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Konzernverantwortungsinitiative: Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, hat ein Legitimitätsproblem

Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St.Gallen. Am kommenden Sonntag stimmt die Schweiz darüber ab, ob Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden können. Hier ordnet er die unterschiedlichen Argumente ein.

In der kommt man in diesen Tagen um die Farbe Orange nicht herum. Ob auf Transparenten auf Balkonen, großen Anzeigenkampagnen in Zeitungen oder Flyern im Briefkasten, in der Signalfarbe strahlt einem eine Botschaft entgegen: "Konzernverantwortung Ja!" Man befindet sich in der Schweiz im Abstimmungskampf. Am 29. November soll über die Frage entschieden werden, ob Unternehmen in stärkerem Maße für Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen rechtlich belangt werden können.

Mit der Initiative wollen die Befürworter international tätige Unternehmen zu einer größeren Sorgfalt und zu mehr Verantwortung in Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten verpflichten. Der zentrale Vorschlag lautet dabei vereinfacht gesagt, den Rechtsrahmen zu erweitern. Vergehen von Schweizer Unternehmen könnten bei der Annahme der Vorlage auch dann geahndet werden, wenn sie extraterritorial verschuldet sind, wenn also beispielsweise Menschenrechtsverletzungen oder Umweltvergehen bei einer Produktionsstätte eines Schweizer Unternehmens im Kongo oder bei einem Zulieferunternehmen in Bangladesch auftreten.

Zur Überraschung vieler stößt der Vorschlag auf eine recht hohe Zustimmung in der breiten Bevölkerung. Aktuelle Prognose deuten sogar darauf hin, dass er gute Chancen auf eine Annahme hat, auch wenn der Vorsprung schrumpft.

Weltweit sehr aufmerksam beobachtet

Es gibt ähnlich gelagerte Gesetze in anderen Ländern, die Unternehmen für Missstände in ihrer Wertschöpfungskette verantwortlich machen, wie durch den Modern Slavery Act in England oder im Rahmen des Sorgfaltsgesetzes in Frankreich. Auch in Deutschland werden derzeit unter der Bezeichnung Lieferkettengesetz neue Regulierungen zur Verantwortungsübernahmen und besondere Sorgfaltspflichten von Unternehmen diskutiert.

Besonders aber die nun anstehende Volksabstimmung in der Schweiz wird weltweit sehr aufmerksam beobachtet, denn von einer Annahme der Konzernverantwortungsinitiative in der sonst wirtschaftsliberalen Schweiz könnte eine wichtige Signalwirkung ausgehen. Die Initiative könnte ein Zeichen setzen, das weit über die Grenzen des Alpenstaates reicht, mit der Botschaft: Die Gesellschaft toleriert bestimmte Auswüchse einer kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht mehr; sie verlangt von Unternehmen, sich für eine nachhaltige Zukunft einzusetzen und duldet keine Verletzungen von menschlichen Grundrechten - gleichgültig wo sie vonstattengehen.

Der Kapitalismus sieht sich mit Legimationsdiskursen konfrontiert, das zeigt die anstehende Abstimmung nahezu lehrbuchmäßig. Manch ein Unternehmensvertreter, einige (nicht alle) Unternehmensverbände sowie besonders Politiker der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei (SVP) legen sich als Gegner der Initiative besonders ins Zeug und packen allerlei Rhetorik aus. Natürlich werden dabei die klassischen Pakete geschnürt: Die Annahme der Konzernverantwortungsinitiative würde Arbeitsplätze kosten, von den Interessen der Shareholder spricht man lieber nicht. Sie wäre ein Standortnachteil für die Schweiz. Oder die Frage müsste gleich international geregelt werden, warum solle die Schweiz vorangehen.

Warnung vor neokolonialen Tendenzen

Zugleich wissen die Gegner der Initiative, dass sich besonders gegen Menschenrechte nicht gut argumentieren lässt. (Schweizer) Ökonomie sticht Menschenrechte - das ist nicht nur ethisch kritisch, sondern verfängt vor allem in der Gesellschaft nicht länger. Deshalb argumentieren die Gegner eher so: "In der Sache sind wir uns ja einig, aber die Mittel sind die falschen." Statt gesetzliche Regulierung - das Wort Bürokratie darf hier in der Rhetorik nicht fehlen -, sollten die Ziele besser über Selbstverpflichtungen realisiert werden; maximal über eine Berichtspflicht durch Unternehmen.

Flankierend versucht man sich in einem moralischen Diskurs zur Delegimation der Gegenseite einerseits und zur Legitimation der eigenen Position andererseits. Die Moralisierung gegen die Wirtschaft durch die Befürworter sei störend und unangemessen, formulierte beispielsweise die Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter kürzlich. Sie schreckt dabei auch nicht davor zurück, zu behaupten, die Initiative beinhalte eine Umkehrung der Beweislast, bei der ein angeklagtes Unternehmen seine Unschuld beweisen müsse. Das freilich ist schlichtweg Humbug. Oder man sieht, wie der Jurist Peter Hettich, neokoloniale Tendenzen und fragt im Namen der Freiheit: "Ist eine Schweizer Intervention nicht respektlos gegenüber dem Gaststaat?"

Gleichgültig, ob die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz angenommen wird oder nicht, sie sollte wirtschaftsnahen Thinktanks und Wirtschaftsverbänden weltweit sehr klar vor Augen führen, dass eine vordergründige Rhetorik als Mittel zur Legitimation wirtschaftlichen Handelns nicht mehr ausreicht. Die Gesellschaft fordert von Unternehmen aus guten Gründen eine authentische und reale Übernahme von Verantwortung für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten ein, notfalls eben über ordnungspolitische Maßnahmen.

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