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Hooligan-Ausschreitungen in Leipzig: Gute Loksche, böse Loksche

Die von der Polizei im Leipziger Stadtteil Connewitz festgesetzen mutmaßlichen Hooligans. Foto: 11Freunde/imago

Unter den 200 rechten Hooligans, die in Leipzig wüteten, waren auch Anhänger von Lok Leipzig. Der Klub distanziert sich vom braunen Mob. Und bleibt hilflos.

Von Thomas Fritz

Leipzig. Eigentlich möchten sie sich beim 1. FC Lokomotive Leipzig, einem der erfolgreichsten Vereine der DDR-Oberliga, einfach nur mit Fußball beschäftigen. Der Klub spielt zum ersten Mal seit Jahren begeistert auf, der Zuschauerschnitt von 2.524 ist für einen Fünftligisten überragend, alles andere als der Aufstieg in die Regionalliga wäre eine große Enttäuschung. Spätestens 2020 will der Europapokalfinalist von 1987 in der Dritten Liga angekommen sein.

Doch der Überfall von mehr als 200 Neonazis und rechten Hooligans auf den alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz am ersten Geburtstag der islamfeindlichen Legida-Bewegung hat die Aufmerksamkeit wieder einmal auf die dunkle Seite des Kultklubs gelenkt. Neben Schlägern aus dem Umfeld des Halleschen FC waren polizeibekannte "Gewalttäter Sport" aus der Lok-Anhängerschaft beteiligt, wie die Polizei mitteilte. Auch aus Dresden reisten Teilnehmer an.

Zerstörte Schaufensterscheiben, explodierte Böller, ein Angriff auf das Vereinslokal des antirassistischen Fußballvereins Roter Stern Leipzig, fünf verletzte Polizisten - so die erschreckende Bilanz. Die Verantwortlichen des FC Lokomotive haben sich umgehend von den Taten und den Tätern distanziert, fast schon reflexartig. Wieder einmal. "Diese Kriminellen, die dort am Werk waren, sind keine Lok-Fans. Sie verkörpern nicht die Werte unseres Vereins - weder nach innen noch nach außen", hieß es in einer Erklärung. Zugleich wurden Hausverbote gegen alle angekündigt, die das Image des Vereins "in aller Öffentlichkeit mit Dreck besudeln". Zahlreiche Teilnehmer der Randale hatten blau-gelbe Fanutensilien getragen.

Die rechte Dominanz ist beendet - im Stadion

Aber von welchem Image ist da überhaupt die Rede? Richtig ist: Der Klub hat durch das Auftritts- und Erscheinungsverbot der gewaltbereiten und vom Verfassungsschutz beobachteten Fangruppierung "Scenario Lok" im Bruno-Plache-Stadion seit 2013 seine Außenwahrnehmung verbessert. 2014 verlängerten die Verantwortlichen die Maßnahme unbefristet, wenig später löste sich Scenario zur Erleichterung vieler Anhänger auf. Die jahrelange Dominanz der aktiven Fanszene durch rechte Stadiongänger ist passé.

Der Klub hat diese Entwicklung auch durch sein mittlerweile glaubwürdiges Eintreten für Toleranz und Weltoffenheit aktiv unterstützt. Schon längst wagen sich wieder mehr Familien in das baufällige Stadion mit der denkmalgeschützten Holztribüne, auf der sich nicht mal Sportdirektor Mario Basler eine Fluppe anzünden darf.

Auch schon mal ein menschliches Hakenkreuz

Aber es gibt da noch das andere Image, das Nazi-Image. Auch im rechten Hooliganmilieu ist die »Loksche«, wie der Verein in Leipzig genannt wird, seit Jahren Kult. Daran hat sich trotz des Wandels wenig geändert. 2003 wurde der Klub nach der Insolvenz des VfB Leipzig wiedergegründet, mit am Tisch saß ein stadtbekannter Neonazi. Rechte Hooligans formten im Stadion schon mal ein menschliches Hakenkreuz, die NPD warb zeitweise Wähler unweit der Stadiontore – und immer wieder gab es Randale. Die alten Geister verfolgen Lok bis heute.

