Interview: Thomas Fritz
Herr Aris, zum fünften Mal werden Sie vor einer Fußball-WM mit ihrem Bildungsprojekt The Ball durch die Welt reisen und Unterschriften auf einem Ball sammeln. Derzeit arbeiten Sie im Azraq-Flüchtlingslager im Norden Jordaniens. Was tun Sie dort?
Andrew Aris: In dem Lager leben etwa 35.000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Wir wollen dort in den nächsten 13 Monaten mehrere Fußball-, Theater- und Kunstworkshops durchführen und dabei Werte wie Fairplay, Toleranz und Respekt vermitteln. Die Flüchtlinge sollen sehen, dass sich die Außenwelt um sie kümmert. Der Besuch von The Ball 2018 auf dem Weg nach Russland wird ein Highlight im Campalltag sein. Außerdem wollen wir es mit dem Versuch, so viele Unterschriften wie möglich in 24 Stunden auf einen Ball zu bekommen, ins Guinness Buch schaffen. Das Prinzip von The Ball ist ja simpel: Jeder, der den Ball einmal köpft oder passt, darf unterschreiben.
Was ist bis zur WM noch geplant?
Aris: Der Trip nach Moskau beginnt am 25. März. Traditionell starten wir im Battersea Park in London, wo 1864 das erste Spiel nach modernen Regeln ausgetragen wurde. Wir werden dann unterwegs Fairplayworkshops anbieten, bekannte Vereine besuchen und mit Leuten auf der Straße kicken und mit ihnen ins Gespräch kommen. Auf dem Balkan wollen wir Menschen aus dem Kosovo, Mazedonien, Serbien und Albanien, vielleicht auch Bosnien-Herzegowina und Kroatien zusammenbringen. Durch Spaß, Bewegung, Fußball, Kunst und Theater sollen Brücken entstehen.
Haben Sie auch Kontakt zum DFB?
Aris: Wir würden in Russland gerne mit der DFB-Elf eine Teambuilding-Maßnahme machen. Weil die Jungs viel im Hotel sind, kann etwas Abwechslung und Motivation sicher helfen. Davon abgesehen ist es das Ziel, dass sie alle den Ball signieren. 2014 hat Mats Hummels unterschrieben und ist dann Weltmeister geworden. Unser Botschafter Jürgen Klopp hat bereits zugesagt, mit anderen Prominenten und Vereinen stehen wir in Gesprächen.
Wie erlebt man eine WM, wenn man nicht einfliegt, sondern mühsam monatelang mit dem Pkw anreist?
Aris: Als wir 2010 nach 150 Tagen in Südafrika ankamen, war das sehr befremdlich. Überall waren Fußballtouristen, Karten konnten sich fast nur Weiße leisten. Ich habe mich in einem kleinen Dorf in Kenia wohler gefühlt. Das Eröffnungsspiel haben wir in Soweto in einem Park mit singenden, tanzenden Einheimischen verfolgt. Das war einfach großartig.
Und 2014, auf dem Weg nach Brasilien?
Aris: In Brasilien hat uns sehr geärgert, dass es eine Sperrzone um die Stadien gab, in denen lokale Händler nichts verkaufen durften. Der Konsum steht immer mehr im Mittelpunkt, die angebotenen Markenprodukte sind austauschbar - eine traurige Entwicklung. Wir haben daraufhin beschlossen, keine Partie im Stadion mehr anzusehen. Ich finde es schade, dass die lokale Fußballkultur bei einer WM kaum eine Rolle spielt. Und warum muss man Milliarden Euro in neue Stadien stecken, die sich die Städte nicht leisten können, anstatt wirklich was für die Menschen vor Ort zu tun, indem man auf Bildung baut und die Infrastruktur verbessert?
Hinter The Ball steht ihr Projekt Spirit of Football, eine Bewegung von Fußballfans, die an die gute Kraft des Fußballs glauben. Was könnte die Fifa von Ihnen lernen?
Aris: Bei der Fifa wird oft nur über Werte wie Fairplay, Respekt, Teamplay und Ehrlichkeit geredet, während sich die Funktionäre insgeheim durch Korruption die Taschen vollhauen. 2014 haben wir auf dem Weg durch die Schweiz angefragt, ob nicht ein Vertreter der Fifa auf unserem Ball unterschreiben würde. Dass wir eine Absage bekommen haben, fanden wir mehr als seltsam. Vielleicht wird sich unter der neuen Regie bei der Fifa etwas zum Positiven verändern.
