„Almost Heaven" - könnte problemlos auch der Albumtitel eines soft-rockigen Tonträgers sein, auf dem uns Axl Rose mit zehn bis zwölf Songs zwischen Mülleimer und Küchenspüle das Tanzbein schwingen lässt. Oder eben bei Kerzenschein und Rotwein zu melancholischer Stimmung animiert. Doch bei „Almost Heaven" zupft nicht der Guns and Roses-Frontmann die Saiten, sondern Johannes Herber schwingt Stift und Papier. Der Basketball-Star (ALBA BERLIN, Walter Tigers Tübingen, Fraport Skyliners) hat ein hochgelobtes und gleichzeitig kluges Buch über seine Karriere, die Faszination und die Abgründe des Profisports geschrieben. So erzählen es uns zumindest das grau-rote Cover und das Internet.
Moment: Herber, ein Basketball-Star? Hab ich da etwa einen wichtigen Moment der Korbjäger-Geschichte verschlafen? Ich schmeiße die Suchmaschine meines Vertrauens an und diese spuckt mir zahlreiche Bilder von den Kobe Bryants, Lebron James oder Kevin Durants dieser Welt aus. Dieser Nowitzki und sogar Nordkorea-Freund Rodman finden sich ebenfalls im Kreis der Erlauchten. Johannes Herber? Fehlanzeige. Schon klar, Buchrücken und Amazon-Text sind Verlagswerke. Ein Wunder, dass nicht im Nebensatz noch der große Blonde aus Würzburg auftaucht, mit dem der Jung-Autor gemeinsam das Trikot der Nationalmannschaft trug.
Doch diese Aufwertung haben weder Johannes „Joe" Herber, noch sein Erstlingswerk nötig.
Herber ist Familienvater, hat studiert, ist belesen, der Lieblings-Kolumnist der deutschen Basketball-Gemeinde und gleichzeitig einer der erfolgreichsten deutschen Baller aller Zeiten. College-Karriere an der West Virginia University mit Auszeichnung, Berlin, Tübingen, Frankfurt in der Beko BBL und 74 Länderspiele für den Deutschen Basketball Bund. Der 31jährige ist der Klebstoff, der ein Team zusammen hält und ihm das gibt, was nötig ist. Ein Rebound hier, ein Assist dort, ein Offensivfoul, ein wichtiger Dreier. Der gelernte Flügelspieler weiß, dass ein Wurf mit Brett kein Zufallsprodukt ist. Kurz: wer den Sport verstanden hat, weiß dass Johannes Herber ordentlich „Swagger" hat. Er ist „der etwas andere Profi".
Heute ist Herber Autor, lebt mit Kind und Kegel in der Hauptstadt und hat im Berlin Verlag unter dem Titel „Almost Heaven" so etwas wie seine Memoiren veröffentlicht. Ich sitze in der Hamburger Sonne, mein Interviewpartner ist mir telefonisch aus seiner Wahlheimat zugeschaltet. Seine 255 Seiten haben mich in den vergangenen Tagen in der U-Bahn, an Alster und Elbe begleitet. Ich habe das Buch im Bus bei mir getragen und eben auch dort gelesen, wo man in Ruhe sitzen kann. Ihr wisst schon. „Almost Heaven" weckt den Basketball-Fan in mir, entführt mich dorthin wo sich jeder halbwegs talentierte Korbschütze wohl fühlt: Auf das Parkett, zwischen zwei Endlinien, die 28m voneinander entfernt sind. Ob das Buch klug und aufrüttelnd ist, will ich nicht beurteilen. Echt, authentisch und ein Muss für jeden Liebhaber unserer Sportart ist es in jedem Fall.
„Klar ist das was für ein Basketball-affines Publikum. Ich würde mich freuen, wenn alle Basketball-Fans in Deutschland eins kaufen. Aber natürlich sind auch kommende Fans und solche, die weit weg von der Sportart sind, eingeladen, mein Buch zu lesen", berichtet Herber, der seinen Prolog dort beginnen lässt, wo sein großer Durchbruch gelang: In „Almost Heaven", wie die Region rund um West Virginia heißt. Das wusste übrigens schon John Denver in seinem Mitgröhl-Smasher ( Wer es nicht kennt, checkt die Lyrics: „Take me Home, Country Road..."). „Es war klar, dass diese Reise zurück nach Morgantown ein guter Teaser sein könnte. Hier hatte ich eine sehr erfolgreiche Zeit, hab Teamgefühl und Teamchemie erfahren und die gesamte Intensität des Basketballsports gespürt", erklärt der Autor seinen Prolog, bei dem er sich mit einem kleinen Chevrolet zurück an seinen ehemaligen Campus begibt.
