Von Thomas Fritz
Erfurt. "Was für ein schwuler Schuss", hallt es über das Grün von Vimaria Weimar. Ein Spieler kommentiert seinen eigenen, vergebenen Versuch. Vielleicht geläufige Fußballer-Sprache, vielleicht nur eine kleine Spitze, aber vielleicht auch eine homophobe Äußerung. Denn beim lockeren Kick der Altherren steht auch Marcus Urban mit auf dem Platz - 41 Jahre alt, ehemaliger Spieler der DDR-Nachwuchsoberliga bei Rot-Weiß Erfurt, bekennender Homosexueller.Früher hätte ihn so eine kleine Provokation, dieses "Grenzen ausloten", wie er es nennt, womöglich gekränkt. Heute kontert er selbstbewusst: "Das war ein schwuler Schuss!", nachdem er Momente später den Ball wuchtig in die Maschen hämmert. Er nimmt es mit Humor und sorgt damit für Gelächter bei den Mitspielern.Es ist Ende August 2012. Zum ersten Mal seit 1993 steht Urban in seiner Heimatstadt im Stadtteil Tröbsdorf wieder auf dem Platz.Das gesellschaftliche Klima für Homosexuelle hat sich seitdem verbessert - und doch ist manches beim Alten geblieben, gerade im Fußball. Schwäche, mangelnde Körperlichkeit, eine labile Psyche - alles vermeintlich Merkmale schwuler Männer - haben dort nichts zu suchen, so noch immer eine weit verbreitete Meinung. "Das Fußball-Stadion ist das letzte Reservat echter Männlichkeit", sagt die Berliner Ethnologin Tatjana Eggeling, eine der führenden Expertinnen für Homosexualität im Sport.Das Outing eines aktuellen Fußball-Profis in Deutschland steht zwar noch aus. Aber Eggeling, die mit Urban in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) als Expertin sitzt, ist sich sicher: "Der Fußball nähert sich diesem Moment". Es wird wohl keine fünf Jahre mehr dauern, glaubt Marcus Urban. In ihrer Überzeugung bestärkt die Aktivisten ein jüngst veröffentlichtes Interview mit einem schwulen Bundesligaspieler, der anonym blieb. Wohl ein weiterer Schritt zur Enttabuisierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel ermutigte daraufhin homosexuelle Profis zum Outing, auch Bayern-Präsident Uli Hoeneß äußerte sich zuversichtlich.Einer der wenigen Skeptiker ist ausgerechnet der ehemalige Präsident des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli, Corny Littmann, selbst bekennender Homosexueller. "Für einen schwulen Profi-Fußballer würde das Outing aktuell das Ende seiner Karriere bedeuten. Er müsste befürchten, dass er innerhalb seiner Mannschaft und des Vereins Probleme bekommt."Doch ist ein Doppelleben nicht vielleicht das viel größere Problem? Marcus Urban kennt es nur zu gut: durch harte Fouls oder Beschimpfungen besonders männlich wirken, markige Sprüche klopfen, mit Frauengeschichten den Schein des "Normalseins" wahren. Nur um ja nicht aufzufallen. Es sind die Leiden eines "Versteckspielers", so auch der Titel seines 2008 erschienenen Buches, das der Thüringer am Donnerstag bei einer Lesung im Fanprojekt von Carl Zeiss Jena präsentiert.Für den talentierten Mittelfeldspieler Marcus Urban, der früher Marcus Schneider hieß, war Angst immer Teil seiner verheißungsvollen Junioren-Laufbahn bei Rot-Weiß Erfurt. Zwischen 1986 und 1989 ist er gar Jugendnationalspieler. Er befindet sich auf Augenhöhe mit großen Namen wie Frank Rost, Bernd Schneider oder Thomas Linke.Doch von den späteren Bundesliga-Stars unterscheidet ihn die Angst - die blockiert. Angst aufzufallen, Angst, als zu weich zu gelten, Angst, den Macho-Attitüden vieler Fußballer nicht zu genügen. "Es war ein Dauerschmerz, der nicht aufhört, und ein enormer Kräfteverschleiß, durch den man sein Potenzial nicht voll abrufen kann", beschreibt er das jahrelange Verschleiern seiner Sexualität.Der Schrecken kennt auch konkrete Situationen: eine gesellige Zusammenkunft gestandener Rot-Weiß-Profis mit nachrückenden Talenten Mitte der 1980er-Jahre. Wie so oft traf man sich im "Roten Schloss", dem Clubhaus in der Arnstädter Straße. Drei der Älteren erzählen feixend wie sie einen Jungspund im Training durch überharte Fouls brutal piesackten. Ohne besonderen Grund, wie sich Urban erinnert. Der Schrecken fährt ihm in die Glieder, ein Schlüsselerlebnis. Was würden sie erst mit einem "Warmduscher" machen? Er, der mit seinen Gefühlen damals völlig einsam war und glaubte krank zu sein, sagt rückblickend: "Hätte ich das Versteckspiel weiter gemacht, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben."Weil er die ständigen Lügen irgendwann leid ist, beendete der talentierte Mittelfeldspieler 1994 nach einem Abstecher nach Italien seine junge Sportlerlaufbahn. Danach outet er sich in seinem Umfeld.
