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Federico Chiesa: Italiens größte Hoffnung

Die U21-Auswahl Italiens träumt vom ersten EM-Titel seit 15 Jahren. Dabei helfen sollen sechs Spieler, die schon für die A-Elf gespielt haben. So wie Federico Chiesa, der beim 3:1 gegen Spanien auftrumpfte.


Als Federico Chiesa die Mixed Zone betrat, war mehr als eine Stunde vergangen seit dem Abpfiff. Und doch war Italiens neuer Fußballheld eigentlich noch zu früh dran. Keine 50 Meter entfernt saß nämlich Italiens U21-Nationaltrainer Luigi Di Biagio in einem Container und wartete darauf, dass seine Analyse im Rahmen der Pressekonferenz für die wenigen des Italienischen nicht mächtigen Journalisten übersetzt würde.


Während Di Biagio also in die Runde blickte, als wolle er ganz sichergehen, dass seine Worte auch angekommen seien, war es um ihn herum vorbei mit der Ruhe. Ein Journalist stand auf, ein zweiter folgte, gar ein dritter - es galt, Chiesa zu huldigen, dem Mann, der mit seinen zwei Toren für den 3:1-Auftakterfolg gegen Spanien bei der U21-EM gesorgt und ein famoses Spiel gezeigt hatte.


Nun ist huldigen ein großes Wort, eines, das nicht passt zu einem Sport wie Fußball. Doch kann man das, was an diesem Abend passierte, kaum anders benennen.


"Un santo" - ein Heiliger

Im Container übersetzte der Übersetzer gegen die Unruhe an, draußen stand Chiesa, frisch geduscht, die Gucci-Tasche unter den Arm geklemmt, und sah aus, als wisse er auch nicht genau, was er hier sollte. Ein Journalist trat vor, um Chiesa beflissen die Hand zu schütteln. Handys wurden gezückt und Selfies geschossen und einer sagte leise etwas, das verdächtig nach "Un santo", ein Heiliger, klang.


Als kurz darauf die Pressekonferenz mit dem Trainer Di Biagio beendet war und Chiesa um ein Statement gebeten wurde, sagte er: "Nicht ich habe das Spiel mit meinen Toren gedreht, das waren wir als Mannschaft."


Womöglich hatte sich schon weit vor dem Anpfiff angedeutet, dass dieser Abend kein ganz normaler werden würde. Das Stadionheft zeigte ein Foto von Chiesa auf der Titelseite, von wem auch sonst; darunter die Zeile: "Träume groß." Und träumen, das tun sie gerade in Italien, das gemeinsam mit San Marino die U21-EM ausrichtet. 


Fünf Mal gewann Italien bereits eine Europameisterschaft, der letzte Titel liegt aber bereits 15 Jahre zurück. Vielleicht hat der italienische Verband deshalb entschieden, gleich sechs Spieler, die zuletzt im Kader der A-Nationalmannschaft gestanden hatten, für dieses Turnier in die U21 abzuordnen.


Abwehrmann Gianluca Mancini von Atalanta Bergamo hat erst ein A-Länderspiel absolviert, er ist der Unbekannteste aus diesem Sextett. Nicolò Barella (Cagliari) hat in fünf der letzten sieben A-Länderspiele 90 Minuten gespielt, Stürmer Moise Kean von Juventus Turin in drei Länderspielen zwei Tore erzielt, Lorenzo Pellegrini (AS Rom) immerhin schon zehnmal für die Squadra Azzurra gespielt. Und dann ist da noch Nicolò Zaniolo, ebenfalls von der Roma, 19, und so etwas wie das italienische Pendant zum deutschen Shootingstar Kai Havertz. Fehlt noch einer, der erfahrenste Rückkehrer: Federico Chiesa, 21 Jahre alt, Offensivspieler bei der AC Florenz, 13 A-Länderspiele.


Geschätzter Marktwert: 60 Millionen Euro

Chiesa gilt in Italien als großes, vielleicht als das größte Talent. In der abgelaufenen Saison mit Florenz erzielte der Sohn des früheren Nationalspielers Enrico Chiesa in 37 Ligaspielen sechs Treffer und bereitete sieben Tore vor. Er ist sehr schnell, kann rechts und links spielen. Sein geschätzter Marktwert liegt aktuell bei 60 Millionen Euro. Luca Toni, der ehemalige Nationalstürmer, nannte Chiesa kürzlich den besten jungen Spieler seines Heimatlandes. Zahlreiche Klubs sollen an einer Verpflichtung interessiert sein - auch der FC Bayern wurde genannt.


Doch im Spiel gegen die Spanier sah man von Chiesa und den fünf anderen neuen Helden zunächst wenig - tolle Angriffe zeigten vor allem die Gegner. Chiesa, Zaniolo und Kean, die Seite an Seite stürmten, sahen ratlos aus. Die Fans der Italiener aber ließen sich davon nicht beirren, sie initiierten "Italia-Italia"-Wechselgesänge und schwenkten ihre Papierfähnchen in den Landesfarben.


Es hätte schon in diesem Moment der Beginn einer wundervollen Party werden können, doch Italiens Spieler spielten, als wäre ihnen mehr so nach Fernsehabend und Kräutertee. Spätestens als Spaniens Dani Ceballos, auch er schon mit acht A-Länderspielen, mit einem traumhaften Schlenzer die Führung erzielte, schien auch der italienische Anhang nörgelig zu werden (9.).


Vorgezogenes Endspiel

Im Vorfeld war oft davon gesprochen worden, dass dieses Spiel eigentlich auch die Endspielpaarung hätte sein können; dass es aber zumindest eines von enormer Wichtigkeit war: Nur die drei Gruppenersten ziehen ins Halbfinale ein und der beste Gruppenzweite. Eine Niederlage zum Auftakt, und der Traum vom Titel hätte schnell Züge eines Albtraums angenommen.


Dass die Italiener weiterträumen dürfen, lag dann vor allem an zwei Aktionen von Chiesa, in denen man die Bandbreite seines Könnens bewundern durfte. Der 1:1-Ausgleich fiel nach einem wunderbaren Pass von Barella, Chiesa nahm den Ball aus der Luft. Dann sprintete er die linke Seite hinunter, Gegenspieler Martin Aguirregabiria kam nicht hinterher, und Spaniens Keeper Unai Simón konnte nicht verhindern, dass der Ball im kurzen Eck landete (36.).


Vor dem 2:1 landete ein missglückter Schussversuch vor den Füßen von Chiesa, der nur noch einzuschieben brauchte (64.). Den dritten Treffer für Italien erzielte dann Pellegrini per Foulelfmeter, auch er einer aus dem neuen, alten Sextett.


Als Spaniens Trainer Luis de la Fuente darauf angesprochen wurde, dass seine Mannschaft in diesem so wichtigen Spiel den Sieg leichtfertig verspielt habe, sagte er: "Nach dem Ausgleich hat Italien gezeigt, was für ein tolles Team es ist und welch wunderbare Spieler es hat."

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