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Gestreifte Sommermode erinnert an KZ-Kleidung

Viele KZ-Gedenkstätten stellen Kleidung, die von Häftlingen getragen wurde, in ihren Museen aus. Hier im polnischen Majdanek-Lublin. Foto: Lidia Mukhamadeeva

Essen. Blau-weiße Längsstreifen sind der Trend des Jahres. Holocaust-Forscher und Opferverbände sehen Parallelen zu KZ-Kleidung und kritisieren Händler.


Ihr gefällt die Kombination aus Weiß und Hellblau. Diese Farben zieren die Längsstreifen des Hemdes, das die Studentin vor einem Modegeschäft in der Essener Innenstadt betrachtet. Der Stoff erinnere sie an Frühling und Sommer. Mit einem ähnlichen Modell auf einem Foto kann sie jedoch weniger anfangen. Als die 25-Jährige erkennt, dass es sich bei dem gezeigten Modell um Häftlingskleidung aus Auschwitz handelt, weiten sich ihre Augen. „Krass, das ist ja heftig. Jetzt ist mir komisch. Ich weiß nicht, ob ich mir das noch kaufen würde."

Längsstreifen in allen Variationen sind im Trend: Der maritime Streifenlook gilt als ein Klassiker der Modewelt. Ursprünglich zeichnet er sich durch quere Streifen aus, aktuell sind die Streifen meist längs gelegt. Kleider und Blusen in diesem Stil hängen derzeit in den Filialen von Modeketten wie H&M, Primark oder Mango - von Dortmund bis nach Köln. Doch blau-weiße Längsstreifen sind nicht unbehaftet, vor allem für Holocaust-Forscher und NS-Opferverbände. Sie sehen in diesem Trend die Grenze der Sensibilität überschritten.


Hakenkreuz-Taschen und SS-Blusen: Zara und Mango sind Wiederholungstäter


Es ist nicht das erste Mal, dass in den Regalen führender Modehersteller Kleidung ausliegt, die in Muster oder Symbolik an die NS-Zeit anlehnt: Das spanische Modelabel Zara sorgte 2010 mit Hakenkreuz-Taschen für Empörung - und vier Jahre später noch einmal mit Kindershirts in Streifenoptik und gelbzackigem Stern. Ebenfalls 2014 bot Mango Blusen mit SS-Zeichen an. Zara entschuldigte sich damals und nahm die umstrittenen Artikel wieder aus dem Sortiment.

So skandalträchtig wie die seinerzeit verwendeten NS-Symbole sind die aktuellen Streifenkleider nicht in jedem Fall. Doch einige Modelle, darunter erneut eines von Zara, ähneln Sträflingskleidung mehr als andere. Eines von Mango sei tatsächlich sehr nah an den Kittelschürzen aus Auschwitz dran, meint Stephan Lehnstaedt, Professor für Holocaust-Studien am Touro-College in Berlin. Die hellblauen Längsstreifen und die fließenden Formen seien da besonders ausschlaggebend. „Besonders geschmackvoll ist das nicht", sagt der Wissenschaftler.

Den derzeitigen Trend findet Jost Rebentisch weniger schlimm als den Zara-Vorfall aus 2014. „Da hatte man zusätzlich zur Streifenoptik noch die Assoziation zum so genannten ‚Judenstern'", sagt der Geschäftsführer des Bundesverbands Information und Beratung für NS-Verfolgte. Hier erscheine es ihm unsensibel und reichlich unbedarft, aber noch nicht über die Geschmacklosigkeitsgrenze gerutscht. Dennoch rät Rebentisch Mango und Zara, die Kleider vom Markt zu nehmen. „Sicherlich werden viele Menschen die Assoziation zur Häftlingskleidung haben."


„Kleider sehen aus wie im Museum"


Auch Diana Broner, Leiterin des Studentenverbandes der Jüdischen Gemeinde Dortmund, findet den aktuellen Modetrend weniger skandalös als Zaras Fehlgriff 2014. Dennoch: Als sie zu recherchieren begann, fand sie, dass die Kleider aussähen wie aus dem Museum. Mit dieser Verbindung würde die 28-Jährige die Kleidung zumindest nicht kaufen. „Meiner Großmutter, die den Holocaust überlebt hat, würde die Ähnlichkeit bestimmt sofort auffallen, wenn ich es tragen würde", sagt Broner.

Der Zentralrat der Juden wollte sich auf Anfrage nicht zu diesem Thema äußern. Aufgrund der aktuellen Antisemitismus-Debatten fokussiere sich der Zentralrat derzeit eher auf gravierendere Vorfälle. Für den Holocaust-Forscher Stephan Lehnstaedt stellt sich bei diesen Beispielen hingegen „selbstverständlich" die Frage, was dieser Trend für die Erinnerungskultur bedeutet: Sind sich Designer und Käuferinnen des KZ-Vorbilds für die Kleidungsstücke überhaupt bewusst?

„Man könnte argumentieren, es fände eine Normalisierung durch Vergessen statt, weil eben niemand mehr Assoziationen hat", sagt Lehnstaedt. „Aber solange es Menschen gibt, die diese Assoziationen haben, bleibt es unangemessen. Damit meine ich vor allem geschichtsbewusste Menschen, die vielleicht mal ein KZ besucht haben."

Das spanische Modeunternehmen Mango verweist in einer Stellungnahme darauf, die besagten Kleidungsstücke seien Teil seiner vom Streifentrend inspirierten Frühjahrskollektion. Mango bedauere „die unglücklichen Assoziationen durch das Design der Kleider", so eine Sprecherin. Man wolle „unter keinen Umständen jemandem dadurch nahetreten".

Das Modelabel Zara gab trotz mehrmaliger Anfragen keine Stellungnahme ab.


>> Häftlinge sollten auffallen
  • Die Gefangenenkleidung sah laut Holocaust-Forscher Stephan Lehnstaedt deshalb so aus, weil niemand sonst so rumgelaufen ist. „Flüchtlinge sollten auffallen, wenn sie außerhalb von KZ oder Gefängnis rumliefen." Von KZ zu KZ seien die Muster unterschiedlich gewesen.
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