Prominente, die ihre Werbetouren absolvieren. Fußballer, die sich die Wadenhaare ausreißen. Ein Busfahrer, der Hirschgeweihe erkennt. Und mittendrin ein Markus Lanz, der versucht, sich und seinem Publikum zu erklären, was das alles soll. Willkommen bei "Wetten, dass..?".
"Beruhigen Sie sich", sagt Markus Lanz immer und immer wieder, doch sein Düsseldorfer Publikum will einfach nicht mit dem tosenden Applaus aufhören. Sie feiern ihren Moderator, noch ehe der erste Gast oder Wettkandidat sein Konterfei in die Kamera gehalten hat und spenden dem in den letzten Wochen und Monaten eigentlich permanent kritisierten Entertainer ihr uneingeschränktes Vertrauen. Düsseldorf feiert Lanz, als wäre er ein Pop-Star. Aber warum? Diese Frage muss, spätestens seit heute, erlaubt sein dürfen.
Markus Lanz lächelt in die Kamera und verspricht einen guten und unterhaltsamen Abend. Oder was der Moderator eben darunter so versteht. Das legalste Dopingmittel, laut Lanz, ist "Wetten, dass..?". Warum aber sind dann das Tempo und der Unterhaltungswert seiner Show in etwa genauso spannend wie den Sekundenzeiger einer Uhr beim Ticken zu beobachten? Lanz und das ZDF werden es schon wissen, nur teilen sie dieses Wissen nicht mit jedem. ZDF-Unterhaltungschef Oliver Fuchs hatte dem armen von den Medien gescholtenen Entertainer im Vorfeld der Sendung noch den Rücken gestärkt und ein definitives Weitermachen bis Mitte 2015 angekündigt. Man hält halt durch in der ZDF-Zentrale, komme was da wolle.
Als Saalwette dürfen die Düsseldorfer dieses Mal eine Garde, bestehend aus elf sogenannten Prinzen samt Kostüm, mit über einer Tonne Kamelle (Süßwaren) aufwiegen. Klingt lustig? Ist es aber nicht. Egal, Lanz moderiert „schön" weiter, denn es stehen schließlich Mega-Stars wie Hollywood-Schauspielerin Hilary Swank und Musik-Talent Pharrell Williams, Schlager-Star Udo Jürgens, das Entertainer-Duo Joko Winterscheidt/Klaas Heufer-Umlauf und "Stromberg"-Darsteller Christoph-Maria Herbst auf der illustren Gästeliste.
"Zusammengelötetes Zeug, das die Katze Nachhause trägt"
Nachdem Gehirn-Mastermind und Neurowissenschaftler Boris, der im Laufe des Abends eine wirklich gute Darbietung im Bereich Gehirn-Jogging bot, mit 80er-Jahre-Zauberwürfel zum Merken in eine Box geschlossen wird, schlagen Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf bei Lanz auf. Was folgt, ist eine minutenlange Joko/Klaas-Show. Lanz kann seine potentiellen Erben nicht bändigen. Klaas bricht eine Lanze für das Tragen von Krawatten und überreicht dem Moderator auch gleich eine aus dem Sortiment seines Großvaters. Das Wort Petitionen taucht auf, denn die helfen eigentlich (fast) immer.
Mit der Feuerwehr-Truppe, die ihr Einsatzfahrzeug mit dem Druck ihrer Lungen ziehen will, möchte Joko keinen Stress und Klaas bezeichnet die Konstruktion für das Vorhaben als "zusammengelötetes Zeug, das die Katze nachhause trägt" und findet so unverblümt die beste Metapher für den ganzen Abend.
Das vermeintliche ZDF-Unterhaltungs-Format "Wetten, dass..? " wirkt wie ein sterbender schwerfälliger Dinosaurier in der Landschaft der deutschen Samstagabend-Shows. Die Zeit, in der die ganze Familie sich am Wochenende auf Frank Elstner und Thomas Gottschalk gefreut hat, ist wirklich vorbei. Heute schaltet das Publikum nur noch aus Gewohnheit oder aus Schadenfreude ein. Markus Lanz, der die 1981 ins Leben gerufene Sendung seit 2012 moderiert, und das ZDF versuchen, den sterbenden Show-Patienten immer und immer wieder zu reanimieren. Aber wenn der Entertainment-Hirntod eintritt, sollte auch der erfahrene Moderator Herr Lanz die Lage erkennen und die lebenserhaltenden Geräte abschalten.
