Tür auf, Tür zu. Richter, Anwälte und Angeklagte gehen rein und raus. Wir – die Zuschauer – stehen auf, um nur darauf zu warten, uns einige Sekunden später wieder zu setzen. Es ist ein absurdes „Theaterspiel“, das uns am Oberlandesgericht in München geboten wird.
Schauplatz ist ein sehr beengend wirkender Gerichtssaal, der sich für mich aber ziemlich schnell als eine Art Wartezimmer entpuppt. Die Protagonisten beschäftigen sich anderweitig und machen nicht den Eindruck, irgendetwas zur Haupthandlung beitragen zu wollen. Gemeint ist der Prozess des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Er ist einer der größten Prozesse seit den Gerichtsverfahren der terroristischen Vereinigung „Rote Armee Fraktion“ (RAF).
1. Akt
Die anwesenden Akteure werden eingeführt. Beate Zschäpe, eine von den drei führenden Kräften der Terrorzelle NSU, ist des zehnfachen Mordes, des mehrfachen Mordversuches, des vielfachen Raubüberfalles und der schweren Brandstiftung angeklagt. Im Gerichtssaal sitzt sie nun mit durchgestrecktem Rücken auf der Anklagebank, wirkt aber trotzdem nervös. Den Kopf stützt sie auf ihre Hände. Ihre drei Verteidiger sind noch nicht da.
In der gleichen Reihe, nur drei Plätze weiter, sehe ich den Angeklagten André Eminger, der ein alter Vertrauter des NSU ist. Abwechselnd starrt er auf seinen PC und sein Handy und stützt dabei sein Kinn auf seiner rechten tätowierten Hand ab. Ich bin erstaunt darüber, dass die Angeklagten überhaupt ihre mobilen Endgeräte hier nutzen dürfen. Emingers Botschaft ist klar: Er gibt sich erst gar keine Mühe, überhaupt Interesse zu zeigen.
Hinter ihm sitzt der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, der sich in sehr vertrauter Weise mit seiner Anwältin unterhält. In der letzten Reihe kann Holger Gerlach seinen Blick kaum von dem vor ihm liegenden Tablet entziehen. Seine nach vorne gekrümmte Haltung, die von wippenden Bewegungen begleitet wird, verrät seine innere Anspannung. Immer wieder greift er in seine rechte Hosentasche, um ein Päcken Maoam herauszuholen.
Kurz bevor Zschäpes Anwälte kommen, taucht auch Carsten Schultze mit Krücken im Gerichtssaal auf. Schultze wie auch Gerlach müssen sich wegen Beihilfe zum Mord beziehungsweise wegen Unterstützung der Terrorzelle NSU vor Gericht verantworten.
Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer nimmt links neben ihr Platz. Rechts von ihr setzen sich ihre zwei anderen Anwälte – Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Sie packen nicht nur ihre Laptops und Unterlagen aus, sondern auch einen grünen Apfel. Stahl kann ihn gerade noch vor seinem Ordner und neben dem Tischmikrofon in Position bringen, bevor Heer uns mit seinem erfolgreich durchgebrachten Antrag auf eine einstündige Unterbrechung ziemlich überrascht in die Pause entlässt. Der erste Akt dauert keine 10 Minuten.
2. Akt
Vom zweiten Akt erwarte ich mehr. Wobei ich auch dieses dumpfe Gefühl nicht loswerde, dass der dritte und vierte Akt ausfallen werden und wir unmittelbar auf Akt 5 – das Ende zusteuern. Mein Gefühl soll mich nicht täuschen. Doch bis der 2. Akt endlich anfängt, zückt Zschäpe hinter ihrem Stuhl eine grau-braune Tasche und holt einen Stift und einen Zettel mit einem Kreuzworträtsel heraus. Bei dem Wort Kreuz-Wort-Rätsel schießt mir die Frage durch den Kopf wie das Symbol des Kreuzes, das an der gegenüberliegenden Wand hängt, wohl auf sie wirkt oder ob sie es überhaupt wahrnimmt.
Meine Gedanken werden von Zschäpes Verteidigern unterbrochen, die jetzt wieder den Gerichtssaal betreten. In der Zwischenzeit hat die Hauptangeklagte ihr Rätsel wieder weggesteckt, und versucht jetzt eine Bonbondose zu öffnen – vergeblich. Anwalt Heer hilft ihr. Er macht das Klebeband von der Bonbondose ab und reicht sie wieder Zschäpe. Was für ein groteskes Bild lässt diese Szene von einer Frau entstehen, die des zehnfachen Mordes angeklagt ist?
Und überhaupt erscheint es mir so, dass es nicht die Angeklagten, sondern deren Requisiten sind, die etwas sagen wollen. Ich wünsche mir zwar noch, dass die Protagonisten endlich miteinander in Aktion treten. Doch statt die Handlung voranzutreiben, fordert Zschäpe durch ihren Verteidiger Heer, dass eine Figur – Anwältin Anja Sturm – nicht mehr mitspielen darf.
Dabei sein darf aber noch der hellgrüne Apfel auf der Anklagebank in der ersten Reihe. Ob ihm wohl auch die stickige Luft zu schaffen macht, die sich mittlerweile im Gerichtssaal breit gemacht hat und hauptsächlich der Lethargie der Hauptfiguren geschuldet ist? Naja, lange muss der Apfel nicht mehr aushalten, denn die Verhandlung wird abgebrochen.
3. und 4. Akt fallen leider wegen Zickerei zwischen Zschäpe und Sturm aus
5. Das Ende
Was bleibt sind die Requisiten der Angeklagten, die die Handlung ausmachen und die absurde Situation im Gerichtssaal unterstreichen. Besonders in Erinnerung bleibt mir der grüne Apfel. Majestätisch thront er nun vor dem Münchner Oberlandesgericht auf dem schwarzen Aktenkoffer des Verteidigers Stahl und wartet nur darauf, gefressen zu werden.
Theresa Meier
Original