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Farbiger Anstrich für einen Koloß ---- / 1992

In der Republik Südafrika dominieren noch Staatsrundfunk und Medienkonzerne


  ■ Von Thomas Schuler


Am Sonntag, dem 11.Februar 1990, hatte die Südafrikanische Rundfunkgesellschaft einen großen Übertragungswagen mit fünf Kameras vor den Mauern des Provinzgefängnisses von Paarl nahe Kapstadt postiert. Live sollte gezeigt werden, wie der größte Staatsfeind der Republik nach 27 Jahren Gefangenschaft von den Anhängern der schlimmsten Terrororganisation bejubelt und empfangen wird. Es war, wie Kommentator Clarence Keyter befand, ein Ereignis, „auf das die Welt so lange gewartet" hatte: die vom African National Congress (ANC) gefeierte Freilassung seines Präsidenten Mandela.

In den Jahren davor wäre die bloße Erwähnung seines Namens ein Grund zur fristlosen Entlassung gewesen. Mandela war eine „listed person", über ihn durfte nichts berichtet, sein Gesicht nicht gezeigt werden. Gleiches galt für die schwarze Oppositionspartei ANC und ihre Anhänger. Fernsehzuschauer sahen am 11.Februar also nicht nur die damals 72jährige Integrationsfigur der Schwarzen aus dem Gefängnis kommen, sie erlebten zugleich den ersten sichtbaren Schritt der Südafrikanischen Rundfunkgesellschaft hin zu dem, als was sie seit der Gründung 1936 von offizieller Seite stets gepriesen worden war: eine von der Regierung unabhängige, öffentlich- rechtliche Anstalt. Ist sie das nun etwa wirklich geworden?

Fest steht, die South African Broadcasting Corporation (SABC) ist ein Koloß von 6.000 Mitarbeitern, der 23 Radio- und zwei Fernsehprogramme in insgesamt elf Sprachen produziert - und dafür jährlich rund 500 Millonen Mark verschlingt. 70Prozent des Etats sind Werbeeinahmen, rund zehn Prozent stammen aus dem Verkauf von Lizenzen, und nur rund 20Prozent der Einnahmen sind Gebühren, die seit 1982 nur mehr für den Besitz von Fernsehgeräten erhoben werden. Der gerade in ländlichen Gebieten weitaus stärker verbreitete Radioempfang ist kostenlos, die Erhebung sei zu schwierig, lautet die Begründung. Eine von der Regierung zum Umbau des Rundfunkwesens eingesetzte Expertengruppe schlug vor, Werbeeinahmen sollten künftig 50Prozent nicht übersteigen, und Gebühren sollen nicht am Gerätebesitz festgemacht, sondern generell für den Stromanschluß erhoben werden. Das 15 Hektar umfassende SABC-Rundfunkzentrum im Nordwesten Johannesburgs wird als eines der modernsten gepriesen und ist zumindest auf dem afrikanischen Kontinent konkurrenzlos.

Im Inland sind neben dem Staatsrundfunk auch Radioprogramme aus den Homelands zu empfangen: das liberale „Radio 702", eine erfrischende, privat geführte Talkstation, hat seine Lizenz in Bophuthatswana bekommen, ist jedoch nur in der Region Johannesburg zu empfangen. Regierungsfreundliche Zeitungsverlage betreiben eine Pay-TV- Station namens „M-Net", die sich auf das Abspulen von Spielfilmen verlegt hat. Am Interesse privater Betreiber für weitere, auch politische Programme fehlt es nicht, aber an Geld und den gesetzlichen Grundlagen. Die besagte Expertenkommission wird vom ANC, den Gewerkschaften und unabhängigen Filmemachern unter anderem für einen Vorschlag kritisiert, der M-Net und SABC auf Jahre hinaus eine Blanko- Lizenz garantieren würde, während Radio 702 und andere unabhängige Sender der Homelands neue Anträge stellen müßten. Radiosender befürchten, dann bei der Vergabe der begehrten Ukw-Frequenzen leer auszugehen. Zufälligerweise sind die beiden Vorsitzenden der Expertenkommission auch die Vorsitzenden des SABC-Vorstandes sowie Geschäftsführer von M-Net.

Fernsehen erst 1976 eingeführt

Im Grunde ist ja auch die SABC im Fernsehbereich noch Anfängerin: Erst 1976 hat Südafrika widerwillig als eines der letzten afrikanischen Länder dieses Medium eingeführt. Zunächst gab es nur einen Kanal (TV1) mit täglich vier Stunden werbefreiem Programm in den Amtssprachen Afrikaans und Englisch für die Bedürfnisse der Weißen. Von 1982 bis 1985 kamen drei weitere Kanäle (TV2/3/4) in den Sprachen der Zulus, Xhosas, Sothos und Tswanas für die schwarze Bevölkerungsmehrheit dazu. Rassentrennung hieß das strikte Gebot also auch auf dem Bildschirm. Und heute?

