Am Sonntag, den 2. August 2015, am ersten Spieltag der schottischen Liga, empfing Dundee United den FC Aberdeen. Die Fans sehnten dieses Derby herbei, fast 11.000 kamen in den Tannadice Park. Sie alle sahen einen neuen Mann im Tor von Dundee United: Luis Zwick, ein Deutscher, 21. Lange hielt er bei seinem Profidebüt die "Null", wie Torhüter sagen, beim einzigen Treffer des Tages kurz vor Schluss war er chancenlos.
In Deutschland kennt Zwick bis heute kaum jemand, in Schottland machte er sich als Stammtorhüter von Dundee United schnell einen Namen. Der Begriff ist abgenutzt, doch es ist ein kleines Fußballwunder, dass Zwick heute Profi ist. Als Kind war er schwer krank, in Deutschland spielte er nur für kleine Vereine und noch mit 20 in der Sechsten Liga. Der Zufall, eine Menge Fleiß und der Glaube an sich selbst ermöglichten ihm jedoch eine Karriere, die es im Fußball eigentlich gar nicht mehr gibt.
Seit zweieinhalb Jahren lebt Zwick in Dundee, einer schottischen Arbeiterstadt, anderthalb Autostunden nordöstlich von Glasgow. Dundee hat 150.000 Einwohner, die angesehene University of Dundee und zwei Profiklubs: den FC Dundee und Dundee United. Zwick trägt bei den Tangerines, den Mandarinen, wie United wegen der leuchtend orangenen Trikots genannt wird, die Rückennummer 51. Er ist groß, blond und an schottischen Torwartstandards gemessen mit dem Fuß (links!) geradezu virtuos am Ball.
Das fällt auf. Und so dauerte es nicht lange, ehe Zwick einen Spitznamen verpasst bekam. Die anfänglichen Wer-bist-du-denn-Gesänge verstummten bald, jetzt rufen ihn die United-Fans "Fucking Neuer". In Anlehnung an Manuel Neuer, den Weltmeister. "Nichts gegen diesen Spitznamen, aber ich kann das für mich richtig einordnen", sagt Zwick im Video-Chat.
Zwick wuchs in Kleinmachnow auf, vor den Toren Berlins. Er war 7, als bei ihm Epilepsie festgestellt wurde. "Zuerst wusste niemand, was mit mir los war", sagt er. "Ich hatte Todesangst." Und Glück. Die Ärzte sagten ihm, wenn er auch als Jugendlicher noch Epilepsie habe, werde ihn die Krankheit ein Leben lang begleiten. Je älter er wurde, desto seltener wurden die Anfälle. Als er 16 war, hörten sie auf.
In diesem Alter spielen die, aus denen später einmal Profifußballer werden, in der Regel bereits für große Vereine. Ihr Leben richtet sich nach dem Fußball, sie sind es gewohnt, vor Hunderten von Zuschauern zu spielen. Die Talentiertesten unter ihnen gehören zu den Nachwuchsteams des DFB und stehen regional, teilweise bundesweit unter Beobachtung. Luis Zwick spielte in Deutschland nie für einen großen Klub.
Er war anfangs nicht mal Torwart, sondern spielte im Mittelfeld. Erst mit 14 wechselte er ins Tor, er war nun mal der Größte. Und talentiert: In wenigen Jahren stieg Zwick vom B-Jugendlichen zum Stammtorhüter der Ersten Mannschaft von Hertha Zehlendorf auf, Sechste Liga. Erst spät bekam er ein auf ihn abgestimmtes Torwarttraining, für andere Nachwuchstormänner in seinem Alter war das schon längst Normalität.
Diesen Nachteil habe Zwick in unzähligen Extraschichten auszugleichen versucht, erinnert sich Sebastian Hoeneß, Zwicks Trainer in der A-Jugend und heute Cheftrainer der U17 von RB Leipzig: "Luis ist ein Paradebeispiel dafür, was man mit dem nötigen Willen erreichen kann. Er war unheimlich diszipliniert und ehrgeizig, das habe ich in der Form nur ganz selten erlebt."