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Alleinerziehende: "Einsam zu zweit"

"Was, die Kleine geht erst um 23 Uhr ins Bett?" - solche Fragen muss sich Jeanette S. häufig anhören. Sie ist 28 Jahre alt, ihre Tochter Ava eineinhalb. Die Alleinerziehende holt auf einem Abendgymnasium in Darmstadt das Abitur nach. Das bedeutet: Schule von 18 bis 22 Uhr. Während die junge Mutter im Unterricht sitzt, verbringt ihre Tochter die Zeit in der Kinderbetreuung des Abendgymnasiums.

Ihre Lebensplanung sah anders aus. Als sie mit Ava schwanger wurde, lebte Jeanette S. in einer Beziehung, war zufrieden. Knapp ein Jahr nach Avas Geburt trennte sich das Paar. "Wenn irgendwas in einer Beziehung nicht stimmt, kommen diese Probleme noch viel mehr raus, wenn ein Kind da ist." Nun zieht die junge Frau ihre Tochter alleine groß, ist außerhalb der Schulzeit nahezu rund um die Uhr mit ihr zusammen. Als Alleinerziehende muss die 28-Jährige auf vieles verzichten: Zeit für sich oder Freunde bleibt ihr kaum noch. Sie steht immer unter Stress, fühlt sich häufig überfordert und leidet an Schlafproblemen.

Vor allem unter der Woche isoliert Jeanette S. sich von ihren Freunden - denn wenn sie sich mit ihnen trifft, ist Ava meist auch dabei. "Das ist ein zusätzlicher Stressfaktor", sagt die alleinerziehende Mutter. Ava ziehe die Aufmerksamkeit der Freunde auf sich. "Auf der einen Seite ist das schön, aber auf der anderen Seite kann ich mich nicht ganz auf diese Menschen einlassen und diese Menschen sich nicht ganz auf mich, weil da noch jemand ist: Ava." Das Sozialleben leidet: "Manchmal ist man so einsam, einsam zu zweit."


Alleinerziehende sind neben dem Druck, bei der Erziehung alles richtig zu machen, auch mit vielen anderen Problemen allein. Eine Befragung, die das Sozioökonomische Panel (SOEP) jährlich durchführt, zeigt: Alleinerziehende sind deutlich unzufriedener als verheiratete Eltern.

Jeanette S. fühlt sich mit ihrer Situation manchmal überfordert. Als größte Herausforderung sieht sie es, nicht die Nerven zu verlieren - etwa dann, wenn der durchstrukturierte Tagesablauf mal nicht so läuft wie geplant. Sie ist selbstkritisch: "Ich muss ständig auf jemanden eingehen, der sehr viel Aufmerksamkeit braucht, sehr viel Liebe und sehr viel Geduld - das gelingt mir nicht immer." Vor allem, wenn Ava schlechte Laune habe und viel weine, stoße die Mutter an ihre Grenzen.


Machen Kinder generell unzufrieden?


Diese Situation kennen auch Paare, die ihr Kind gemeinsam großziehen. Machen Kinder ihre Eltern also grundsätzlich zu unzufriedenen Menschen? Nein, zeigt die Befragung des SOEP aus dem Jahr 2015. Im Gegenteil: Verheiratete Paare mit Kindern sind zufriedener mit ihrem Leben als kinderlose Paare und Singles. Am unzufriedensten sind die Alleinerziehenden. Sie bewerten ihre Lebenszufriedenheit deutlich schlechter. Die liegt auf der Skala von 1 bis 10 mit 6,7 deutlich unter dem Durchschnitt der Befragten, der bei etwa 7,5 von 10 Punkten liegt.


Wie leben Alleinerziehende?


Jeanette S. hat einen Hauptschulabschluss. Um einmal Soziale Arbeit studieren zu können, braucht sie mindestens das Fachabitur. Deshalb besucht sie seit 2015 das Abendgymnasium.

