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Der lange Weg in die neue Heimat

Marijam (Name geändert) ist von Afghanistan nach Deutschland geflohen. © Sven Westbrock

Ohne Eltern, dafür mit ihrem Sohn ist eine junge Frau vor ihrem gewalttätigen Ex-Mann aus Afghanistan geflohen. Wir haben mit ihr über die gefährliche Reise gesprochen. Und darüber, wie es ihr jetzt geht.

Das Kleid glänzt golden, das Kopftuch strahlt silbern. Es umrahmt das freundliche Gesicht der Frau, die im Besprechungsraum des Jugendhilfeträgers Impuls in der Bahnhofsstraße sitzt. Vor ihr steht eine Tasse Kaffee. In Deutschland ist Kaffee zu so etwas wie ihrem Lieblingsgetränk geworden, kannte sie ihn doch aus ihrer alten Heimat nicht. Die alte Heimat, das ist für sie Afghanistan.

Auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsstroms, im September 2017, kam die damals 17-Jährige gemeinsam mit ihrem Sohn nach Deutschland. Heute hat sie eine Wohnung und besucht regelmäßig einen Deutschkurs, während ihr Sohn in die Vorschule geht.


Angst vor Ex-Mann


Ihr Name ist in diesem Text Marijam. Eigentlich heißt Marijam, die zur Volksgruppe der Tadschiken gehört, anders. Aber frei über ihre Erlebnisse während der Flucht sprechen kann sie nur unter Pseudonym. Zu groß ist wohl die Angst vor dem gewalttätigen Ex-Mann, auch wenn der nun tausende Kilometer entfernt ist.

Für ihn sei sie nur die Drittfrau gewesen, erzählt Marijam. Zudem habe es Probleme zwischen ihrem Mann und ihrem Vater gegeben, so dass dieser, die Familie in Gefahr sehend, sich dazu entschieden habe, für die Flucht nach Deutschland zu sorgen. Möglichst weit weg sollte es gehen. Das Geld reichte aber nur für Marijam, ihren Sohn, zwei Brüder und eine Cousine. Vater und Mutter mussten in Afghanistan bleiben.

Von Kabul im Osten des Landes begaben sich die Flüchtenden gen Westen nach Herat. Eine Woche musste die Gruppe Marijam zufolge in einem Keller ausharren, ehe die Cousine Kontakt zu einem Schlepper herstellte, der sie über die Grenze in den Iran brachte. Dort hätten sie mit vielen anderen in einem hinter einer Dusche versteckten Raum warten müssen. Die Polizei sei zwar einmal in dem dazugehörigen Haus gewesen, habe das Versteck aber nicht gefunden. Statt ein paar Stunden, wie vom Schlepper versprochen, seien sie anschließend eine Woche Richtung Türkei durch eine steinige Felsenlandschaft gelaufen. Kaum Wasser und Essen habe es gegeben.

In Türkei angekommen, hätten sie nur noch die Sachen behalten dürfen, die sie am Köper trugen, bevor ein Bus sie über Ankara nach Istanbul brachte. Die Schlepper in der Türkei waren Marijams Beschreibung nach besonders brutal. Nachts holten sie ihr zufolge manchmal Mädchen zu sich, um sie zu vergewaltigen.


Cousine verschollen


Auch in Bulgarien blieb die Situation offenbar gefährlich. Beim ersten Mal von der Polizei zurückgewiesen, musste die Gruppe zwei Versuche unternehmen, um die Grenze zu überqueren. Marijam wurde von einem Bruder und ihrer Cousine getrennt. Ersteren sah sie erst später wieder, die Cousine bleibt verschollen.

Über Serbien, Kroatien und Österreich schafften es Marijam, ihr Sohn und der andere Bruder schließlich nach Deutschland. Zunächst fand sich Marijam in München wieder, ehe es sie nach Frankfurt zog. In der Nähe hat sie Verwandte. Eine Tante riet ihr, sich am Frankfurter Hauptbahnhof bei der Polizei zu melden. Doch Marijam wusste laut eigener Aussage zunächst gar nicht, was ein Bahnhof überhaupt ist. Und vor Polizei habe sie Angst gehabt, da sie auch diese auf den anderen Stationen ihrer Flucht als gewalttätig erlebt habe. Heute habe sie vor Polizisten aber keine Angst mehr.

In Deutschland genießt Marijam ihre neugewonnene Freiheit. Dass sie als Frau etwa alleine einkaufen geht, sei in Afghanistan nicht möglich gewesen. Auch habe sie inzwischen einen neuen Lebenspartner gefunden.

Als Asylbewerberin, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, darf sie nun mindestens bis 2020 in Deutschland bleiben. „Sie ist fit, fleißig, will viel erreichen und hat sich relativ viel selbst beigebracht", lobt Sozialarbeiterin Nadine Krückel, die sich bei der Stadt um minderjährige unbegleitete Flüchtlinge kümmert.

Was Marijam für ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland allerdings noch fehlt, ist eine Arbeitsstelle. Zeit hat sie dafür aber frühestens, wenn im Sommer der Deutschkurs zu Ende geht.

Am liebsten würde sie eines Tages als Krankenschwester arbeiten. Zwar ist es bis dahin noch ein weiter Weg, doch hat Marijam schon einmal bewiesen, dass sie lange Distanzen bewältigen kann.

Sven Westbrock

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