Nach aktuellen Zahlen des Sächsischen Innenministeriums werden dem Oberligisten zur Saison 2015/16 150 bis 200 Anhänger der Kategorie B (gewaltbereit/gewaltgeneigt) und 60 der Kategorie C (gewaltsuchend) zugeordnet. Dutzende gehören der rechten Szene an oder sympathisieren mit ihr.

Die Lok-Legida-Schnittstelle

Weil sie aber im heimischen Stadion nicht mehr geduldet werden, suchen sich einige immer häufiger eine andere Spielwiese. Lok-Hools machten zuletzt im Frühjahr bei einem Platzsturm während der Partie gegen die zweite Mannschaft von Rot-Weiß Erfurt Negativschlagzeilen. Oder sie treten – teils als Ordner, teils als Mitläufer – eben auf den islamfeindlichen Demonstrationen von Legida (»Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlands«) auf. Unter einem mittlerweile gelöschten Fake-Profil, mit dem öffentlichen Namen »Lokomotive Leipzig« und einem leicht abgewandelten Vereinslogo, wurde erst am Montag einem der Organisatoren von »NoLegida« öffentlich Gewalt angedroht, wie die Leipziger Internet Zeitung berichtete.

Die personifizierte Lok-Legida-Schnittstelle hieß Marco Prager. Der langjährige Fan und Mitgründer der Islamfeinde hat sich nach Drohungen der linken Szene gegen seine Familie mittlerweile zurückgezogen. Dagegen ist Enrico Böhm, vorbestrafter NPD-Stadtrat mit Hooligan-Vergangenheit und Hausverbot beim 1. FC Lok, auf den Demonstrationen ein Dauergast.

Überfall ein Racheakt?

Als Legida-Mitgründer Silvio Rösler, einst Fan von Chemie Leipzig, im Vorjahr die »Sportfreunde von Lokomotive Leipzig« öffentlich zur Schutztruppe der heimkehrenden Demonstranten gegen Antifa-Angriffe erklärte, war es den Klub-Verantwortlichen dann doch zu viel: Sie erstatteten Anzeige wegen vereinsschädigenden Verhaltens und sprachen ein Hausverbot aus. »Wir haben alles getan, was möglich war«, zeigt sich Präsident Jens Kesseler angesichts der neuerlichen Negativschlagzeilen genervt. »Aber wie soll ein Fußballverein solche Taten wie in Connewitz verhindern?«

Angriffe auf gegnerische Fan-Gruppierungen oder -stützpunkte sind in der verfeindeten Leipziger Fußballlandschaft nichts Ungewöhnliches. Bei den Hooligan-Ausschreitungen vom Montag ging es jedoch um mehr als den Hass auf den antirassistischen Roten Stern, dessen Anhänger schon 2009 in der sächsischen Kleinstadt Brandis von Neonazis brutal attackiert worden waren. Der neuerliche Angriff galt offenbar der linken Szene Leipzigs als Ganzes, in ihrer eigenen Hochburg. Womöglich waren die Randale Teil einer Racheaktion: Erst vor wenigen Wochen war ein lokales NPD-Mitglied von Linken blutig geschlagen worden.

Wie geht es nun weiter? Beim 1. FC Lok haben sie die böse Vorahnung, dass es nur eine Frage der Zeit sein könnte bis neue Negativschlagzeilen drohen. »Gute Loksche, böse Loksche« – das wäre ein passender Titel für die Vereins-Chronik der letzten Jahre. In der Präsidiumssitzung am Montag gab es viele betretene Mienen, als man von den Gewalttaten in Connewitz erfuhr. »Gegen diese Leute«, betont Präsident Jens Kesseler, »haben wir außerhalb des Stadions, abgesehen von nachträglichen Hausverboten, einfach keine Handhabe.«

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