Die Malediven haben ein Problem: Wohin mit dem vielen Müll, der auch von den Touristen kommt? Weil die Regierung lange nichts tat, setzen Hotels nun auf eigene Konzepte. Um die Umwelt zu schützen - und sich selbst.
Der Mundschutz hilft nicht. Der beißende Gestank frisst sich durch den dünnen Filter, brennt in der Nase, setzt sich im Haar fest. Müll, soweit das Auge reicht. Kleine Feuer schwelen in Abfallhaufen, sie entzünden sich in der sengenden Mittagshitze von selbst.
Müllwagen donnern vorbei, wirbeln Staub auf und der Himmel, sonst Postkarten-Blau und leuchtend, ist fahl und grau über Thilafushi. Dieser Ort mit dem hübschen Namen, der übersetzt „seichte Lagune" bedeutet, ist die Müllinsel der Malediven. Ein Ort, der eher an den Drehplatz für einen Zombiefilm erinnert, als an ein Urlaubsparadies.
Jedes Jahr besuchen rund 1,3 Millionen Touristen die Malediven, ein Inselreich aus über 1000 Inseln, davon gerade einmal 200 bewohnt. Kaum einer liebt die Malediven so sehr wie die Deutschen, nur aus China kommen mehr Reisende.
Was die meisten nicht wissen: Die Malediven haben ein Müllproblem. Fast der gesamte Abfall des Inselreiches landet auf Thilafushi. Im Stundentakt kommen Frachtschiffe an, voll beladen mit Abfall, 400 bis 600 Tonnen pro Tag. Der unsortierte Abfall wird abgekippt und aufgeschichtet, jeden Tag wächst Thilafushi in Höhe und Breite. Über die Hälfte des Mülls kommt von den Touristenresorts.
Doch ein Umdenken hat eingesetzt: Immer mehr Resorts entwickeln inzwischen nachhaltige Konzepte. Durch ungewöhnliche Ideen werden die Ferienanlagen und Touristen so Teil der Lösung, statt nur Teil des Problems zu sein. Und dank der neuen, seit November amtierenden Regierung besteht die Hoffnung, dass Umweltschutz auch offiziell stärker als bisher im Fokus steht.
„Der Tourismus ist maßgeblich verantwortlich dafür, dass die Regierung angefangen hat, überhaupt Umweltgesetze zu erlassen und sich um das Abfallmanagement zu kümmern. Sie haben gemerkt, dass unsere Natur und unsere Korallenriffe das wichtigste sind, was die Malediven Touristen zu bieten haben", sagt Shaahina Ali in ihrem Büro in der Hauptstadt Malé.
Sie ist die lokale Direktorin der Umweltschutzorganisation Parley for the Oceans, die unter anderem mit der Sportmarke Adidas zusammenarbeitet: Aus Plastikmüll, der an den Stränden der Malediven eingesammelt wird, werden zum Beispiel Tennisschuhe und T-Shirts hergestellt. Shaahina Ali ist Malediverin, leidenschaftliche Taucherin und beobachtet die Müllsituation seit Jahren.
Eine der Hauptursachen für das Müllproblem sei die fehlende Aufklärung der Bevölkerung. „Gerade auf kleineren Inseln besteht oft kein Bewusstsein für Umweltschutz und erst recht kein vernünftiges Müll-Management", sagt Shaahina Ali. Früher wurde der wenige Abfall, der anfiel, verbrannt oder verrottete am Strand.
Mit den Touristen kamen nicht nur Plastikflaschen, sondern auch der Wohlstand. Der Konsum der Malediver wuchs - und damit der Müll. Einige Maßnahmen wurden in den vergangenen Jahren getroffen: Die Malediven erheben hohe Einfuhrzölle für Plastiktüten, die nicht biologisch abbaubar sind. Außerdem wurde eine Öko-Abgabe von sechs Dollar pro Nacht und Gast eingeführt, mit der Umweltschutzprojekte gefördert werden sollen. An Schulen wurde Einweg-Plastik verboten.
Doch diese Schritte reichen nicht, zumal der Staat den Tourismus massiv ausbauen will. Sieben Millionen Urlauber sollen pro Jahr auf die Malediven kommen, hieß es 2018 aus dem Umweltministerium. Eine Zahl, bei der man innerlich nach Luft schnappt: siebenmal so viele Touristen wie bisher. Wie soll das ohne eine Umweltkatastrophe möglich sein? Denn konkrete Auflagen für die Ferieninseln, etwa ein generelles Verbot von Einweg-Plastik, gibt es bis heute nicht.
