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Strenge Form, mildes Licht. Der Bildhauer Lothar Fischer plante sein Museum in Neumarkt bis ins Detail - und starb vier Tage vor der Eröffnung

Beim Gang durch die Ausstellungsräume fällt immer wieder die Natur ins Auge. Etwa beim Blick über die Schulter der schlanken, aus Gips geformten weiblichen Aktstele im Erdgeschoss des Museums. Durch die seitliche Glaswand sieht man ein Waldstück, davor eine Holzbank, vor der ein Bach fließt. Eine Idylle wie aus einem romantischen Landschaftsgemälde. Der Kontrast zu den oft strengen, beinahe gotisch wirkenden Formen und Skulpturen im Inneren des Museums könnte kaum größer sein. "Bilden heißt nicht abbilden" war das Credo von Lothar Fischer. Zugleich war es dem Bildhauer und Zeichner wichtig, dass seine Kunst unmittelbar sinnlich erfahrbar ist. Vier Tage vor der Eröffnung seines Museums starb Fischer im Jahr 2004. In dem Haus in Neumarkt in der Oberpfalz, das seinen Namen trägt, begegnet man seiner Kunstauffassung überall.

Ein dreiviertel Jahr lang nur dauerte es, bis das Museum Lothar Fischer in Neumarkt errichtet war. Mit 2,3 Millionen Euro blieben die Baukosten im Vergleich zu anderen monografischen Museen überschaubar. Man habe alles daran gesetzt, dass der erkrankte Künstler die Eröffnung noch miterlebt, sagt die Direktorin Pia Dornacher. Um wenige Tage nur ist das nicht gelungen. Fischer, der als Professor an der heutigen Berliner Universität der Künste lehrte, hat sein Haus dennoch bis ins Detail geprägt. Von Anfang an begleitete er die Planung, auch die Architekten wählte er aus. "Lothar Fischer hatte ein exzellentes räumliches Vorstellungsvermögen", sagt Pia Dornacher, die das Museum seit seiner Gründung leitet. So setzte sich der Bildhauer für raumhohe Fensternischen an den Seitenwänden ein. Dadurch fällt nachmittags mildes Seitenlicht auf seine hohen, schmalen Skulpturen und lässt sie noch eleganter und fließender wirken.

Im Zuge des Museumsbaus wurde auch der Stadtpark um das Haus herum landschaftsarchitektonisch neu gestaltet. Der kleine Bach, der dort unterirdisch verlief, wurde renaturiert und wieder an die Oberfläche geführt, der Garten mit Skulpturen, Büschen und Bäumen besetzt. Das Widerspiel zwischen organischen, offenen Formen und symmetrischer Geschlossenheit aus Lothar Fischers Arbeiten begegnet einem auch in der Anlage des Hauses mit seinen 550 Quadratmetern Grundfläche.

Wie ein Wehrgang in einer modernistischen Trutzburg ragt die schmale Treppe zwischen zwei weißen Wänden im Inneren des aus mehreren Quadern aufgebauten Gebäudes steil ins Obergeschoss. An ihrem Ende steht, gleich einer Wächterin über das Werk Fischers, die Skulptur "Hohe Eva", die in dem für ihn typischen, abstrahiert-figürlichen Stil gehalten ist. Sie hält Blickkontakt mit dem "Hohen Adam" gegenüber, der Fragment geblieben ist. Das Skript für diese Kunst-Inszenierung schrieb Lothar Fischer selbst - er schuf die Hohe Eva für sein Museum und legte auch ihren Standort fest.

Wer durch die Ausstellung im ersten Stock geht, der sieht Statuen, wie sie in ähnlicher Form auf Plätzen in Hamburg, München und Stuttgart stehen. Umso überraschender wirken die riesigen, weißgelben Zahnpastatuben im Pop-Art-Stil. Fischer war ein vielseitiger Künstler, der auf dem Kunstmarkt Erfolg hatte und viele öffentliche Aufträge erhielt. Trotzdem wäre ein eigener Museumsbau ohne die Stadt, in der er seine Jugend verbrachte, kaum möglich gewesen. Die 40 000-Einwohner-Kommune stellte ein Grundstück zur Verfügung und gewährte ein Darlehen für die Errichtung des Baus. Bürgermeister, Architekten und der Künstler selbst - der Bau des Museums Lothar Fischer war ein Kraftakt, bei dem viele an einem Strang zogen.