CCV: Ein „multinationaler" Kanal

Anfang des Jahres wurden TV2/3/4 zusammengefaßt in einem „multinationalen" Kanal, der in neun Sprachen von Afrikaans bis Hindu, von Englisch bis Tamil und Zulu sendet, erstmals werden Schwarze, Weiße, Farbige und Asiaten gemeinsam in einem Kanal bedient. „Contemporary Community Values" nennt sich die Neueinführung, kurz: CCV. Mit dem 54jährigen Madala Mphahlele wurde erstmals ein Schwarzer an die Spitze des SABC-Fernsehens gesetzt. Als einer, der seinen Beruf als Lehrer aufgrund der Apartheid nicht ausüben durfte und deshalb in die Werbebranche ein- und dort aufgestiegen ist, sind ihm Schranken ein Greuel. „Bei CCV gibt es keine Apartheid", sagt er. Auch die überwiegend weißen Zuschauer des weiter existierenden ersten Kanals will er für CCV gewinnen. Fünf Millionen Zuschauer täglich, lautet seine Vorgabe, die erste Million sei bereits von TV1 auf CCV umgeschwenkt. Hausbackene Bildungsprogramme beherrschen den Nachmittag, zur Hauptsendezeit überwiegen billig importierte US-Serien. Kraftausdrücke und Erotisches werden rausgeschnitten, zurück bleiben stumme Lippenbewegungen von Jim Belushi, Joan Collins und Co.

„Fernsehen in Südafrika ist 20 Jahre hinter uns zurück. Die Technik ist da, aber es fehlt an der Ausbildung, am Handwerklichen", sagt ZDF-Korrespondent Alexander von Sobeck. ARD-Radio-Korrespondent Klaus Metzler hat „in den vergangenen beiden Jahren viele Änderungen und Verbesserungen" ausgemacht, aber unabhängig sei die SABC deshalb noch lange nicht. „Die Zeiten, in denen Präsident Willem Botha während einer Studio- Diskussion angerufen hat und eine Stellungnahme seines ehemaligen Minsters berichtigen ließ, mögen vorbei sein. Aber ich traue dem Fernsehen nicht. Da sitzen alle noch auf ihren Posten." Wie soll jemand plötzlich kritisch berichten, der jahrelang Sprachrohr der Mächtigen war? Die 1986 gegründete „Anti- Censorship Action Group" (ACAG) verweist auf Aussagen des ehemaligen SABC-Fernsehmoderators Harald Pakendorf, er habe keine Kontrolle über seine Sendung, habe weder Interviewpartner noch Inhalte bestimmen dürfen. Das war im Mai vergangenen Jahres. Pakendorfs Platz hat inzwischen Clarence Keyter eingenommen, laut ACAG ein überaus regierungsfreundlicher Korrespondent, der auch mit dem Imagewandel Mandelas vom Staatsfeind zur Integrationsfigur keine Mühe hatte.

1989 hatte sich die SABC in fünf Sektoren aufgeteilt, um besser wirtschaften zu können. Die Nachrichtenredaktion ist einer dieser Bereiche. Der stellvertretende Nachrichtenchef Andre LeRoux spricht von „unserem Produkt", das nun den beiden SABC-Kanälen, genau wie bei britischen und amerikanischen Anstalten „verkauft" werde, als sei die Nachrichtenredaktion eine Privatfirma. Am liebsten, sagt er, würden sie die SABC ganz privatisieren. „Aber das wird schwierig."

Prostest kommt vor allem von Seiten des ANC, der Rundfunk als Gut aller gesellschaftlichen Gruppierungen sieht und entsprechende Mitsprache- und Besitzverhältnisse wünscht. Sowenig Restriktionen und soviel Offenheit wie möglich, lautet das ANC-Motto. Einigkeit zwischen Expertengruppe, ANC und anderen Organisationen scheint über ein unabhängiges Aufsichtsgremium für Rundfunk zu herrschen, das auch die Lizenzvergabe übernehmen soll.

Bislang wurde der SABC-Vorstand vom Präsidenten bestimmt: eine Regelung, die den Experten in ihrem unter dem Stichwort „Entpolitisierung" verfaßten 200-Seiten-Report auch für die Unabhängigkeit einer Aufsichtsbehörde geeignet erschien, in Wirklichkeit aber nur den strikten Zugriff von de Klerks Nationaler Partei auf Hörfunk und Fernsehen auf Jahre hinaus zementieren würde. Der ANC hat dagegen die Mitsprache aller Parteien im Auge. Zudem solle das Gremium noch vor den nächsten Wahlen bestimmt werden, um bereits im Falle parteiischer Wahlkampfberichte eingreifen zu können. In der zweiten Runde der Verhandlungen über eine neues demokratisches Südafrika (Codesa) Mitte Mai wird möglicherweise über die Vorschläge entschieden.

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