Original
Erfurt. "Was für ein schwuler Schuss", hallt es über das Grün von Vimaria Weimar. Ein Spieler kommentiert seinen eigenen, vergebenen Versuch. Vielleicht geläufige Fußballer-Sprache, vielleicht nur eine kleine Spitze, aber vielleicht auch eine homophobe Äußerung. Denn beim lockeren Kick der Altherren steht auch Marcus Urban mit auf dem Platz - 41 Jahre alt, ehemaliger Spieler der DDR-Nachwuchsoberliga bei Rot-Weiß Erfurt, bekennender Homosexueller.Früher hätte ihn so eine kleine Provokation, dieses "Grenzen ausloten", wie er es nennt, womöglich gekränkt. Heute kontert er selbstbewusst: "Das war ein schwuler Schuss!", nachdem er Momente später den Ball wuchtig in die Maschen hämmert. Er nimmt es mit Humor und sorgt damit für Gelächter bei den Mitspielern.Es ist Ende August 2012. Zum ersten Mal seit 1993 steht Urban in seiner Heimatstadt im Stadtteil Tröbsdorf wieder auf dem Platz.Das gesellschaftliche Klima für Homosexuelle hat sich seitdem verbessert - und doch ist manches beim Alten geblieben, gerade im Fußball. Schwäche, mangelnde Körperlichkeit, eine labile Psyche - alles vermeintlich Merkmale schwuler Männer - haben dort nichts zu suchen, so noch immer eine weit verbreitete Meinung. "Das Fußball-Stadion ist das letzte Reservat echter Männlichkeit", sagt die Berliner Ethnologin Tatjana Eggeling, eine der führenden Expertinnen für Homosexualität im Sport.Das Outing eines aktuellen Fußball-Profis in Deutschland steht zwar noch aus. Aber Eggeling, die mit Urban in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) als Expertin sitzt, ist sich sicher: "Der Fußball nähert sich diesem Moment". Es wird wohl keine fünf Jahre mehr dauern, glaubt Marcus Urban. In ihrer Überzeugung bestärkt die Aktivisten ein jüngst veröffentlichtes Interview mit einem schwulen Bundesligaspieler, der anonym blieb. Wohl ein weiterer Schritt zur Enttabuisierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel ermutigte daraufhin homosexuelle Profis zum Outing, auch Bayern-Präsident Uli Hoeneß äußerte sich zuversichtlich.Einer der wenigen Skeptiker ist ausgerechnet der ehemalige Präsident des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli, Corny Littmann, selbst bekennender Homosexueller. "Für einen schwulen Profi-Fußballer würde das Outing aktuell das Ende seiner Karriere bedeuten. Er müsste befürchten, dass er innerhalb seiner Mannschaft und des Vereins Probleme bekommt."Doch ist ein Doppelleben nicht vielleicht das viel größere Problem? Marcus Urban kennt es nur zu gut: durch harte Fouls oder Beschimpfungen besonders männlich wirken, markige Sprüche klopfen, mit Frauengeschichten den Schein des "Normalseins" wahren. Nur um ja nicht aufzufallen. Es sind die Leiden eines "Versteckspielers", so auch der Titel seines 2008 erschienenen Buches, das der Thüringer am Donnerstag bei einer Lesung im Fanprojekt von Carl Zeiss Jena präsentiert.Für den talentierten Mittelfeldspieler Marcus Urban, der früher Marcus Schneider hieß, war Angst immer Teil seiner verheißungsvollen Junioren-Laufbahn bei Rot-Weiß Erfurt. Zwischen 1986 und 1989 ist er gar Jugendnationalspieler. Er befindet sich auf Augenhöhe mit großen Namen wie Frank Rost, Bernd Schneider oder