten abgefragt. Es zeigt sich in der medizindidaktischen Forschung, dass dieses Handlungswissen für die zukünftigen Ärzte sehr wertvoll und praxisrelevant ist. Allerdings bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Einzelfragen, die das IMPP als Key-Feature-Fragen ausweist, noch nicht das Potenzial von Key-Feature-Fällen ausschöpft."

Key-Feature-Fragen sollen aus Sicht des Münchners idealerweise drei voneinander abhängige Fragen sein. Die Antwort auf die erste Frage solle Einfluss auf die folgenden Fragen und Antwortmöglichkeiten haben - und das funktioniere nur computergestützt.

Zurzeit laufen die Prüfungen noch papiergebunden - langfristig möchte das IMPP die Examina aber digitalisieren und so eine tatsächliche Verknüpfungen zwischen einzelnen Fragen ermöglichen. Auch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) e.V. befürwortet eine Digitalisierung der Abschlussprüfungen. Allerdings warnt Jill Weigelt, Bundeskoordinatorin für medizinische Ausbildung der bvmd, vor der Verknüpfung von Fragen: „Ich finde es schwierig, wenn mehrere Fragen sich aufeinander beziehen, da dies Fehlerverkettungen begünstigt. Das führt manche Studierende in die Irre." Im Klinikalltag könne man einen Kollegen oder die Oberärztin fragen. Beim Examen sei man hingegen auf sich gestellt. „Wenn es verkettete Fragen gibt, sollten diese nur die absoluten Basics abdecken", so Weigelt.

Jenny teilt ihre Sorge. Insgesamt gefiel ihr der neue Fragetyp bei der Prüfung im April jedoch. „Grundsätzlich fand ich es gut, dass mir die Key-Feature-Fragen auch klinische Entscheidungskompetenz abverlangt haben. Allerdings denke ich, dass ich das im Praktischen Jahr besser trainieren kann als beim Kreuzen für das Staatsexamen." Auch die zweite Änderung traf bei Jenny auf Sympathie: Mehr Fälle bei gleichbleibender Anzahl der Fallfragen. „Das war gut - dadurch wurden mehr Themen abgefragt. So konnte man Themen, in denen man nicht so gut war, ausgleichen."

IMPP-Direktorin Jünger waren die bisherigen 15 Fragen pro Fall ebenfalls ein Dorn im Auge: „Zu seltenen Erkrankungen 15 Fragen zu stellen, fokussiert viel zu stark auf Einzelaspekte und ist didaktisch nicht sinnvoll. Es ist viel besser, dass wir jetzt pro Fall nur noch drei bis fünf Fragen stellen." So könne die Prüfung ein deutlich breiteres Themenspektrum abdecken. Ein Themenbereich, der künftig ebenfalls fallbasiert abgefragt werden könne, sei die Wissenschaftskompetenz, erklärt Prof. Jünger. „Das Schwierige an der Wissenschaftskompetenz ist, dass diese in der Lehre bisher leider gar nicht klinisch verknüpft wird. Es gibt zwar Kurse in Biometrie und Statistik an den Fakultäten, aber bisher ist das sehr selten mit der klinischen Lehre verknüpft. Viel sinnvoller wäre es, integriert in die klinische Lehre an konkreten Fragestellungen zu Patientenfällen zu lernen."

In der April-Prüfung führte das IMPP erstmals explizit Fragen zur Wissenschaftskompetenz ein. In Zukunft sollen diese Fragen häufiger in den Examen auftauchen. Die bvmd befürwortet das, hat aber Zweifel, ob Multiple-Choice-Fragen (MC) dafür der richtige Fragentyp sind: „Ich glaube, es ist gut, Wissenschaftskompetenz im Zweiten Staatsexamen abzufragen. Allerdings gibt es neben den MC-Fragen noch andere Fragentypen, die geeigneter wären, Wissenschaftskompetenz zu testen", so Bundeskoordinatorin Weigelt.

Medizindidaktiker Fischer sieht die Fakultäten in der Verantwortung und erkennt Schwierigkeiten beim etablierten Fragetyp: „Wissenschaftskompetenz ist unerlässlich in der Ausbildung von allen Ärzten. Allerdings ist Wissenschaftskompetenz mehr als nur Statistik - zum Beispiel ist eine abwägende Bewertung verschiedener Studien nach Literaturrecherche zur Begründung einer schwierigen Entscheidung mit MC-Fragen kaum umzusetzen. Das müssten die Fakultäten versuchen auszugleichen."

