1 subscription and 2 subscribers
Article

Obdachlosigkeit: Wie sieht eine Stadt aus, die auch Platz für Obdachlose hat?

Wenige Menschen kennen die hiesige Obdachlosenszene wohl so gut wie Susanne Peter. Als die Gruft vor 30 Jahren aus einem Schülerprojekt entstand, war die damals 16-Jährige dort, um obdachlose Wiener und Wienerinnen mit Schmalzbrot und Tee zu versorgen. Drei Jahrzehnte später kennt sie die Probleme obdachloser Menschen sehr gut und hat noch immer keinen Einzigen getroffen, der gerne auf der Straße lebt. "Viele erzählen am Anfang, wie gut es ihnen geht, oder etwa, dass die öffentliche Toilette, auf der sie leben, ihre Villa sei", erzählt sie vom Stolz obdachloser Menschen. "Niemand gibt gern zu, wie schlecht es ihm geht. Und wenn man mehrere Jahre auf der Straße gelebt hat, muss man sich erst wieder an den Gedanken eines eigenen Zimmers gewöhnen. Aber im Endeffekt ist noch kaum jemand von einem betreuten Wohnangebot wieder zurück auf die Straße gegangen."

"Viele sind misstrauisch"

Damit Obdachlose Streetworkern wie Susanne Peter überhaupt vertrauen, braucht es manchmal jahrelange Beziehungsarbeit: "Viele sind misstrauisch und glauben nicht daran, dass sie Anspruch auf Mindestsicherung oder Pension haben. Wir erklären ihnen ihre Rechte, nehmen Anträge für Mindestsicherung mit oder helfen bei der Dokumentenbeschaffung."

In einem Fall hat sie vier Jahre lang Vertrauen aufgebaut, bis sich jemand helfen ließ. Der Herr sprach überhaupt nur durch eine Klotür mit ihr, doch Peter kam regelmäßig wieder, hat mit ihm getratscht und ihm gesagt, dass sie sich Sorgen mache. "Wir geben niemanden auf", erzählt sie.

Gerade bei Menschen, die wegen einer psychischen Erkrankung auf der Straße leben, kann die Versorgung schwierig sein, aber im Notfall kommen für eine Sachwalterschaft sogar Richter und Gutachter in den Wald -oder eben dahin, wo die betreffende Person gerade lebt. Das ist nicht selbstverständlich, und grundsätzlich ist Peter mit der Situation in Wien auch nicht unzufrieden: "Die Stadt macht schon echt viel. Angefangen hat das, als Helmut Zilk 1994 die Toilette am Karlsplatz benutzen wollte, die von Obdachlosen besetzt war. Anstatt sie räumen zu lassen, entschied er, vermehrt Notquartiere bereitzustellen."

Nur für Wienerinnen und Wiener zugänglich

Ein Problem dabei ist, dass die städtisch finanzierten Quartiere nur für Wienerinnen und Wiener zugänglich sind, EU-Bürger und Personen aus den Bundesländern haben keinen Anspruch. "Das ändert sich nur im Winter, wo Notquartiere aufgestockt werden, damit niemand auf der Straße erfrieren muss. Dieses Kontingent bräuchten wir auch im Sommer, damit auch Nicht-Wiener die Option auf eine Unterkunft haben." Das betrifft Steirer genauso wie Ungarn. "In einer kleinen Ortschaft, wo es jeder mitbekommt, wenn ich obdachlos bin, ist es eben noch schambehafteter."

Außerdem wünscht sich Peter mehr leistbaren Wohnraum in Wien: "Das ist ein Teufelskreis: Ohne Einkommensbescheid bekomme ich keine Wohnung und ohne Meldezettel keine Arbeit. Von der Mindestsicherung kann ich mir aber nicht mehrere Tausend Euro Kaution ersparen, die man für viele Wohnungen braucht." Hilfe leisten dabei sogenannte "Housing-First-Wohnungen", die von Vereinen angemietet werden und ohne Kaution und mit Betreuung bezogen werden können. Wenn alles klappt, können die Bewohner die Wohnung übernehmen.

Wir haben Raum für Kinder, Hundezonen, aber für obdachlose Menschen nicht

Das große Problem dabei sind die Hausverwaltungen: "Die Stadt würde einen Ausbau dieses Angebots finanzieren, aber viele Hausverwaltungen geben ihre Wohnungen nicht für ehemalige Obdachlose her." Diese fehlende Solidarität kennt Peter auch aus anderen Bereichen: "Manchmal beschweren sich Passanten über Obdachlose, einfach nur, weil sie eben da sind und schauen. Aber wem gehört der öffentliche Raum? Wir haben Raum für Kinder, Hundezonen, aber für obdachlose Menschen wird der Raum knapper. Mein Wunsch wäre ein bisschen mehr Toleranz von allen Seiten."

Wohnungslos in Wien - Die Fakten

Iraides Franz, Pressesprecherin des Fonds Soziales Wien, erklärt das Angebot der Stadt für Obdachlose.

" DATEN. 2016 werden für die Wiener Wohnungslosenhilfe rund 67 Millionen Euro (2015: 62 Millionen) aufgewendet. Damit werden rund 5.700 Wohn-, Schlaf- und Betreuungsplätze in 90 Einrichtungen bei über 20 Kooperationspartnern finanziert.

" VIELFALT. Das Hilfsangebot ist breit gefächert. Neben Erstberatung, Tageszentren und Nachtquartieren gibt es auch Straßensozialarbeit und medizinische Versorgung.

" ZUFRIEDEN. Laut einer aktuellen Befragung sind 92 Prozent der Betroffenen zufrieden mit den Diensten der Betreuer und Sozialarbeiter, 84 Prozent gehe es seit der Betreuung deutlich besser.

WINTERSORGEN. Wer im Winter den Schlafplatz von obdachlosen Menschen bemerkt, kann sich rund um die Uhr an das Kältetelefon (01/480 45 53) wenden, SozialarbeiterInnen suchen dann die genannten Personen auf und bieten Hilfe an.
Original