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AC Mailand: Verkauft, verraten, fast zugrunde gewirtschaftet

Wohin geht die Reise mit dem AC Mailand? Kapitän Leonardo Bonucci (Mitte) und seine Mitspieler. © PICTURE-ALLIANCE

Der Blick von Leonardo Bonucci war wild entschlossen, seine Augen funkelten im Antlitz der neuen Herausforderung, es war sein erstes Pflichtspiel für den AC Mailand. Ein Jahr ist das her. Bonucci zog die Kapitänsbinde fest um seinen linken Oberarm, dann winkte er seine Mitspieler herbei, um sie auf die bevorstehende Partie gegen den mazedonischen Erstligaklub Shkëndija Tetovo einzuschwören. „Wir sind nicht irgendeine Mannschaft, die Geschichte zeigt, dass wir die größte Mannschaft Italiens sind", brüllte er seinen neuen Kameraden entgegen. Dieser Satz war ein Affront gegen seinen ehemaligen Klub, er sollte aber zugleich die Richtung bei Milan vorgeben: zurück nach ganz oben, mit ihm als Anführer, als Gesicht des Erfolgs. Wenige Wochen zuvor hatte Bonucci noch mit Juventus Turin im Finale der Champions League gestanden. Mit den „Rossoneri" galt es, sich für die Europa League zu qualifizieren.

Der Glanz vergangener Tage bleibt aber weit entfernt für den mehrmaligen Europapokalsieger, Milan hat die vielleicht turbulenteste Phase seiner Geschichte hinter sich: Neue Eigentümer haben das gesamte Führungspersonal ausgetauscht, die Teilnahme an der Europa League musste vor dem Internationalen Sportgerichtshof eingeklagt werden. Und Bonucci? Der bestbezahlte Spieler im Mailänder Kader würde am liebsten die Flucht zurück nach Turin ergreifen, wie Juve-Sportdirektor Giuseppe Marotta unlängst bestätigt hat.

Von Berlusconi zu Li zu Singer

Das Chaos brach im April des vergangenen Jahres über den italienischen Traditionsklub herein. Nach 31 Jahren übergab Silvio Berlusconi seinen AC Mailand „in die besten Hände", wie der ehemalige Ministerpräsident nach dem Verkauf an den Chinesen Yonghong Li stolz verkündet hatte. Als zuverlässig hat sich der neue Eigentümer jedoch nicht gerade erwiesen. Erst konnte er die erforderliche Summe von 740 Millionen Euro nicht aufbringen, dann blieben vereinbarte Kapitalerhöhungen aus, seine finanziellen Sicherheiten erwiesen sich als Schwindel. Den Kauf stemmen, konnte Li nur mit einem Kredit von der Elliott Management Corporation, einem Hedgefonds aus New York, an dessen Spitze der amerikanische Investor Paul Singer steht. Auch bei Elliott war Li in Zahlungsverzug, weshalb Singer vor zwei Wochen kurzerhand die Kontrolle bei Milan übernahm. Der 73-jährige Milliardär gilt als kompromisslos und ist berüchtigt dafür, Unternehmen radikal umzustrukturieren. So auch Milan: Li wurde umgehend als Präsident abgesetzt, mit ihm mussten vier chinesische Vorstandsmitglieder gehen.

Auch von Geschäftsführer Marco Fassone und Sportdirektor Massimiliano Mirabelli hat sich der Klub inzwischen getrennt. Ein nachvollziehbarer Schritt, immerhin sind Fassone und Mirabelli mit ihrer Strategie krachend gescheitert. Die Teilnahme an der Champions League sollte vor der vergangenen Saison mit aller Macht erkauft werden, rund 200 Millionen Euro wurden für neue Spieler ausgegeben. Nach einer mit Platz sechs enttäuschenden Spielzeit qualifizierte sich Milan nur für die Europa League, obwohl Fassone zuvor fest mit den Einnahmen aus der Königsklasse kalkuliert hatte. Die horrenden Ausgaben für Transfers, der seit Jahren stagnierende Jahresumsatz sowie die undurchsichtigen Besitzverhältnisse riefen vor einigen Monaten den Europäischen Fußball-Verband ( Uefa) auf den Plan.

Die Uefa erkannte einen klaren Verstoß gegen die Regularien des Financial Fairplay (FFP), das unter anderem einen maximalen Verlust von 30 Millionen Euro im Zeitraum von drei Jahren vorschreibt. Fassone verhandelte deshalb wochenlang mit der Uefa um ein sogenanntes „Settlement Agreement". In diesem werden diverse Auflagen festgelegt, bei deren Einhaltung die Klubs auf Bewährung an europäischen Wettbewerben teilnehmen dürfen. Grundlage für eine Einigung ist ein glaubhafter Business Plan für die wirtschaftliche Genesung des Klubs. Fassone legte der Uefa am Ende des vergangenen Jahres jedoch ein Dokument vor, das abenteuerliche Prognosen enthielt: Der Jahresumsatz von 196 Millionen Euro im vergangenen Geschäftsjahr sollte bis 2021 mal eben mehr als verdoppelt werden, unter anderem durch Marketing-Einnahmen von 90 Millionen Euro in China. Zum Vergleich: Der FC Barcelona setzte in China zuletzt rund 13 Millionen Euro um.

Harte Auflagen und eine Gehaltsobergrenze

Folgerichtig wurde Fassones Business Plan von der Uefa als unrealistisch eingestuft und abgewiesen. Überraschend war aber die Härte, mit der die Uefa reagierte. Milan wurde für zwei Jahre von allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen, als erster Spitzenklub überhaupt. Die „Rossoneri" legten umgehend Berufung vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) ein und forderten einen Vergleich mit den Bilanzen von Paris Saint-Germain und Manchester City. Die Einnahmen des französischen und des englischen Meisters werden durch externe Investoren künstlich aufgebläht, auch das bedeutet eigentlich einen klaren Verstoß gegen das FFP. Der Cas erklärte die Strafe der Uefa vor etwa einer Woche dann als unverhältnismäßig, Milan darf also doch in der Europa League antreten. Zuvor muss sich der Klub jedoch mit der Uefa auf ein neues Settlement Agreement einigen. Die italienischen Medien spekulieren über harte Auflagen, eine Gehaltsobergrenze oder sogar regelmäßige Kontrollen des operativen Geschäfts.

Die Verhandlungen führen wird dann Paolo Scaroni, ein bekannter italienischer Manager und der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Rothschild Investment Bank. Der bekennende Milan-Anhänger ist seit wenigen Tagen neuer Klubpräsident, nach dem Desaster mit dem Chinesen Li möchte er Milan zu seinen Wurzeln zurückführen. Als neuer Sportdirektor wurde bereits der Brasilianer Leonardo vorgestellt. Schon in der Ära Berlusconi hat der 46-Jährige in dieser Funktion gearbeitet, er war auch Spieler und Trainer bei Milan. Leonardo soll seinem früheren Teamkollegen Gennaro Gattuso bereits zugesichert haben, dass dieser auch in der nächsten Saison Milan-Trainer bleiben wird. Neuer Vizepräsident könnte laut dem „Corriere della Sera" Vereinslegende Paolo Maldini werden. Maldini spielte nie für einen anderen Klub, kein anderer Spieler hat öfter das Trikot der „Rossoneri" getragen, seine Rückennummer drei wird bei Milan nie wieder vergeben. Eine Rückkehr von Maldini wäre auch ein Signal an den abwanderungswilligen Bonucci: In stürmischen Zeiten geht der Kapitän eigentlich als Letzter von Bord.

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