So manche Brachialkritik von den Bürgern blieb in der Anfangsphase dennoch nicht aus. "Schrottmaterial" hieß es da zu seinen Reiterstatuen, und man zweifelte, ob genügend Besucher kommen würden. Lothar Fischer traf das hart. "Er war ein feinfühliger, ein sensibler Mensch", sagt Dornacher. Fischer erklärte sich bereit, in Bürgersprechstunden mit den Neumarktern über die Bedenken zu diskutieren. Der Bildhauer, selbst Kind eines Kunsterziehers, war auch ein begabter Kunstvermittler. "Man konnte von ihm sehen lernen", sagt Pia Dornacher. Als der kinderlose Künstler in den Neunzigerjahren seine Professur aufgab, wurde die Idee zum eigenen Museum immer stärker.

Heute besichtigen etwa 12 000 Gäste jedes Jahr das Museum, die Kritik ist abgeklungen. Der laufende Betrieb wird über einen städtischen Ausstellungsetat finanziert. Dessen Höhe ist aber laut Dornacher "eher bescheiden" im Vergleich zu anderen Häusern. "Bei uns läuft viel über freiwilliges Engagement", sagt die Direktorin. Ehrenamtlich tätige Bürger führen die Aufsicht in der Ausstellung und übernehmen auch mal Fahrdienste. Die Stadt springe immer mal wieder helfend zur Seite. Etwa wenn es darum geht, Hotelzimmer für all die anderen Künstler zu bezahlen, die im Museum Lothar Fischer ausstellen.

Mehrmals im Jahr wird die gesamte Ausstellung des Hauses neu gestaltet. "Damit es lebendig bleibt", sagt die Direktorin. Gerade neue Besucher kommen wegen der drei Sonderausstellungen, die jedes Jahr dort stattfinden. Ausgewählt werden zeitgenössische Künstler, die in einer Beziehung zu dem Namensgeber des Hauses stehen. Noch bis 13. Oktober sind im Erdgeschoss die Druckstöcke und Holzdrucke des Malers Gustav Kluge zu sehen, die in ihrer robusten Materialität an Skulpturen erinnern.

Auch bei Lothar Fischers Arbeiten setzt Pia Dornacher auf den beständigen Wechsel. Zusätzlich zur Ausstellung seiner Plastiken - derzeit sind es etwa 25 Werke im Haus und im Park - sind noch bis mindestens Januar 2020 die Zeichnungen des Künstlers zu sehen. Von den ersten, noch unsicheren Aktskizzen an der Münchner Kunstakademie bis zur großen, ausdrucksbewussten Tuschpinselzeichnung aus dem Spätwerk wird Lothar Fischer dort in seiner Entwicklung als Künstler und Mensch greifbar.

Und dann gibt es noch eine ganz besondere Stelle im Museum Lothar Fischer, an der viele Fäden zusammenlaufen: Wie ein betongewordener letzter Gruß des Künstlers prangt das opulente, hellgraue Relief mit den feuerroten Flächeneinsprengseln an der Stirnwand des Eingangskorridors. Lothar Fischer wollte diese archaisch anmutende Wagenlenkerszene unbedingt fest in der Wand seines Museums verankert sehen. Das Relief aus dem Jahr 1962 ist einer der Höhepunkte aus Lothar Fischers Mitgliedschaft in der Münchner Künstlergruppe Spur, die ihn stark geprägt hat. Beim Gang durch die Eingangshalle des Museums fällt auf: Sogar die gespachtelten Betonböden und die rotgefärbten Wände des Museums erinnern an die Farbgebung und Struktur des emblematischen Reliefs.

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