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Herkunft als Päckchen

Sie war auf dem Filmfestival in Cannes und reist auf die Filmfestivals in New York und London: Annika Pinske. Als persönliche Assistentin von Regisseurin Maren Ade war die Frankfurterin am Film Toni Erdmann beteiligt. Das Drama gilt als Anwärter für eine Oscar-Nominierung.

Es gibt Geschichten von Frauen und Männern, die schon im jungen Alter ganz genau wussten, was sie machen wollen - später, wenn sie einmal groß sind. Die Geschichte von Annika Pinske erzählt sich nicht so. Geboren in Prenzlau zog sie als Kleinkind mit ihrer Mutter in die Plattenbauten von Frankfurt-Neuberesinchen. "Es war wahnsinnig toll da groß zu werden", sagt sie. "Die Stadt war krass jung und voller Kinder." Heute steht das Haus, in dem sie aufgewachsen ist, nicht mehr. Ebenso wenig wie die Grundschule Geschwister Scholl. "Das macht was mit der Identität, wenn die Orte nicht mehr da sind", erklärt sie.

Frankfurt hat die 34-Jährige nach dem Abitur verlassen. Sie reist zunächst durch Australien und Asien und beginnt dann, weil sie nicht so recht weiß, was sie eigentlich will, ein Philosophie- und Literaturwissenschaftsstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Potsdam. "Philosophie schien mir wie eine gute Möglichkeit, meine Fragen an die Welt zu stellen", sagt sie und lacht. Doch das Studium ist ihr zu trocken, zu theoretisch. Sie sucht sich zusätzliche Aufgaben und hospitiert an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz bei den Regisseuren René Pollesch und Dimiter Gotscheff. Erste Erfahrungen im Metier hat sie bereits in Frankfurt bei der freien Theatergruppe am Theater im Schuppen gesammelt. "René hat mich stark beeinflusst in jungen Jahren", erzählt sie. Seine Bemühungen, philosophische Theorien an den Alltag zu knüpfen, imponieren ihr.

2009 beginnt die Frankfurterin neben ihrem Studium bei der Filmproduktionsfirma Komplizen Film zu arbeiten - ein bedeutsamer Schritt in ihrer Berufslaufbahn. Sie übernimmt logistische Aufgaben und kann sich inhaltlich einbringen. Eine ihrer Aufgaben besteht darin, Filmexposés, sogenannte Film-treatments, zu sichten. Dabei stellt sie fest: "Das ist gar nicht so weit weg von dem, was ich auch könnte."

Statt ihre Magisterarbeit zu schreiben und ihr Philosophiestudium zu beenden, entscheidet sie sich, sich fortan voll und ganz auf Film zu konzentrieren. "Diese Entscheidung war fast das Aufregendste", sagt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. 2010 bewirbt sie sich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin - so wie Hunderte andere auch. Das Bewerbungsverfahren ist anspruchsvoll. Am Ende schaffen es zwölf Bewerber, Annika Pinske ist eine von ihnen. Sie beginnt 2011 an den Hochschule Regie zu studieren.

Bis heute hat sie als Regisseurin und Drehbuchautorin drei eigene Kurzfilme realisiert von denen einer (Spielt keine Rolle) 2015 für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert war. Nebenbei hat sie einen Sohn zur Welt gebracht und als persönliche Assistentin von Maren Ade am Kinofilm Toni Erdmann mitgewirkt. "Regiearbeit ist eine sehr sensible Angelegenheit", sagt Annika Pinske. Man müsse herausfinden, was ein Schauspieler zum Arbeiten braucht. Einige wollten beispielsweise viel über ihre Figuren reden, anderen bräuchten nur wenige Anhaltspunkte. "Auf eine Anweisung reagieren zwei Menschen völlig verschieden", erklärt sie.

Für Toni Erdmann ist die 34-Jährige Maren Ade während der 56 Drehtage nicht von der Seite gewichen. "So nah an einer Regisseurin dran zu sein, und das als Regiestudentin, ist ein Geschenk", berichtet sie. "Dann brauchte ich aber auch Abstand von Maren", fügt sie an und lacht herzlich. Als Teil des Teams ist sie nun bei der Erfolgstour des Kinofilms dabei. Bei den Filmfestspielen in Cannes feierte Toni Erdmann Premiere. Ebenfalls in Cannes zu sehen war auch Annika Pinskes eigener Kurzfilm Homework im "Short Film Corner". Dort gewann er den Preis "Radi Award". Im kommenden Jahr wird der Siebenminüter als Vorfilm in französischen Kinos laufen.

In Homework geht es um die Beziehung zwischen einem jungen Vater (gespielt von Tim Kalkhof), der im Nachtclub arbeitet, und seiner zwölfjährigen Tochter (Emma Frieda Brüggler). "Eigentlich sind meine Filme immer Antithesen", sagt Annika Pinske. "Sie spielen in bestimmten Milieus, die man gerne verurteilt und meine Filme behaupten dann das Gegenteil, ohne zu beschönigen. Auch dort gibt es ja warme Momente", erklärt sie.


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