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Du, Natascha

Genossen unter sich: Natascha Kohnen im Gespräch mit Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann. (Foto: Niels P. Joergensen)

SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen muss sich bei ihrem Wahlkampfauftritt in Dachau erst einmal zur Regierungskrise äußern. Ihre Genossen wollen mit ihr aber auch über Mietpreise und Pflegenotstand sprechen

Natascha Kohnen kommt überpünktlich, etwa eine halbe Stunde früher als geplant. Die stellvertretende Parteivorsitzende der SPD muss aber noch ein kleines Programm absolvieren, ehe es mit ihrer Gesprächsrunde Gasthaus Drei Rosen losgehen kann. Drei Fernsehteams wollen Interviews mit ihr machen, am Freitagabend ist schon wieder Regierungskrise und Kohnen, 50, eine gefragte Frau. Sobald die Kameras auf sie gerichtet sind, zieht sie ihre Augenbrauen nach unten, setzt eine ernste Miene auf.

In den Tagen zuvor hatte sie Parteichefin Andrea Nahles scharf kritisiert, sie war so etwas wie das Sprachrohr für all jene in der SPD, die erbost waren über den Kompromiss, auf den sich die drei Regierungsparteien in der Causa Hans-Georg Maaßen geeinigt hatten. "Dass sich die Ereignisse derart überschlagen", sagt der Landtagsabgeordnete Martin Güll ins Mikrofon, "das konnten wir natürlich nicht wissen, als wir die Natascha nach Dachau eingeladen haben." Kohnen hat während dieser Ereignisse Haltung bewiesen, darauf lässt der laute Applaus schließen, den die bayerische Spitzenkandidatin erhält, als sie auf dem Podium neben Oberbürgermeister Florian Hartmann Platz nimmt. Sie lächelt jetzt.

"KohnenPLUS" heißt die Veranstaltungsreihe, mit der sie seit Wochen durch Bayern tourt. Das Ziel: Den Bürgern zuhören, die Sichtweisen der unterschiedlichsten Menschen aufnehmen. Heute jedoch muss sie auch Rede und Antwort stehen. Viele Menschen im gut gefüllten Saal zweifeln an der Integrität der Bundespartei, in Bayern liegen die Umfragewerte kurz vor den Landtagswahlen bei elf Prozent. Auch Kohnen weiß, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, dass ihr politischer Gegner inzwischen nicht mehr nur die CSU, sondern auch der fortschreitende Vertrauensverlust in die Bundes-SPD ist. Und schnell wird deutlich: Heute möchte sie den Anwesenden zeigen, dass es sich an beiden Fronten noch zu kämpfen lohnt.

Kohnen spricht anfangs über Persönliches, aber Persönliches kann ja auch politisch sein: Ihre Kindheit in einem von der 68er-Bewegung geprägten Elternhaus, der Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, "mein politscher Schlüsselmoment", wie sie sagt. Wackersdorf habe Kohnen gezeigt, dass man mit Geschlossenheit viel erreichen kann und unermüdlicher Einsatz für das Allgemeinwohl manchmal doch belohnt wird. Als sie jung war, fand sie vor allem die Natur faszinierend, den Kreislauf der Fotosynthese, wie in der Umwelt alles im Gleichgewicht ist. "So sollte es in der sozialen Frage eigentlich auch sein", sagt Kohnen und zwinkert in Richtung Publikum. Auch Hartmann ist zu Scherzen aufgelegt. Der Oberbürgermeister erzählt, wie er zufällig in die Kommunalpolitik gestolpert ist, wie er sich als Jugendlicher für Skaterplätze einsetzte, obwohl ihm das Skaten eigentlich fremd war, oder von seiner Leidenschaft für Modelleisenbahnen. "Das verbindet mich mit unserem Innenminister", lacht Hartmann, "das ist aber auch das einzige."

Nach dem freundlichen Plausch zwischen Kohnen und Hartmann beginnt die Gesprächsrunde mit den Bürgern. Wenn sich Genossen treffen, dann wird auch die stellvertretende Parteivorsitzende geduzt. Daran hält sich auch ein Mann am hinteren Ende des Saals, als er von Güll das Mikrofon in die Hand bekommt: "Ich bin froh, dass du unseren Unmut zuletzt artikuliert hast. Illoyalität darf nicht auch noch belohnt werden." Es ging natürlich um die Beförderung des zuletzt in die Kritik geratenen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär in Horst Seehofers Innenministerium. "Das stimmt, Entscheidungen wie diese kapiert niemand mehr", antwortet Kohnen. "Eine Verkäuferin, die Bons einsteckt, wird auch nicht befördert, sondern entlassen."

Ein älterer Herr aus den vorderen Reihen fängt an zu schimpfen, fuchtelt wild mit den Händen. Wer soll dieser SPD noch irgendwas glauben, fragt er, erst wird so eine Entscheidung mitgetragen und dann rudert man zurück. Kohnen, zuletzt sichtlich um eine harmonische Außendarstellung bemüht, nimmt ihre Parteichefin in Schutz. Nahles habe "Format" bewiesen, als sie sich die falsche Entscheidung eingestand, auch das sei ein Zeichen von Stärke.

"Fehler dürfen in einer Demokratie korrigiert werden, das ist sogar unbedingt notwendig." Der Mann winkt ab und schimpft weiter vor sich hin. Wenn Kohnen von den Leuten im Saal auf Themen wie den Pflegenotstand oder die steigenden Mietpreise angesprochen wird, sind die Antworten schärfer und die Schuldigen für die Misere schnell benannt: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) solle sich "schämen" für so manche Äußerung gegenüber den Menschen vor Ort, "ich weiß auch nicht, was mit dem los ist." Markus Söder (CSU) habe den Wohnungsmarkt in Bayern als früherer Finanzminister zum "Spekulantentum" verkommen lassen, auch jetzt als Ministerpräsident fehlten ihm "passende Initiativen" zur Lösung des Problems.

"Wir brauchen einen Paradigmenwechsel", fordert Kohnen, "die öffentliche Hand muss auf den Wohnungen liegen, der Staat muss hart in diesen Markt hart reingehen, wir müssen bauen und die Kommunen gleichzeitig entlasten." Zustimmung von Hartmann. Neben der Kritik an den beiden Unionsparteien sind es vor allem die eigenen Ideen, die im Publikum Anklang finden. Dass diese Ideen wegen des seit Monaten anhaltenden Regierungskrachs in Berlin untergehen, ist auch Kohnen bewusst.

Laut einer Umfrage des Bayerntrends kennen Kohnen nur etwas mehr als 50 Prozent der bayerischen Wähler. Auch dagegen gilt es etwas zu tun. "Anfang des Jahres waren es gerade einmal 20 Prozent", sagt Kohnen und lächelt zufrieden. Nach rund eineinhalb Stunden gibt es Umarmungen für Güll und Hartmann, Kohnen muss los zum nächsten Fernsehauftritt. Das Hauptthema: Hans-Georg Maaßen.

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