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torial Blog | Der lange Krieg der Verlage gegen Adblocker - ein Überblick

Im Kampf gegen Adblocker haben Verlage bisher eine Schlacht nach der anderen verloren. Den radikalsten Schritt hat allerdings lange keiner gewagt: die Aussperrung uneinsichtiger Adblocker-Fans. Bild.de macht das seit einigen Tagen. Das ist nur eine weitere Eskalationsstufe in einem Krieg, bei dem beide Seiten immer mehr aufrüsten.


Seit einer Woche sehen Adblocker-Nutzer*innen einen nüchternen Hinweis auf der Webseite der Boulevard-Zeitung: "Mit aktiviertem Adblocker können Sie BILD.de nicht mehr besuchen." Wer dennoch Artikel auf bild.de lesen will, muss entweder den Adblocker selektiv deaktivieren oder zahlen. Dafür wird ein neues Preismodell namens "BILDsmart" angeboten.


Beide Alternativen seien für den Verlag gleichwertig, teilt ein Verlagssprecher auf Nachfrage mit. Wie lange die ungewöhnliche Aktion laufen soll, stehe noch nicht fest. Die Adblocker-Initiative sei ein unbegrenzter Test, innerhalb dessen verschiedene Maßnahmen ausprobiert werden. Welche das sein werden, lasse sich genau noch nicht sagen. Der Verlag teste unter anderem technische Lösungen, um Anzeigen trotz aktiviertem Adblocker anzeigen zu können, so wie viele Mitbewerber auch.


Reise ins Unbekannte

Obwohl alle großen Verlage schon lange über Adblocker klagen, hat noch keiner gewagt, was bild.de jetzt macht. Was am Ende passiert, ist völlig offen. Handeln die Internet-User*innen tatsächlich im Sinne des Verlags, deaktiveren ihren Werbeblocker oder wählen alternativ den Bezahlaccount? Oder boykottieren sie in Zukunft bild.de?

Man gehe einen ganz neuen Weg und erwarte natürlich auch eine Auswirkung auf die Reichweite, meint der Springer-Sprecher. "Wir denken, dass unsere loyalen User BILD entweder durch Deaktivierung des Adblocker oder ein Abonnement von BILDsmart unterstützen." Es sei dem Verlag aber bewusst, dass man durch die Initaitive User verlieren könne. Und das könne sich auch im (für das Werbegeschäft normalerweise wichtigen) AGOF-Ranking der Unique User widerspiegeln, was nicht unbedingt eine Katastrophe sein müse: "Ein Nutzer, der einen Adblocker nutzt, kann aber nicht vermarktet werden, er trägt zum Geschäftsmodell nicht bei!"


Nicht ganz werbefrei

BILDsmart kostet monatlich 2,99 Euro. Auch über dieses Abo surft man jedoch nicht komplett werbefrei. Es sollen 90% der Anzeigen wegfallen und zwar die komplette Adserver-basierte Werbung. Das beinhaltet alle animierten Werbe-Banner sowie Video-Werbung, aber auch unter anderem Pop-Ups und Pop-Under, wie der Springer-Sprecher erläutert. "Es sind lediglich einige native Werbeformate und interne Verlinkungen zu Partner-Angeboten weiter online zu finden, da diese häufig kontextuell zum Inhalt ausgespielt werden (z. B. ein Film-Streaming passend zum Artikel oder ein Music-Download passend zur Musik-Vorstellung), da diese aus unserer Sicht ein Service-Angebot darstellen." BILDsmart-Abonennten wird zudem eine bis zu 50% schnellere Ladezeit in Aussicht gestellt, was vermutlich auf das Wegfallen von Adserver-Werbung zurückzuführen ist.


Zur bisherigen Bilanz der Werbeblocker-Initiative sagt der Sprecher nichts, sondern verweist auf ein Interview mit dem bild.de-Chef Julian Reichelt für das Branchenblog Meedia. Die ersten Ergebnisse seien "ausgesprochen motivierend", erzählte der. Bislang habe es nur leichte Schwankungen bei den Besucherzahlen (Visits) gegeben, und viele User*innen hätten ihre Adblocker schon ausgeschaltet. Tendenziell würden Leute natürlich vor allem den Adblocker deaktivieren und sich seltener für ein Bezahl-Abo entscheiden, es gebe aber schon eine "ermutigende Zahl" von BILDsmart-Abschlüssen.


Adblocker als originelles Geschäftsmodell

Im Interview schießt Reichelt scharf gegen den größten Anbieter Adblock Plus, dem er unlautere Methoden vorwirft: "Das Modell, das die fahren, ist das gleiche wie Schutzgelderpressung. Das funktioniert, solange alle stillhalten."

Hinter dem so gescholtenen Werbeblocker steht die 2011 gegründete Kölner Eyeo GmbH. Mit Adblock Plus betreibt das Unternehmen einen der wenigen deutschen Exportschlager im Internet. Nach Firmendarstellung existiert zudem eine aktive, unterstützende Open-Source-Community (die der Blogger und lautstarke Adblock Plus-Kritiker Sascha Pallenberg allerdings für eine Fake-Community hält). Nach Angaben des Eyeo-Pressesprechers Ben Williams nutzen mehr als 60 Millionen Leute täglich das Plugin. Allein 12 Millionen Firefox-User*innen surfen laut Mozilla-Statistik täglich damit, davon sind 3,7 Millionen deutschsprachig. Für Chrome sind nur vage Zahlen verfügbar, dort sind es zumindest mehr als 10 Millionen.


