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Zwischen Willkommenskultur und Wutbürgern

Zwischen Willkommenskultur und Wutbürgern

Was macht der Vorwurf „Lügenpresse“ mit Journalisten? Tappen sie in eine Falle, wenn sie Ängste vermeintlich ernst nehmen wollen? Machen sie es den „Wutbürgern“ dann um so mehr recht? Journalisten, Wissenschaftler und Politiker diskutieren beim WDR-„Integrationsgipfel“.


„Wissen Sie was Herr Schönborn, ich glaube, Sie mögen mich nicht", behauptet Naika Foroutan. „Ich glaube, Sie stellen sich vielleicht hierhin und denken ich bin eine Frau und kann Ihre Meinung nicht richtig verstehen. Oder vielleicht denken Sie, ich bin eine Ausländerin." Ein peinlich berührtes Schweigen folgt. „Sofort bringe ich Sie damit in die Defensive", behauptet Foroutan weiter. „Sie müssen jetzt hier stehen, sich verteidigen und sagen, dass das, was ich gesagt habe, nicht stimmt. Wenn ich aber sage, so fühle ich nun einmal und ich finde es nicht richtig, dass Sie meine Ängste nicht ernst nehmen, dann sind Sie noch mehr in der Defensive."


Der WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönborn und Naika Foroutan stehen sich bei einer Podiumsdiskussion des WDR-Integrationsgipfels gegenüber. Foroutan, Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt Universität Berlin, veranschaulicht in dieser Szene eine grundsätzliche Problematik, die sie bei Journalisten der deutschen Medienlandschaft beobachtet hat.


Das Problem

Sie geht davon aus, dass Journalisten an ihrem Handwerk arbeiten können. Während der sogenannten „Flüchtlingskrise" gab es zunächst eine Phase, bei der Journalisten sich bemüht hatten eine weit verbreitete Stimmung in der Bevölkerung aufzufangen. Wir entsinnen uns des Begriffs „Willkommenskultur". Dann kam durch das Stichwort „Lügenpresse" etwas anderes ins Spiel: die Angst als ebenjene bezeichnet zu werden. Diese Angst sei in eine defensive Haltung umgedreht, aus der heraus gesagt wird: Nein, wir berichten doch aber auch über die Anderen.


Aus Angst als „Lügenpresse" bezeichnet zu werden entstand die Situation, die Foroutan mit ihrem Gedankenspiel soeben gezeichnet hat: „Dann müssen Sie mir nämlich beweisen, dass meine Ängste ernsthaft sind." Und das ist das Problem, das Journalisten wahrnehmen müssten. Journalisten gehen in eine Falle, wenn sie meinen, Ängste „ernst" nehmen zu müssen. Keineswegs meint sie hier, dass Sorgen von Menschen damit negiert werden sollten. Nur: Eine defensive Haltung bringt sie dazu, es jenen zu sehr recht machen zu wollen.


Handwerk neu definieren

Die Diskussion zwischen der Wissenschaftlerin Foroutan und dem Journalisten Schönborn zeigt, dass Journalisten ihr Verständnis von Fakten, womöglich gar ihr eigenes Handwerk, neu definieren müssen. Um dieses Thema drehen sich die Diskussionen beim WDR- Integrationsgipfel immer wieder: Journalisten wie Jafaar Abdul Karim und Dunya Hayali argumentieren, man müsse gegen die Ängste der Bürger mit Fakten herhalten und sich auf ein sauberes Handwerk besinnen. Foroutan aber auch andere Journalisten halten dagegen, dass bei emotionalen Diskussionen wie der „Flüchtlingskrise" Fakten nur schwer helfen. Vor allem wenn sie nicht entsprechend kontextualisiert werden. Das sehe man auch durch den Erfolg von Donald Trump oder Geert Wilders.


Schönborn äußert zwar sich durchaus selbstkritisch gegenüber seinem Berufszweig: Definitiv dürfe man die Meinungen von Anhängern der AfD oder Pegida nicht einfach zu Populismus vereinfachen oder diese diskreditieren. Beim Thema Flüchtlinge müssen Journalisten zwischen menschlichen Fragen und kritischen Fragen für die Gesellschaft trennen. Vor allem aber dürfen sich Journalisten nicht allzu sehr steuern lassen von Institutionen, und Mut haben, ihre eigenen Themen zu setzen. Sonst laufen die Medien Gefahr, als Teil des Establishments wahrgenommen zu werden.


Zahlen im Gesamtkontext


Was Foroutan bei allem jedoch fehlt, sind der korrekte Transport von Wissen und die angemessene Einordnung von Zusammenhängen durch Journalisten. Das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten müsse besser eingeordnet werden und damit Relationen, die für Zuschauer nicht sogleich ersichtlich sind. Foroutan: „Sie haben soeben Herrn Detlef Scheele von der Bundesagentur für Arbeit gehört. Bis jetzt, sagte er, gibt es keinen einzigen kompetitiven Moment, wo wir sagen, ein Arbeitsplatz verschwindet. Trotzdem sprechen wir in den Medien die ganze Zeit davon."


Im vergangenen Jahr seien eine Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert. Eine solche Zahl müsse im Gesamtkontext eingeordnet werden: „Das sind nur ein Prozent Bevölkerungszuwachs", so Foroutan. Die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verwies an anderer Stelle darauf, dass in diesem Jahr rund 4 Milliarden Euro in Maßnahmen zur Integration geflossen sind - von insgesamt 18 Milliarden, die dem Haushalt zur Verfügung standen. Dabei sei von nirgendwo etwas weggenommen worden. In diesem Verhältnis stehen die 4 Milliarden schon in einem ganz anderen Licht. Fakten, die für sich alleine stehen, reichen folglich nicht aus.


Schönborn und Hayali stimmen in diesem Kritikpunkt jedoch nicht mit Foroutan überein. Sie beharren im Gegenteil darauf, die Medienberichterstattung der vergangenen Monate sei informativ und aufklärend genug gewesen, sei es zum Thema Islam, Burka oder sonstigen Themen. Hayali sieht es als schwierig an, dass sowohl positive als auch negative Berichterstattung immer kritisiert wird. Journalisten müssten darauf selbstbewusst reagieren und „weiter berichten, was ist". Doch das ist die Frage: Schafft es eine Berichterstattung, die nur von „Willkommenskultur" zu „Wutbürgern" pendelt, die Meinungen in der Gesellschaft angemessen abzubilden?


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