Die junge Mutter wohnt mit ihrer Tochter in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Ohne soziale Förderung könnte sie sich diese gar nicht leisten - denn neben der alleinigen Verantwortung für ihr Kind plagen sie auch finanzielle Sorgen. Sie lebt von Hartz IV, dem Kindergeld und einem Unterhaltsvorschuss - Avas Vater zahlt keinen Unterhalt. Ungeplante Einschnitte bringen Jeanette S. in Not: "Ich verstehe immer noch nicht, warum, aber im letzten Monat hat das Amt nur die Hälfte der Miete überwiesen. Dann musste ich mir das Geld von meinen Eltern leihen. In solchen Momenten bekomme ich Panik." Die Spülmaschine steht seit einem halben Jahr ungenutzt in der Küche. Die Reparatur ist zu teuer. Den Babysitter für eine kurze Auszeit leistet sich die junge Mutter nur selten - 20 Euro gibt sie einem Bekannten dafür. Für sie ist das viel Geld.


Mütter in der Teilzeit-Falle


Viele Alleinerziehende seien von Armut betroffen, sagt Thomas Bahle, Soziologe an der Universität Mannheim. "Oft haben Alleinerziehende Probleme auf dem Arbeitsmarkt und bei der Kinderbetreuung." Das führe dazu, dass sie häufig in Teilzeit arbeiteten und wenig Geld verdienten – mehr als die Hälfte (57,7 Prozent) verfüge über ein monatliches Einkommen von maximal 1.500 Euro. Fast jeder Fünfte komme nicht über ein Einkommen von 900 Euro im Monat.

Im Vergleich mit den alleinerziehenden Müttern gaben in der SOEP-Befragung alleinerziehende Väter zweimal so häufig an, in Vollzeit zu arbeiten. "Alleinerziehende Männer sind eine spezielle Gruppe, das ist ja nicht der Normalfall", sagt Bahle. Dass sie deutlich öfter in Vollzeit arbeiten als alleinerziehende Frauen, liege daran, dass sie meist schon vor der Trennung gut auf dem Arbeitsmarkt integriert waren und häufig etwas ältere Kinder betreuten – das verbessere ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Frauen arbeiteten dagegen auch in Ehe und Beziehung oft in Teilzeit oder gar nicht. Nach einer Trennung sei es für sie dann schwierig, eine Vollzeitstelle zu bekommen. "Als Absicherung müsste man mehr Frauen ermutigen, erwerbstätig zu sein und auch während der Ehe schon in Vollzeit zu arbeiten", sagt der Soziologe.

Frauen verdienten außerdem immer noch deutlich schlechter als Männer – alleinerziehende Mütter treffe dieser Zustand besonders hart. Die Politik müsse die Chancen auf eine Vollzeitbeschäftigung auch für Frauen erhöhen und die Kinderbetreuung ausbauen, sagt Bahle. "Eine Lösung könnte auch sein, Alleinerziehende zu unterstützen, indem der Staat ihre niedrigen Löhne ausgleicht. In Ländern wie den USA oder Großbritannien wird das bereits gemacht. Da bekommen Arbeitnehmer mit wenig Lohn einen steuerlichen Zuschuss, eine Steuergutschrift sozusagen."


Anhaltende Katastrophe?

"Man fragt sich einfach, wie es mit einem Partner gewesen wäre", sagt Jeanette S., die momentan an einem Punkt ist, an dem sie sich nicht vorstellen kann, noch ein Kind zu bekommen. "Ich würde das halt alles nicht nochmal alleine machen wollen – und wer gibt mir die Garantie, dass eine Beziehung diesmal hält?"

Einige Probleme Alleinerziehender sind dieselben, die auch verheiratete Eltern haben. Aber Verantwortung und Sorgen lasten nur auf zwei statt vier Schultern. Die gegenseitige Unterstützung fehlt. Einen Nachmittag in der Woche passt die Mutter von Avas Vater auf ihre Enkelin auf. Der einzige Tag, an dem Jeanette S. vor der Schule "babyfrei" hat, wie sie sagt. Doch sobald sie zur Ruhe kommt, kommt ihre Erschöpfung durch. Statt zu lernen oder sich mit Freunden zu treffen, habe sie oft einfach nur das Bedürfnis, zu schlafen. Ihre eigenen Eltern leben im Odenwald und in Dortmund, beides über eine Autostunde entfernt. Zu weit weg, um die Tochter regelmäßig vor Ort zu unterstützen.




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