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Kleine Drachen, großes Herz

Hermann und Dominique Tomczak mit der sechsjährigen Lilou. © Schempp

Der achtjährige Rémi Tomczak ist an Krebs erkrankt. Vor zwei Monaten wurde ihm ein Gehirntumor entfernt. Seine Eltern bedanken sich für den Beistand in dieser schweren Zeit. Eine große Stütze ist die Carl-Orff-Schule, die den Weihnachtsgedanken weiterträgt. 


Zwei blaue Kuscheldrachen sind Rémis wichtigste Begleiter. Sie heißen Nounou und liegen auf Rémis Schulter, wenn er sich in seinem Krankenbett auf der Onkologie-Station 32-4 der Kinder- und Jugendklinik Frankfurt erholen muss: von seinen Schmerzen, den starken Medikamenten, dem Trubel, den der Alltag im Krankenhaus mit sich bringt. Der achtjährige Carl-Orff-Schüler kämpft gegen Metastasen, die Folge eines Gehirntumors. Hinter der Familie Tomczak liegt ein monatelanger Ärztemarathon. 

Alles begann im Frühjahr dieses Jahres mit Kopfschmerzen und starkem Erbrechen, erzählt Rémis Mutter Dominique bei einem Kaffee in ihrer Wohnung. Immer wieder sucht die Familie ihre Kinderärztin auf. Immer wieder werden die Eltern enttäuscht. Kein Bock auf Schule, zu viel Stress im Unterricht oder Magen-Darm sind einige der Erklärungen, die die Tomczaks zu hören bekommen. So lange, bis es fast zu spät ist. Eine MRT-Untersuchung im Bürgerhospital Frankfurt bringt am 11. September schließlich die Erklärung für Rémis Leidensweg: ein Tumor im Kleinhirn, so groß wie eine Kinderfaust. „Ein hysterisches Weinen, was man sonst nur im Fernsehen sieht", nennt Dominique Tomczak als ihre erste Reaktion. „Es kam mir so unwirklich vor, ich hab gesagt: Petz' mich doch mal!"

Seit dem Befund sind drei Monate vergangen. Rémi geht es schlecht. Durch die Chemotherapie hat er seine Haare verloren. Er befindet sich im sogenannten Zelltief. Die aggressiven Medikamente haben alle seine Zellen zerstört, die kranken wie die gesunden. An Rémis Schläfen kleben Pflaster. Er hat einen Schlauch mit Ventil im Kopf und einen Katheter in der Brust, durch die ihm die Arznei zugeführt wird. Eingemummelt in seine Lieblingsdecke sitzt der kleine Patient auf der Couch und spielt am Laptop „Minecraft". Tapfer lächelt er schief. Der Achtjährige spricht kaum. Zurückhaltend sei er zwar schon immer gewesen. Seit der Krankheit ziehe er sich mehr und mehr von der Außenwelt zurück in seine Computerspiele, sagt die 38-Jährige. Rémi ist ein starkes Kind, sagt seine Mutter voller Bewunderung für ihren Jungen. „Er ist unser Held." Vater Hermann vergleicht ihn mit einer Lokomotive, die alle gemeinsam vorwärts zieht.

Seit der Diagnose bekommt die Familie Unterstützung von allen Seiten: den Ärzten und Krankenpflegern, Psychologen, dem Elternbeirat, der Schule, Nachbarn und Verwandten. Herrmann Tomczaks Arbeitgeber, die PSI Software AG in Aschaffenburg, ermöglicht es ihm, von zuhause aus zu arbeiten. Beinahe täglich bekommen sie Postkarten aus aller Welt: Brasilien, Indien, Frankreich. Rémis Eltern sind erfüllt mit Dankbarkeit. „Es gibt uns so viel Kraft zu wissen, dass wir nicht alleine sind", sagt Rémis Mutter. In der Carl-Orff-Schule wird der Achtjährige schmerzlich vermisst. Beim Mittagessen wird jeden Tag ein Platz für Rémi mitgedeckt. Auch wenn seine Lehrerin Claudia David, die Schulsozialarbeiterinnen Sabine Becker und Filomena Condic sowie seine Mitschüler wissen, dass er so schnell nicht wiederkommt.

In einer gemeinsamen Aktion haben die Zweitklässler Weihnachtskarten gebastelt und anschließend verkauft. So kamen über 2 000 Euro für Rémi und seine Familie zusammen. Die Carl-Orff-Schule unterstützt jedes Jahr zu Weihnachten Hilfsbedürftige - nicht nur aus ihren eigenen Reihen. Beim Adventskonzert in der Nikolauskirche und dem Adventsbasar hat die Grundschule 1 000 Euro gesammelt. Das Geld geht zu gleichen Teilen an Kinder im Kongo und den Verein Hilfe für krebskranke Kinder in Frankfurt. „Der eigentliche Wert von Weihnachten ist der, sich vom Konsumrausch zu distanzieren und aufs Wesentliche zu besinnen", findet Schulleiterin Sabine Döring. Ihr sei es wichtig, dass das auch bei den Kindern ankommt. „Es ist für alle sehr ergreifend, aber wir haben ganz klar die Hoffnung, dass Rémi es schafft."

Daran glauben auch seine Mitschüler. Sie machen sich allerhand Sorgen: Ob Rémi den ersten Schnee genießen konnte? Ob ihm mit der Glatze kalt am Kopf ist? „Ich bin traurig, wenn es ihm nicht gut geht", sagt die kleine Marwa. „Er ist immer bei uns", versichert die Klassenlehrerin Claudia David. Was die Kinder besonders vermissen? „Ich mag einfach alles an Rémi", sagt Rafael. „Es macht viel mehr Spaß, wenn er da ist", versichert Joleen. „Ist Zahlix bei ihm?", fragt Finn besorgt und zeigt auf das Maskottchen der Drachenklasse. Was die feuerspeienden Fabelwesen so besonders macht? „Sie sind mutig", plappern die Kinder. Noch eine Eigenschaft verbindet sie miteinander: Drachen halten zusammen. Wie Rémi und Nounou, seine Begleiter im Krankenhaus.


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