Und wie erging es Prüfungskandidatin Jenny? Diese muss eingestehen: „Die neu abgefragte Wissenschaftskompetenz ist mir - ehrlich gesagt - gar nicht aufgefallen." Sie sei nur froh, dass sie das Examen endlich hinter sich hat. Für das folgende Examen sind die Fragen schon längst festgelegt, aber jüngere Semester können sich auf weitere Änderungen einstellen. Mit der Richtung der aktuellen Änderungen sind allerdings sowohl die Studierendenvertreterinnen als auch Fischer einverstanden. Der Münchner hat aber weitergehende Vorschläge: „Ich glaube, dass man noch einmal darüber nachdenken müsste, wie man klinische und vorklinische Inhalte stärker im Examen verzahnt und den Studierenden mehr Feedback zu ihrer Prüfungsleistung gibt."

Hier rennt er offene Türen bei der IMPP-Chefin ein. Mit Nachdruck erläutert Jünger ihre Weiterentwicklungspläne: „Feedback ist eine der stärksten lernsteuernden Faktoren. Wir möchten in Zukunft den Studierenden eine organ- und fachbezogene Rückmeldung zu den Ergebnissen im Staatsexamen geben, denn danach geht es ja weiter in der Klinik." Und beinahe ungeduldig fügt die Direktorin hinzu: „Allerdings brauchen wir noch ein bisschen Zeit, bis wir das implementiert haben." ■

Beispiel einer Key-Feature-Frage

Herr M., 39 Jahre, Landmaschinenmechaniker in einem großen landwirtschaftlichen Betrieb, stellt sich während der Erntezeit mit einem Hautausschlag bei seiner Hausärztin vor. Der habe vor einer Woche an einer Stelle links am Bauch begonnen und sich nach einigen Tagen über den Stamm weiter ausgebreitet. Da der Ausschlag nicht juckt und auch sonst keine Beschwerden bestehen, stellt der Patient sich erst auf Druck seiner Frau vor. Wegen mehrerer Gichtanfälle nimmt er seit etwa 5 Jahren Allopurinol 300 mg einmal täglich ein. Alle Impfungen sind aktuell. Bei der Patientenuntersuchung zeigen sich die auf der Abbildung dargestellten Hautveränderungen sowie linksseitig am Abdomen eine deutlich größere erythematöse Plaque mit peripherer Schuppenkrause.

Welche der folgenden Diagnosen ist in diesem Fall am wahrscheinlichsten?

○ A) Tinea corporis

○ B) Porphyria cutanea tarda

○ C) Pityriasis versicolor punctata

○ D) Pityriasis rosea

○ E) Erythema migrans

Was ist die geeignetste diagnostische Maßnahme, um die wahrscheinlichste Verdachtsdiagnose zu erhärten?

○ A) Blickdiagnose ausreichend

○ B) Pilznachweis aus Hautschuppen

○ C) Borrelien-Serologie

○ D) Urinuntersuchung

○ E) Bestimmung von Gesamt-IgE und allergenspezifischem IgE i. S.

Was ist das am ehesten indizierte weitere Vorgehen?

○ A) Beratung und Abwarten

○ B) Behandlung durch Wärmeeinwirkung in der Sauna

○ C) Verordnung einer Calcipotriol-Creme

○ D) Verordnung einer Clotrimazol-Creme

○ E) Verordnung von Amoxicillin für 10 Tage

Beispiel einer Frage zur Wissenschaftskompetenz aus dem Examen vom April 2018

Ihr Krankenhaus nutzt ein neues Antikoagulans bei Patienten mit Vorhofflimmern und einem hohen Schlaganfallrisiko. Für die Aufklärung der Patientinnen und Patienten über Nutzen und Risiken verschiedener potenzieller Antikoagulanzien möchten Sie Erfolgskriterien nutzen, die den Patientinnen und Patienten anschaulich einen Vergleich des Nutzens und Risikos der verschiedenen Medikamente ermöglicht.

Welches Maß ist am ehesten dazu geeignet, den Nutzen der verschiedenen Antikoagulanzien zu vergleichen?

○ A) Die Prävalenz von Nebenwirkungen bei den verschiedenen Medikamenten

○ B) Die absolute Risikoreduktion

○ C) Die Rate an falsch positiven Komplikationen bei den verschiedenen Medikamenten

○ D) Die Inzidenz von Schlaganfällen in der Plazebogruppe

○ E) Das attributable Risiko der verschiedenen Medikamente

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