Was die Verlage am meisten wurmt: Während Adblocker lange Zeit meist unkommerziell betrieben wurden, hat sich die Eyeo GmbH in den letzten Jahren frech ein wohl äußerst lukratives Geschäftsmodell zusammengebastelt. Das Prinzip: Nicht alle Anzeigen werden ausgeblendet, sondern nur "störende Werbung". Durchgelassen werden "Acceptable Ads", vor allem "unaufdringliche" Textanzeigen, was in der Praxis besonders Google Adwords zugute kommen dürfte.


Medien mit solch unaufdringlichen Anzeigen kommen in eine Whitelist. Das Whitelisting lässt sich die Eyeo GmbH teilweise bezahlen, wobei nach eigenen Angaben nur größere und kommerzielle Portale zahlen müssen. Die Höhe richtet sich nach Kriterien wie der Reichweite und dem vermuteten Werbeumsatz. Wer wie viel zahlt, ist geheim. Kolportiert wird, dass Google mehrere Millionen zahlt, auch Amazon und Microsoft sollen dabei sein. Pallenberg bezeichnete das Ergebnis einst als "mafiöses Werbenetzwerk".


Expansion von Adblock Plus

Die Eyeo GmbH ist in letzter Zeit auf Expansionskurs. Anfang Oktober trat der ebenfalls starke Wettbewerber AdBlock dem Acceptable-Ads-Programm der Eyeo GmbH bei. AdBlock hat nach Eigenangaben 40 Millionen Nutzer*innen und ist der populärste Chrome-Werbeblocker. AdBlock war ursprünglich als nicht-kommerzielle Abspaltung von Adblock Plus entstanden. Hinter dem Whitelisting-Modell von Adblock Plus stehen darum mittlerweile etwa hundert Millionen User*innen. Zudem ist schon im September die kleinere iOS-Bezahl-App Crystal beigetreten. Es gibt Spekulationen, dass Adblock Plus den Wettbewerber AdBlock gleich ganz übernommen hat, was Eyeo-Pressesprecher Ben Williams aber als falsch bezeichnet.


Wie viele Leute die ebenso geliebten wie verhassten Adblocker genau nutzen, lässt sich schwer sagen. Eine Studie des großen Anti-Adblocking-Dienstleisters PageFair hatte zuletzt ermittelt, dass es 200 Millionen Adblocker-User*innen weltweit gibt, darunter 18 Millionen deutsche. Sie schätzten, dass Unternehmen weltweit etwa 20 Milliarden Dollar an Werbeeinnahmen entgehen. Die deutsche Branchenvereinigung Onlinevermarkterkreis (OVK) ermittelt seit einiger Zeit auf Grundlage von Daten der Mitgliedsunternehmen eine Adblocker-Rate. Nach den letzten Zahlen wird in Deutschland bei 21,2% aller Seitenaufrufe Werbung ausgeblendet. Diese Rate unterscheidet sich stark je nach Medium. Bei technisch orientierten Webseiten mit vorwiegend männlicher Leserschaft is sie deutlich höher, es werden immer wieder Zahlen von bis zu 60% genannt. Ein Vergleich mit Schätzungen des OVK von 2013, die bei 10-20% lagen, legt nahe, dass die Adblocker-Nutzung immer weiter zunimmt.


Und wie viele Einnahmen Medien nun tatsächlich entgehen, lässt sich schwer sagen, meinte der Gruner+Jahr-Manager und OVK-Adblocking-Experte Oliver von Wersch Ende August. Der Grund: die Budgets für Onlinewerbung steigen nicht automatisch, wenn es mehr Werbeeinblendungen gibt. Der wirtschaftliche Schaden durch Adblocker sei aber zumindest "erheblich".


Drei Schlachtfelder

Schon länger suchen Medienhäuser deswegen nach Rezepten gegen die grassierende Adblocker-Nutzung. Bisher waren sie damit nur wenig erfolgreich. Die kleine Kölner Firma tanzt ihnen seit Jahren auf der Nase herum. Der Kampf findet auf verschiedenen "Fronten" statt:


