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Unternehmensberater auf dem Land: Poker im Provinznest


In die Wüste geschickt. Hendrik Lamers, 30 Jahre, ist das buchstäblich passiert. Und er ist darüber sogar froh. Lamers arbeitet seit drei Jahren für die Unternehmensberatung Booz & Company. Er hatte vorher in Barcelona studiert, den Karriereeinstieg bei einem Weltkonzern gemacht. Und dann kam er im vergangenen Jahr plötzlich in ein Projekt nach Riad, Saudi-Arabien, „ein Ort, über den ich außer dem Namen und seiner geographischen Lage nichts wusste", erinnert sich Lamers. Für den Consultant eine neue Erfahrung: Viel Arbeit - aber keine gewohnten Freizeitmöglichkeiten. Sport machte er auf dem Hotelparkplatz. Es gab keine Kinos, keine Bars, keine Restaurants, wie wir sie kennen. Doch Lamers sagt, er habe all das nicht vermisst. Höhepunkt war ein Wüstentrip. Vielmehr, er habe ein erstaunliches Erlebnis gehabt, nämlich einen intensiven Austausch unter den Kollegen aus verschiedenen Ländern aus Europa und dem Nahen Osten, eine echte Lebenserfahrung. „Ich habe erlebt, wie unterschiedlich es auf der Welt zugeht", sagt Lamers.

Unternehmensberater: Das klingt nach Karriere, Jetset, Prestige, nach Konzernen, Metropolen, Luxushotels und Sternerestaurants. Allerdings besteht die Welt nicht nur aus Großkonzernen in Millionenstädten mit Oper und Clubszene. Sondern eben auch aus Mittelstand im Mittelland und „Hidden Champions" am Hintern der Heide. Wer mit diesem Beruf liebäugelt, sollte darauf vorbereitet sein. Denn er kann viel Arbeits- und auch Freizeit an Orten bedeuten, von denen man vor dem Projektstart nicht einmal etwas geahnt hätte.

Genussvoll berichtet Nicolai Andersen, 39 Jahre, vom Blick aus dem Büro beim Kunden der Beratungssparte von Deloitte: Andersen sitzt in den Alpen, schaut auf schneebedeckte Berge. Bald will er mit den Kollegen Snowtube fahren. Es lässt sich also aushalten in der Provinz. Doch Deloitte-Partner Andersen weiß, dass viele Consultants mit solchen Jobs erst mal zurechtzukommen lernen müssen. „Ich selbst musste mich als frischer Berater erst mal daran gewöhnen, dass viele Projekte an kleinen, eher unspektakulären Orten anstanden", erinnert sich Andersen, seit 15 Jahren in diesem Beruf tätig.

Nicht nur im Hotel essen

Eine besondere Gefahr lauere in dem „Pauschalurlaubs-Gefühl", glaubt Andersen. Das drohe, wenn ein Berater dem Einsatz in Hintertupfingen wie folgt begegne: organisierte Anreise, Einchecken, zum Kunden, ins Hotel und dort ins Restaurant mit internationaler Speisekarte, ins Bett, das viermal die Woche mit denselben Leuten - und dann wieder organisierte Abreise. „Es ist wichtig, dass man Abwechslung hat, nicht nur im Hotel isst, die Orte kennenlernt, an denen man arbeitet", findet der Wirtschaftsingenieur. Andersen ist als Partner verantwortlich für den Projekterfolg. Er weiß, dass es etliche Jungberater gibt, die von der Business-Schule kommen und am liebsten nur in Fünfsternehotels übernachten wollen. Doch gelinge es schnell, diese Leute auf andere Gedanken zu bringen, sagt er. Wichtig dabei: Die jeweilige Projektleitung müsse die Freizeitgestaltung am Einsatzort zum Thema machen, zu Abwechslung ermutigen, zur Mitgestaltung auffordern.

So macht es beispielsweise Benjamin Weiss, 28 Jahre, Consultant bei der Beratung Accenture und seit mittlerweile drei Jahren in Bonn eingesetzt. Weiss sagt: „Für mich persönlich ist es nicht so wichtig, wo mein Einsatz ist, sondern wer der Kunde ist." Dafür, dass die Motivation im Projektteam stimmt, setzt sich Weiss ein. Als Teil eines zehnköpfigen „Action Teams" verschickt er alle zwei Wochen einen Newsletter an die Kollegen, die in Bonn gemeinsam die Freizeit verbringen. Es gibt Abwechslung mit Stammtischen und Sport - gemeinsame Zeit zum Abschalten. Ob Bonn nun Provinz ist oder nicht - das ist eine brisante Frage. Doch Weiss hat persönlich erlebt, wie viele angestaubte Hotels es in der ehemaligen Bundeshauptstadt gibt. Inzwischen hat er jedoch ein Stammhotel gefunden und fühlt sich dort wohl. „Jeder weiß hier, dass ich zum Frühstück keinen Kaffee trinke."

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