Es scheint also bei den Resorts zu liegen, die Umwelt zu schützen - und damit ihre Existenzgrundlage. Ein ökologisches Urlaubs-Konzept passt erfreulicherweise zum globalen Zeitgeist: Coffee-to-Go-Becher fasst kaum noch jemand guten Gewissens an. Und das preisgekrönte Foto des Seepferdchens, das sich mit seinem Schwanz an ein Wattestäbchen klammert, kriegt man auch nicht mehr aus dem Kopf. Bei den vielen Umweltsünden, die man zu Hause täglich begeht, wollen viele wenigstens im Urlaub ein ruhiges Öko-Gewissen haben - vom Kerosinverbrauch für die Flugreise mal abgesehen.
Ein Resort, das sich mit seinem ökologischen Konzept abhebt, liegt im Laamu-Atoll, rund 30 Flugminuten von Male entfernt: das Fünf-Sterne-Resort „Six Senses Laamu". Es liegt auf einer eigenen Insel. Wer mit dem Schnellboot darauf zusteuert, erlebt die Malediven von ihrer Instagram-würdigsten Seite: Türkisfarbenes Wasser, weiße Strände, luxuriöse Bungalows, die von wenigen Stangen getragen frei über dem Meer zu schweben scheinen.
Ein Luxusresort wie aus dem Bilderbuch. Doch das „Six Senses Laamu" gilt als einer der wichtigsten Vorreiter für nachhaltigen Urlaub auf den Malediven. Denn das Resort hat Plastik den Kampf angesagt: Die Gäste sollen während ihres Aufenthaltes nicht damit in Berührung kommen.
Wer einen Cocktail bestellt, bekommt einen Trinkhalm aus Papier, auf dem Zimmer und im Bad stehen Duschgel und Sonnencreme in Spendern aus Keramik, die gesamte Einrichtung ist aus natürlichen Materialien gefertigt - selbst der Kugelschreiber auf dem Schreibtisch ist aus Holz. Und die Getränke kommen in Glasflaschen, die auf der Insel selbst abgefüllt werden.
„Wir wollen den Gästen zeigen, auf wie viel Plastik jeder im täglichen Leben durch kleine Veränderungen verzichten kann", sagt Megan O'Beirne. Die gebürtige Kalifornierin ist die Nachhaltigkeitsmanagerin der Ferieninsel. Dieser Job ist noch eine Besonderheit - bislang leisten sich nur wenige Luxushotels auf den Malediven eigene Nachhaltigkeitsmanager.
Mehrmals pro Woche führt O'Beirne Gäste zu einer Nachhaltigkeitstour über das Gelände. Sie zeigt, wo das Trinkwasser des Resorts aufbereitet wird und wie die alten Glasflaschen wiederverwertet werden. Teil der Tour ist auch eine Werkstatt, in der aus alten Handtüchern des Resorts Blumentöpfe gemacht werden - die sogar ziemlich gut aussehen.
Schwierig ist die Stromversorgung der Insel, bei der Planung der Anlage wurde nicht genug Fläche für Solarzellen vorgesehen. Nun muss eine Lösung gefunden werden, um die Dieselgeneratoren zu ersetzen. „Die sind furchtbar für die Umwelt", sagt O'Beirne, und verzieht das Gesicht.
Wer möchte, kann auf die von Einheimischen bewohnte Nachbarinsel Mamendhoo fahren. Hier hat das Resort gemeinsam mit dem Entwicklungshilfeprogramm der Vereinten Nationen eine Abfallverwertungsanlage finanziert. Es liegt zwar immer noch viel Unrat herum - doch die Insel ist viel sauberer als andere im Atoll ohne Müllmanagement. So wird auch weniger Dreck an die Strände des Resorts gegenüber geschwemmt.
Bis 2022 soll das „Six Senses Laamu" vollkommen frei von Einweg-Plastik sein. Doch ob das gelingt, ist fraglich - denn auch wenn die Gäste während ihres Urlaubs kein Plastik zu sehen bekommen, ist bisher viel davon nötig, um ihren Aufenthalt zu ermöglichen. In den Lagerräumen der Küche etwa stapeln sich verschiedene Lebensmittel, in Plastik verschweißt. Viele Großhändler böten keine alternativen Verpackungen an, erklären die Mitarbeiter.
Ideen für ein Leben mit weniger Plastik bekommen die Urlauber allerdings viele - ob für zu Hause oder für unterwegs. Wer umweltfreundlicher reisen will, kann damit anfangen, eine Trinkflasche aus Edelstahl statt Plastikflaschen zu kaufen und sich eine Bambuszahnbürste zulegen, so der Tipp der Nachhaltigkeitsmanagerin. Auch empfehlenswert: Müll wie leere Batterien wieder mit nach Hause nehmen und dort entsorgen.
Andere Resorts auf den Malediven verfolgen ebenfalls nachhaltige Ansätze. Die Konzepte ähneln sich in den Grundzügen, setzen aber oft verschiedene Schwerpunkte. Das „Coco Palm" im Baa-Atoll im Westen der Malediven betreibt zum Beispiel ein umfangreiches Schutzprogramm für Meeresschildkröten.