(1) Bitten um Verständnis Immer wieder gab es den Versuch, die Leser*innen im Guten zu überzeugen, doch wenigstens für ihr geliebtes Medium X das Adblocken zu unterlassen. Im Mai 2013 baten SZ, FAZ, Spiegel, Rheinische Post, Zeit und Golem ihr Publikum in einer konzertierten Aktion, den Werbeblocker für sie zu deaktivieren. Zeit online berichtete, dass die Adblocker-Nutzung danach um etwa 15% zurückgegangen war, bei Golem waren es 20 bis 25%. Andere berichteten Rückgänge um einige Prozentpunkte. Das Musikportal Laut.fm hatte Anfang 2013 seine Leser*innen mit aktivierten Adblockern eine witzige Animation vorgesetzt: „Ein Drittel aller Laut.de-Leser benutzen einen Adblocker. Du anscheinend auch. Leider können wir uns dadurch jeden dritten Buchstaben nicht mehr leisten." Dann verschwand jeder dritte Buchstabe aus dem Text. Der Adblocking-Anteil fiel von etwa 31 Prozent auf 26 Prozent, war dann aber wieder auf 29 Prozent gestiegen, erzählte der Geschäftsführer des Laut.de-Vermarkters Adflames Media Rainer Steffen rückblickend. Da die Rate aber dennoch unter dem Ausgangswert lag, wertete er die Kampagne als Erfolg. Eine wirklich durchschlagende Lösung schien das alles allerdings nicht gewesen zu sein. Erschwerend war, dass Adblock Plus schnell so angepasst wurde, dass die Banner der Kampagne nach wenigen Tagen ausgeblendet waren.


(2) Rechtliche Schritte Dann haben die großen Medien-Unternnehmen vor verschiedenen Gerichten versucht, gegen die Kölner Eyeo GmbH juristisch vorzugehen, bislang erfolglos. Im April 2015 erteilte das Landgericht Hamburg den Klagen von Zeit online und Handelsblatt eine Absage. Die hatten geltend gemacht, dass Adblock Plus unzulässig in ihr Geschäftsmodell eingreife und der Eyeo Gmbh Wegelagerei und Erpressung vorgeworfen. Im Mai scheiterten die Fernsehgruppen ProSiebenSat1 und RTL mit einer Klage vor dem Münchener Landgericht. Ende September gab es dann vo dem Landgericht Köln für den Springerverlag eine Absage. Das Gericht sah keinen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, da die User*innne sich autonom und selbständig für oder gegen die Nutzung eines Adblockers entscheiden können. Da einige der Medienhäuser die Urteile nicht akzeptieren wollen, wird über das Thema vermutlich irgendwann der Bundesgerichtshof entscheiden müssen. Der OVK-Experte von Wersch hatte als Plan B angekündigt, dass man unter Umständen auf politische Lobbyarbeit setzen müsse: "Wenn die gesetzlichen Grundlagen nicht ausreichen, gegen Adblocker vorzugehen, muss man vielleicht versuchen, etwas an der rechtlichen Situation zu ändern."


(3) Die Suche nach der Killer-Technologie Im Oktober 2013 ging das Gerücht durchs Netz, dass ein noch unbekanntes Startup einen Weg gefunden hat, Werbeblocker unwirksam zu machen. Auf Techie-Webseiten wie Pcgames oder buffed.de sah man plötzlich trotz aktiviertem Adblocker Werbeanzeigen. Von dieser Killer-Technologie hörte man aber bald nichts mehr. Vermutlich konnten die Leute hinter Adblock Plus sie nach kurzer Zeit ins Leere laufen lassen. Mittlerweile scheint es aber doch eine funktionierende Lösung zu geben. Laut Recherchen des Branchenmagazins Online Marketings Rockstars erkennt die Hamburger Software AdDefend Adblock-Nutzung und blendet alternative Werbung ein, die nicht blockiert werden kann. Das funktioniert so: Wird Werbung, wie meist üblich, von einem externen Adserver eingespielt, kann sie von Adblock Plus & Co. erkannt werden. Das geht aber nicht einfach so, wenn sie vom Server der jeweiligen Medienangebots stammt. Das, so heißt es, ist der Grund dafür, dass auf Seiten wie Focus.de und Wetter.com mittlerweile doch Werbebanner zu sehen sind.


Wer gewinnt?

Im Wettrüsten zwischen Adblockern und Verlagen ist immer damit zu rechnen, dass die jeweils letzte Killer-Lösung dann doch wieder ausgehebelt wird. Bisher ist das nicht geschehen. Kann das auch Springer passieren, so dass auch Adblock Plus-Nutzer*innen bald wieder wie gehabt auf bild.de zurückgreifen können?

"Das ist immer ein Katz-und-Maus-Spiel, aber wir sind nicht die, die es ,spielen,", meint Eyeo-Pressesprecher Ben Williams. Die Autoren der Open-Source-Community sei für die Pflege der Filterlisten für Adblock Plus zuständig, Und die Community habe in dem Fall noch keinen Filter für das Umgehen von Anti-Adblocking-Technologie geschrieben. Im Fall der Fälle werde man gegensteuern, meint hingegen der Sprecher des Springerverlags: "Wir arbeiten an diesem technisch äußerst ausgeklügelten Projekt seit geraumer Zeit und haben Mitarbeiter, die auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet sind. Aber natürlich ist so etwas vorstellbar, dagegen werden wir dann in jedem Fall auch juristische Schritte prüfen."


Vielleicht können die Verlage den langen Kampf gegen Adblocker nach vielen Niederlagen am Ende doch für sich entscheiden - oder die Gegenseite schafft es doch wieder, allen technologischen, juristischen oder sonstwie gearteteten Maßnahmen zu Trotz.

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