Gab es während ihrer Projektreisen auch brenzlige Situationen?
Aris: Auf dem Weg nach Rio waren wir 2014 zwischen Guatemala-City und Antigua in einer Gegend, in der häufig Busse ausgeraubt wurden. Da war ich schon angespannt. Aber weniger wegen des Geldes, die meisten Sorgen habe ich mir um den Ball gemacht. Dessen Verlust hätte jederzeit das Ende der Reise bedeutet. Oder 2010 in einem Slum in Lilongwe, der Hauptstadt von Malawi. Ganz viele Kinder haben wild mit dem Ball gespielt, auf dem schon 14.000 Unterschriften drauf waren. Es wurde immer dunkler und ich habe gedacht: Wie wollen wir hier nur rauskommen? Ich hab mir den Ball geschnappt und wir sind durch einen Mob von Menschen zum Auto gerannt und weggefahren. Abends im Hotel habe ich dann mit dem Ball geschlafen. Der Ball ist heilig.
Was passiert eigentlich mit den Bällen?
Aris: Wir geben sie nicht wieder her, sie sind unbezahlbar für uns. Alle kommen bei Bildungsworkshops zum Einsatz, die 2002er – und 2006er–Bälle bei Spirit of Football in England, der von 2010 in Erfurt und das Leder von der WM 2014 bei Spirit of Football in Brasilien.
Kam er doch mal abhanden?
Aris: Leider zweimal. Das erste Mal 2010, als wir Südafrika erreicht hatten. Da haben wir uns so über unsere Ankunft gefreut, dass der Ball an einem Halt unbemerkt aus dem Auto gerollt ist. Wir haben das erst 14 Kilometer später gemerkt und ihn zurückgeholt. Ich hatte sehr viel Angst, konnte nicht mehr sprechen. Das zweite Mal passierte es 2014 in La Paz in Bolivien. Da hat ein Special-Olympics-Sportler den Ball seinem Kumpel geschenkt. Wir haben ihn stundenlang gesucht. Wir haben den Ball aber beide Male wieder bekommen. Man muss den Leuten vertrauen: Der Glaube an die Menschheit hat sich bis jetzt immer ausgezahlt.
Aris: Ich bin in Neuseeland aufgewachsen, das kapitalistisch geprägt ist. Beim Studium in den USA war der Materialismus noch stärker ausgeprägt. Durch die Fußballreisen habe ich gelernt, dass mir Konsum nicht wichtig ist. Ich brauche kein Auto, ich will kein Haus, ich habe keinen Fernseher. Liebe und Mitmenschlichkeit sind wichtiger als Dinge.
Und über die anderen Menschen?
Aris: Jeder Mensch hat Vorurteile. Mein Bild über Afrika war sehr geprägt von negativen Berichten im Fernsehen oder von Warnungen von Freunden und Bekannten. Wenn man die Leute vor Ort trifft, ergibt sich ein ganz anderer Eindruck. Die Vielfalt, Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit von Afrika begeistern mich noch heute.
Mit ihrem Projekt sind Sie auch in Thüringen aktiv. Wie ist die Arbeit dort?
Aris: Angesichts der vielen AfD-Wähler in Thüringen ist es wichtig, dass ein direkter Kontakt mit Ausländern hergestellt wird. Wir haben Teams aus Syrien und Afghanistan ausgebildet und gerade außerhalb Erfurts ist es oft das erste Mal, dass die Kinder und Jugendlichen bei den Workshops mit Flüchtlingen sprechen.
Wie reagieren sie dann?
Aris: Es wird deutlich, dass bei einigen Vorurteile und Ängste vorhanden sind. Es ist ein schönes Gefühl, wenn sich die Einstellungen verändern oder die Schüler zumindest zum Nachdenken angeregt werden. Wir freuen uns, dass es immer mehr Schulen gibt – nicht nur in Erfurt, sondern auch im Umland –, die mit uns zusammenarbeiten wollen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war übrigens Anfang Dezember der Erste, der den Ball für Russland in Erfurt unterschrieben hat, als er einen unserer Schulworkshops besuchte.