Schöne Geschichten und Fußballer, die sich die Beine wachsen
Nachdem die zweifache-Oscar-Gewinnerin Hilary Swank dem deutschen Fernsehpublikum ihre Memoiren erzählt hat, kontert Entertainment-Genie Lanz mit: "Das ist eine schöne Geschichte." Und der aufmerksame Zuschauer würde das in diesem Fall sogar bestätigen. Aber, als Busfahrer Konrad, der die abgeworfenen Stangen (Horn) von fast 400 Hirschen erkennt, seine Fähigkeit erläutert, kontert Lanz erneut mit: "Das ist eine schöne Geschichte." Schöne Geschichten findet der Moderator den ganzen Abend lang. Ein tanzendes Kind, das Ballons mit seinem Bauch platt macht: Schöne Geschichte. Eine Fußballmannschaft, die auf die Idee kommt, ihre mit Wachs entfernten Wadenhaare den jeweiligen Spielern zuzuordnen: Schöne Geschichte. Nachrichtensprecherin Judith Rakers, die gern singt, es nach eigener Aussage aber nicht kann: Schöne Geschichte.
Fernsehkoch Christian Rach, der momentan für seine ZDF-Sendung: "Rach tischt auf!" durch alle Kanäle und Sendungen hüpft: Schöne Geschichte. "Stromberg"-Darsteller Herbst singt: "Der Papa wird's schon richten."
Man will Markus Lanz ja mögen, denn er ist ein sympathischer Typ und gibt sich innerhalb seiner Parameter wirklich richtig Mühe. Aber auf "Wetten, dass..? " liegt meterdick der Staub einer vergangenen Fernsehepoche und alle Zuschauer und ehemaligen GEZ-Zahler zusammen könnten die grauen Flusen nicht wegpusten.
"Leck mal an der Axt" - "Wir sind Brüder im Geiste"
Bevor US-Musiker Pharrell Williams mit einer gelungenen Performance seines Welt-Hits "Happy" beginnt, bei der er vom Ballon-Tanz-Kind spontan unterstützt wird, stellt Lanz Williams die sinnfreie Frage, ob dieser überhaupt weiß, wo er sich denn eigentlich befindet. Williams blickt verdutzt und antwortet brav, in Düsseldorf. Lanz freut sich. So sieht gute deutsche Samstagabendunterhaltung aus.
Klaas darf, wegen seiner verlorenen Wette, noch den Feuerwehrmann des Teufels geben, indem er mit freiem Oberkörper für ein Foto posiert. Spontan fällt ihm und seinem Kollegen Joko zeitgleich die Idee ein, dabei doch auch an der Axt zu lecken. So wie Skandal-Nudel Miley Cyrus es machen würde, ergänzt Lanz. Toll, denkt sich der sensible Zuschauer, was für ein gelungener Fernsehabend. Fast besser als Testbild schauen.
Die kleinen Highlights in der drei Stunden lang dahinplätschernden Show waren die musikalischen Gäste: Altstar Udo Jürgens mit seinem neuen Song "Der Mann ist das Problem" und Adel Tawil mit seiner musikalischen Hommage "Lieder", eingerahmt durch Tanzeinlagen, konnten sich hören und sehen lassen.
Die Brüder Simon und René nagelten Bilder in 3,5 Meter Höhe an die Wand und fuhren damit den Titel des Wettkönigs ein. Ihre Darbietung war ebenso gelungen wie der fehlgeschlagene Versuch von Gehirn-Genie Boris, den 80er-Zauberwürfel nur mit Gedanken in seine einheitlichen Farben zu bringen.
Diese kleinen Spitzen sind aber zu wenig für das Flaggschiff der Samstagabend-Unterhaltung. Und langsam sollte man in der Entertainment-Schmiede des ZDF begreifen, dass es an der Zeit wäre dem Markus Lanz ein Format zu basteln, das auch zu ihm passt.
Ernüchterndes Fazit: Beim Gassi gehen mit seinem Hund bekommt Wettkandidat Boris sein Hirn frei, dem Zuschauer gelingt dies unweigerlich beim Konsumieren von "Wetten, dass..?".