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Heißblütig, spannend, friedlich: Ein Stadionbesuch in Mailand - Transfermarkt

Heißblütig, spannend, friedlich: Ein Stadionbesuch in Mailand

Um einen Stadionbesuch in Italien kursieren hierzulande viele Vorurteile. Gefährlich soll es sein, um Leib und Leben müsse man wegen aggressiver Gästefans und Bengalo-Zündeleien fürchten. Gleichzeitig sei es aufgrund bürokratischer Bestimmungen kompliziert, überhaupt an Karten und ins Stadion zu kommen. Doch das Schlimmste: Der ganze Aufwand lohne sich ohnehin nicht, immerhin warten dann langweiliger Defensivfußball und wegen der leeren Ränge eine gruselige Atmosphäre.

Doch es geht auch anders: Spitzenspiel der Serie A, Tabellenführer Roma reist nach Mailand zu Inter, welches bei einem Sieg die Tabellenführung übernehmen kann. Über 60.000 Fans waren am Samstagabend in die „Scala des Calcio" gekommen, um sich ein hoffentlich spannendes und hitziges Spiel zweier Mannschaften anzusehen, die sich seit Mitte der 2000er, als beide nach dem Calciopoli-Skandal regelmäßig um den Titel kämpften, ohnehin nicht ganz grün sind.

Zuvor gilt es aber, an Karten zu kommen. Diese können die Tifosi heute kinderleicht über das Internet bestellen. Bei nicht ausverkauften Spielen sind Tickets noch am selben Tag an mehreren Verkaufsstellen in der Stadt oder direkt am Stadion verfügbar. Anders als in Deutschland ist lediglich, dass Eintrittskarten immer personalisiert sind. Das dient erweiterten Sicherheitsmaßnahmen und macht einen Weiterverkauf schwierig. Preislich bewegen sie sich in einem fairen Rahmen: Für ein Ticket im zweiten Rang der Haupttribüne zahlt man bei einem Spitzenspiel 40 Euro.

Besonders vorsichtig ist der italienische Verband aber nach wie vor bei Auswärtsfans. Für diese wurde einst die „Tessera del Tifoso" eingeführt. Alle Tifosi, die mit ihrem Team zu den Spielen reisen und in den Gästeblock möchten, müssen dieses gute Stück erwerben und sich registrieren lassen. Vor dem Eingang warten dann intensive Kontrollen vom Sicherheitspersonal. Auch die Roma-Fans mussten diese am Samstagabend über sich ergehen lassen und durften erst spät und unter Geleitschutz das Stadion verlassen - und das, obwohl es zu jeder Zeit friedlich blieb.

Doch auch die „normalen" Fans müssen mit ausgiebigen Sicherheitsmaßnahmen rechnen, die man so nicht aus Deutschland kennt. Auf dem Weg zum Sitzplatz war es zweimal nötig, den Personalausweis samt Ticket zu zeigen. Dreimal musste die Eintrittskarte gesondert gescannt werden. Und nicht zu vergessen: Das Sicherheitspersonal untersucht alle Personen sehr intensiv nach etwaigen Utensilien, die nicht ins Stadion gehören.

All das führt dazu, dass es wirklich deutlich länger als gewohnt dauert, um seinen Sitzplatz im Stadion einzunehmen. Eine Erleichterung hat es aber auch gegeben: Musste man früher noch einen etwa viertelstündigen Fußmarsch von der letzten Metro-Haltestelle zum Stadion hinlegen, ist es dank der Umbaumaßnahmen im Zuge des Champions League-Finals 2016 heute weitaus bequemer. Die Infrastruktur wurde ausgebaut und die Fans können direkt vor dem Stadion aussteigen. Ein nicht unerheblicher Faktor, der vor allem bei gut besuchten Spielen ins Gewicht fällt.

Ist man aber erst einmal im altehrwürdigen San Siro angekommen, fühlt man sich sofort in seinen Bann gezogen. Die epochale Bauweise strahlt einen Charme aus, dem sich keiner entziehen kann. Zu jeder Sekunde spürt man, dass man sich in einem der traditionsreichsten Stadien überhaupt befindet. Der Ort, an dem sich Legenden wie Giacinto Facchetti, Paolo Maldini, Javier Zanetti, Marco van Basten oder Ronaldo historische Fußballschlachten lieferten.

Während des Spitzenspiels herrschte eine hitzige, aber immer friedliche Atmosphäre. Es war kein Problem, dass auf den normalen Tribünen, abseits des Gästeblocks und der legendären Curva Nord, auch einige Roma-Fans waren. Mit zunehmender Spieldauer wurde nicht nur die Partie immer intensiver, sondern auch das Geschehen auf den Rängen. Lautstark unterstützten die Interisti ihre Mannschaft dabei, die Mitte der ersten Halbzeit erzielte Führung zu verteidigen. Vor allem aggressive Zweikampfführung und Einsatz der Spieler werden in Mailand stets durch Jubel belohnt. Neben schwenkenden Fahnen und Bannern sah man auch hier und da einen Bengalo und ein wenig Rauch auf den Tribünen. Doch auch die Roma-Fans waren nicht minder aktiv und sorgten für ein merkbares Gegengewicht in Sachen Stimmung. Am Ende siegte Inter durch den Distanzschuss Gary Medels an einem Calcio-Abend, wie er sein sollte: Heißblütig, spannend und zu jeder Zeit friedlich.

Von Thomas Hürner
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