Thomas Linke.Doch von den späteren Bundesliga-Stars unterscheidet ihn die Angst - die blockiert. Angst aufzufallen, Angst, als zu weich zu gelten, Angst, den Macho-Attitüden vieler Fußballer nicht zu genügen. "Es war ein Dauerschmerz, der nicht aufhört, und ein enormer Kräfteverschleiß, durch den man sein Potenzial nicht voll abrufen kann", beschreibt er das jahrelange Verschleiern seiner Sexualität.Der Schrecken kennt auch konkrete Situationen: eine gesellige Zusammenkunft gestandener Rot-Weiß-Profis mit nachrückenden Talenten Mitte der 1980er-Jahre. Wie so oft traf man sich im "Roten Schloss", dem Clubhaus in der Arnstädter Straße. Drei der Älteren erzählen feixend wie sie einen Jungspund im Training durch überharte Fouls brutal piesackten. Ohne besonderen Grund, wie sich Urban erinnert. Der Schrecken fährt ihm in die Glieder, ein Schlüsselerlebnis. Was würden sie erst mit einem "Warmduscher" machen? Er, der mit seinen Gefühlen damals völlig einsam war und glaubte krank zu sein, sagt rückblickend: "Hätte ich das Versteckspiel weiter gemacht, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben."Weil er die ständigen Lügen irgendwann leid ist, beendete der talentierte Mittelfeldspieler 1994 nach einem Abstecher nach Italien seine junge Sportlerlaufbahn. Danach outet er sich in seinem Umfeld.
Erfurts Kapitän spricht sich für Toleranz aus
2006 folgt das öffentliche Bekenntnis. Seitdem ist Urban einer der wenigen Ansprechpartner für homosexuelle Fußballer in Deutschland. Und von denen soll es nach seinen Informationen von der Nationalmannschaft bis in die unteren Ligen nicht wenige geben. Darunter einige "Ikonen des deutschen und des Weltfußballs", aktive wie bereits zurückgetretene.Urban berät als Personal Coach und Diversity Berater seit sechs Jahren Menschen in Krisen, darunter auch Schwule und Lesben. Obwohl er "gerne Profi geworden" wäre und vor dem Sprung in die 2. Bundesliga stand, findet er in seiner heutigen Tätigkeit "großes Glück". Er ist endlich angekommen.Zu zwei Bundesligavereinen, dem FC St. Pauli und Schalke 04, gibt es lose Kontakte. Urban, wie Tatjana Eggeling Mitglied im Netzwerk "Fußball gegen Homophobie", erhofft sich eine feste Zusammenarbeit, um die Anti-Diskriminierungsarbeit zu stärken. Ihr Ziel: mehr Vielfalt in den Stadien - auf den Rängen und auf dem Rasen.Aber was würde das öffentliche Outing eines Fußballers eigentlich für Folgen haben? Müsste sogar um die Sicherheit des Betroffenen gefürchtet werden? Wie reagieren die Mitspieler, die Gegenspieler, die Fans? Was passiert nach einem Trainerwechsel? Es wäre wohl ein schmaler Grat zwischen persönlicher Befreiung und unkalkulierbaren Reaktionen.Rot-Weiß-Kapitän Nils Pfingsten-Reddig, der laut eigener Aussage keine homosexuellen Spieler kennt, sagt: "Ich denke, dass im Fußball leider die Akzeptanz noch fehlt." Er würde den Betroffenen zwar zu einem Outing raten, da "ein Doppelleben sehr belastend sein muss", dies müsse aber jeder für sich abwägen.Pfingsten-Reddig hätte mit einem schwulen Mitspieler keine Schwierigkeiten: "Letztendlich spielen wir alle einfach nur Fußball." Ein starkes Signal, von denen sich Urban und Eggling noch viele weitere erhoffen.Original