Das Luxushotel „Soneva Fushi" im gleichen Atoll ist stolz auf sein „Waste to Wealth"-Programm, mit dem eines Tages alle Abfälle vollständig wiederverwertet werden sollen - und die Gäste somit keinen Müll mehr produzieren. Und im „Baros"-Resort in einem der östlichen Atolle können Urlauber lernen, wie man Korallen aufforstet, um so die Riffe zu schützen.
Wer Wert auf ökologisches Reisen legt, sollte vergleichen, welcher Aspekt einem persönlich besonders wichtig ist. Schwieriger wird es beim Preis, denn bislang findet Nachhaltigkeit auf den Malediven eher im Luxus-Segment statt. Doch es gibt auch einige Ausnahmen.
Der Schweizer Christophe Groh betreibt „The Barefoot Eco Hotel" auf der Insel Hanimadhoo, nördlich der Hauptstadt Male gelegen. Groh war in den 70er-Jahren das erste Mal auf den Malediven, mit dem ökologischen Konzept seines Hotels will er dazu beitragen, das Paradies, das er damals entdeckte, weiter zu erhalten.
„The Barefoot" verzichtet auf Plastikflaschen, setzt vermehrt auf Solarzellen statt auf Dieselgeneratoren und arbeitet beim Umweltschutz viel mit den Bewohnern der Insel zusammen, erklärt Groh. Gemeinsam richteten sie eine Anlage zur Müllsortierung ein, an der Schule organisiere das Hotel außerdem Unterricht über Umweltschutz.
Bei den Urlaubern stellt Hotelbesitzer Groh fest, dass sie sich vermehrt für Nachhaltigkeit interessieren. „Viele Gäste suchen vielleicht nicht gezielt nach einem Öko-Hotel. Aber wenn ein nachhaltiges Konzept sie überzeugt, kann das den Ausschlag geben." Besonders Gäste aus Europa und Nordamerika würden oft erzählen, dass sie „The Barefoot" wegen des ökologischen Konzepts ausgesucht hätten.
Einfach sei es aber nicht, als kleines Hotel auf den Malediven nachhaltig zu wirtschaften. Große Hotel-Ketten hätten es da leichter, weil sie Produkte in größeren Mengen bestellen könnten, sagt Groh. Seit kurzem verwendet „The Barefoot" zum Beispiel Trinkhalme aus Bambus, um auf Plastik zu verzichten.
„Ich bekomme von Lieferanten manchmal zu hören, dass sie nur Bestellungen ab 100.000 Stück annehmen", klagt der Hotelbesitzer. Das sei für ein kleines Haus wie seines natürlich Quatsch. Dafür könne er als alleiniger Besitzer des Hotels schneller Entscheidungen treffen als große Kettenhäuser.
Doch neue Ideen umzusetzen ist auf den Malediven nicht einfach. „Es hat fast acht Monate gedauert, bis wir endlich die Formalitäten für die Einfuhr der Bambus-Trinkhalme geklärt hatten."
Von der Regierung konnte man bislang bei solchen Problemen keine Hilfe erwarten. Unter dem autoritär regierenden Präsidenten Adulla Yameen interessierte man sich für Nachhaltigkeit nur, wenn Wahlen anstanden, sagt Groh. „Es gibt kaum Vorschriften für Resorts, was Umweltschutz angeht. Und wenn, dann sind sie veraltet."
Es ist möglich, dass sich das nun ändert: Seit November amtiert auf den Malediven ein neuer Präsident, Ibrahim Mohamed Solih. Er gilt als erfahrener, demokratisch eingestellter Politiker und enger Vertrauter des früheren Präsidenten Mohamed Nasheed. Dieser wurde weltberühmt durch seine Kabinettssitzung unter Wasser, mit der er auf die Gefahr für die Malediven durch den steigenden Meeresspiegel aufmerksam machte. Unter Nasheed, der von 2008 bis 2012 regierte, wurde einiges für den Umweltschutz getan.
Solih will daran offenbar anknüpfen. Zu einer seiner ersten Amtshandlungen gehörte die Ansage, innerhalb der ersten 100 Tage seiner Regierung Einwegplastik aus den Ministerien und dem Büro des Präsidenten zu verbannen. Die Nutzung von Plastiktüten und PET-Flaschen habe ein „alarmierendes Ausmaß" auf den Malediven erreicht, sagte Solih.
Wie ernst es ihm mit striktem Umweltschutz ist, bleibt abzuwarten. Dringender Handlungsbedarf besteht jedenfalls. Während Thilafushi immer weiter wächst, wurde auf einer Insel nördlich der Hauptstadt vor kurzem eine Fabrik eröffnet, in der 10.000 Plastikflaschen abgefüllt werden können - pro Stunde.
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. und Six Senses. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.