Sie fuhren als ehrenamtliche Seenotretter raus aufs Meer. Zwei Wochen lang patrouillierten sie vor der libyschen Küste und retteten hunderte Menschenleben. Das hat Spuren in ihnen hinterlassen, wie diese Fotos und Interviews zeigen.
Von Theresa Leisgang und Moritz Richter
Merlin guckt in die Kamera. Seine Augen strahlen, ein Lächeln umspielt seine Lippen, er ist zu allem entschlossen. In ein paar Stunden wird er mit 15 Ehrenamtlichen in See stechen, für ihn ist es das erste Mal an Bord des Rettungsschiffs von Sea-Watch. Zwei Wochen später, wieder ein Foto: Die Erschöpfung steht ihm ins Gesicht geschrieben, er hat tiefe Ringe unter den Augen, runzelt die Stirn. In Gedanken ist er noch draußen auf dem Meer, wo er mit der Crew Hunderte Menschenleben rettete und Zeuge eines Völkerrechtsverstoßes wurde.
Die Menschen, die Sea-Watch rettet, fliehen aus dem Bürgerkriegsland Libyen, wo Milizionäre nicht nur die berüchtigten Folterlager kontrollieren, sondern auch die Posten der Küstenwache besetzen. Am 10. Mai 2017 brachten diese selbsternannten Küstenwächter ein Holzboot auf und verschleppten alle Insassen zurück nach Libyen. Seither häufen sich solche Vorfälle. 30.000 Menschen sollen vergangenen Sommer zurück nach Libyen gebracht worden sein, oft aus internationalen Gewässern. Das verstößt gegen internationales Recht. Trotzdem hält die Europäische Union an ihrer Unterstützung der „Libyschen Küstenwache“ fest.
Anfang Mai haben Überlebende beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage eingereicht. Durch die Kooperation mit der Küstenwache habe Italien im November ein Schiffsunglück mit über 20 Toten provoziert. Aus einem geleakten EU-Bericht ging hervor, wie unberechenbar die Aktionen der „Libyschen Küstenwache“ sind. Die Grünen und die Linke haben deshalb ein Ende der Kooperation mit Libyen gefordert. Das gibt den Seenotrettern Hoffnung.
Wir haben ein Jahr nach ihrem Einsatz noch einmal mit der Crew gesprochen. Vielen kommt es vor, als seien sie erst gestern zurückgekommen. Alle hat die Zeit auf See tiefgreifend verändert.
zuerst erschienen im Tonic Magazin. Außerdem hier:
https://www.profil.at/shortlist/ausland/seenotretter-mittelmeer-vorher-nachher-10088145
https://mosaik-blog.at/fluechtlinge-mittelmeer-seenotretter-seawatch/
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