8 subscriptions and 2 subscribers
Article

Überall schwarzer Rauch

Bild: Imago

Der italienische Verband kann sich auf keinen Präsidenten einigen, jetzt muss sogar das Olympische Komitee einschreiten. Nach wie vor versperren sich die Ewiggestrigen im Calcio gegen notwendige Reformen.

Wenn die Dinge scheitern, dann sprechen sie in Italien vom fumata nera, der emporsteigt aus dem Gebäude, in dem die Dinge gerade gescheitert sind. Eine dichte Wolke von diesem imaginären schwarzen Rauch haben Beobachter und Beteiligte am Montagabend über dem Hilton Hotel di Fiumicino am Flughafen von Rom ausgemacht. Dort traf sich die Beletage des italienischen Fußballs eigentlich, um die Zukunft ihres antiquierten Calcio einzuleiten. Die Wahl des neuen Verbandspräsidenten gestaltete sich dann aber noch peinlicher als die verpatzte WM-Qualifikation der Nationalmannschaft. Auch wenn die "Squadra Azzurra" in den Play-Offs gegen die Schweden kopflos und ohne jegliche spielerische Inspiration ins Verderben rannte, zumindest den Willen konnte man ihr ja nicht streitig machen. Das Scheitern empfanden viele gar als die langersehnte Chance auf Veränderung. Verbandspräsident Carlo Tavecchio und Nationaltrainer Giampiero Ventura wurden aus ihren Ämtern gefegt, plötzlich war der Weg frei für Leute mit Ideen und Visionen.

Nichts wurde es aber mit dem erhofften Führungswechsel, die alten Herren aus Italiens Fußballgremien verstrickten sich lieber in ihre üblichen Machtspielchen und persönlichen Aversionen. Auch nach vier Wahlgängen kam am Montag keiner der drei Kandidaten auf die erforderliche Mehrheit, weshalb das Vakuum an der Spitze des Calcio im nächsten halben Jahr vom Italienischen Olympischen Komitee (CONI) mit einem kommissarischen Verbandschef gefüllt werden muss. Am Donnerstagabend wurde bekannt gegeben, dass CONI-Generalsekretär Roberto Fabbricini den italienischen Fußball vorübergehend aus seiner sportlichen und strukturellen Krise führen soll. 

 "Ich habe das Handicap, nur ein Fußballer zu sein"

Dabei hätte zumindest einer der Kandidaten einen Neuanfang einleiten können. Damiano Tommasi, ehemals Mittelfeldspieler in der "Squadra Azzarra" und beim AS Rom, hatte ein Programm im Gepäck, das den Calcio von Grund auf reformieren sollte. Unter anderem forderte er U21-Mannschaften der Profiklubs in der Serie C, moderne Jugendleistungszentren als Voraussetzung für Erstligalizenzen oder die Einführung eines Sportdirektors für die Nationalmannschaft. Dass so viel Veränderung keine Unterstützung finden würde, wusste der Vorsitzende der Spielergewerkschaft bereits vorher. "Ich habe das Handicap, nur ein Fußballer zu sein", klagte Tommasi bereits vor der Wahl über die zementierten Machtverhältnisse im Calcio.

Ebenfalls angetreten waren Cosimo Sibilia, Präsident der Amateurliga, und Gabriele Gravina, Chef der dritthöchsten Spielklasse in Italien, der Serie C. Drei Personen hatten noch nie für das höchste Amt im italienischen Fußball kandidiert. »Ein Rekord, aber gewiss kein positiver«, schrieb die Zeitung »La Repubblica« über dieses Dilemma. Für die erforderliche Zweidrittelmehrheit wäre nämlich Kooperation von Nöten gewesen, mindestens einer der Kandidaten hätte einen anderen mit den Stimmen seiner Delegierten unterstützen müssen. Es war eine Pattsituation mit Ansage. Natürlich stimmten die jeweiligen Lager nur für ihren eigenen Kandidaten. Erster Wahlgang, fumata nera. Zweiter Wahlgang, fumata nera. Im dritten Wahlgang entschieden sich Tommasi und seine Unterstützer dann dafür, das Spektakel ganz zu boykottieren und nur noch leere Stimmzettel abzugeben. »Wir brauchen Veränderung und unserer Meinung nach kann keiner der beiden Kandidaten diese repräsentieren«, erklärte Tommasi. 

Es war ein demonstrativer Akt gegen die Ewiggestrigen, die den italienischen Fußball seit Jahrzehnten auf der Stelle treten lassen. Sibilia gilt als der verlängerte Arm von Silvio Berlusconi in den Fußballsport, seit der ehemalige Ministerpräsident seinen AC Mailand dem dubiosen chinesischen Investor Li Yonghong überließ. Neben seiner Tätigkeit als Chef der Amateurligen arbeitet er als Senator für Berlusconis konservative Partei Forza Italia. Universitätsdozent Gravina trat mit der Empfehlung an, eine Spielklasse zu leiten, in der jedes Jahr gefühlt fünf Klubs Insolvenz anmelden müssen. Die dringende Revolution im Calcio hätte es unter keinem der beiden gegeben.

Leere Stimmzettel abgegeben

Dann der vierte und letzte Versuch, eine Stichwahl. Tommasi, der Kandidat mit den wenigsten Stimmen, war bereits raus – das Schmierentheater erreichte aber jetzt seinen Höhepunkt. Sibilia stimmte eigentlich zu, eine Präsidentschaft von Gravina zu unterstützen, machte dann aber kurzfristig einen Rückzieher. »Zum Wohle des Fußballs«, wie Sibilia später erklärte. Claudio Lotito, der Präsident von Lazio Rom, vermutet aber einen anderen Grund dahinter: Urbano Cairo, Präsident vom AC Turin, sowie Giuseppe Marotta, Sportdirektor von Juventus, hätten hinter den Kulissen interveniert, um eine Präsidentschaft von Gravina zu verhindern. Die Delegierten von Sibilia jedenfalls gaben nun ebenfalls leere Stimmzettel ab, insgesamt machten sie nun 59 Prozent aus. Fumata nera, jetzt endgültig.

»Das war eine vorhersehbare Schande, mit drei Kandidaten war kein anderes Ergebnis möglich«, schimpfte Massimo Ferrero, der Präsident von Sampdoria Genua. »Die Menschen schauen uns dabei zu, wie wir nicht den Ball, sondern individuelle Interessen in den Mittelpunkt stellen.« Der Calcio jedenfalls wurde in seine vielleicht bisher tiefste Führungskrise manövriert. Wie es weitergehen soll, weiß niemand. Ein neuer Nationaltrainer soll erst bestimmt werden, wenn der Verbandspräsident nicht mehr nur kommissarisch ist. Bis dahin wird Luigi Di Biagio, eigentlich Trainer der U21, die »Squadra Azzurra« betreuen. Selbst die anstehenden Verhandlungen um die Fernsehrechte der Serie A könnten ausgelagert werden: Javier Tébas, der spanische Ligapräsident, soll sie übernehmen – so wollen es zumindest Cairo und einige andere einflussreiche Männer im Calcio. 

Original