Zu den prägendsten Figuren der College-Zeit gehört Mountaineers Headcoach John Beilein. „Ja, er ist schon so etwas wie mein Mentor und immer ein guter Ratgeber", erzählt der ehemalige Nationalspieler. Selbst bei den Gedanken rund um sein Karriereende kontaktiert Herber den Mann, der ihn von der hessischen Bergstraße in die bunte College-Welt der USA führte. Mit ihm an der Seitenlinie feiert der junge Herber seine größten Erfolge, spielt im legendären Madison Square Garden und schafft es als Senior bis in die Elite Eight. „Dort hat einfach ziemlich viel zusammen gepasst, vor allem die letzten beiden Jahre", erinnert sich der gebürtige Hesse gerne an die Zeit in „Almost Heaven".
Natürlich frage ich auch nach den Schwierigkeiten, die ein Buch so mit sich bringt. Schreibblockade, Rhythmus, Erzählstil, Selbstdisziplin - und schlussendlich die Suche nach einem passenden Titel. „Ja, wir haben tatsächlich lange danach gesucht. Ein Basketballbegriff wie „Transition Game" lag nahe, aber „Almost Heaven" beschreibt einfach wirklich gut meine Karriere und hat eine große Bedeutung für mich", kommentiert Herber, der vor allem am Schreibtempo nachfeilte und sich u.a. Rat von Thomas Pletzinger einholte. Pletzinger hatte 2011 mit „Gentlemen, wir leben am Abgrund" vorgelegt und die Messlatte der Schriftstücke über den deutschen Basketball quasi neu definiert.
Aber „Almost Heaven" nun mit der Reise von Pletzinger und ALBA BERLIN zu vergleichen, wäre nicht fair. Auch wenn Johannes Herber lieber Zeitung liest, wenn andere Playstation zocken oder versucht, Chris Kaman das politische System der Bundesrepublik Deutschland zu erläutern, ist er in erster Linie Sportler - mit einem Hang zum Schreiben versteht sich. Er gibt Sätzen und Wörtern den Swag, hat sich als Kolumnist für die FIVE und BIG einen Namen gemacht, mit einem hochgelobten Gastbeitrag in der FAZ für Aufsehen gesorgt. „Das ist meine Basketballwelt, von der ich hier erzähle. Es geht ja auch um Mitspieler, Trainer, Manager, einen Blick hinter die Kulissen. Insgesamt ist das ein sehr intimes Werk", kommentiert Herber, der sich gemeinsam mit Philip Zwiener als „Posterboy einer verlorenen Generation" bezeichnet. „Ich habe lange über die Tonalität nachgedacht. Es ist ja schon sehr eigen, wie man mit sich selbst umgeht, wenn man nur auf der Bank sitzt und nicht berücksichtigt wird." Zwei Kreuzbandrisse, einen schweren Stand unter dem damaligen ALBA-Coach Luka Pavicevic und ein jähes Karriereende mit 29 Jahren sind ebenso Bestandteile, wie unterschiedliche Stile am Taktikbrett: Beilein, Pavicevic, Bauermann, Katzurin.
Doch „sein Leben als Basketball-Profi" kommt keineswegs nur mit intimen Einblicken daher. Herber unterhält mit bildhaften Erzählungen um seine College-Jungs, Basketball-Sneakers mit Zimt-Geschmack und weckt Erinnerungen in jedem Fan: Das Nicht-Foul von Ademola Okulaja an Hedo Türkoğlu, Nowitzkis Jumper über die spanische Defense oder Herbers eigener Neckbreaker gegen die Italiener aus 6.75m. Nebenbei bemerkt das einzige Video, das ich jemals privat über meinen Facebook-Account geteilt hab. Checkt das also mal:
Dass die Erzählungen aus der Vergangenheit so klingen, als hätte Johannes Herber sie gerade eben erst durchlebt, verdankt der smarte Autor der guten Dokumentation der College-Spiele. Videos, Zeitungsberichte und natürlich auch „Zeitzeugen" spielten bei der Recherche eine entscheidende Rolle und nehmen den Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Gleichzeitig nahm der 31jährige frühzeitig Stift und Papier zur Hand und machte sich Notizen - ob im Bus mit der DBB-Truppe oder bei der Einladung ins Bundeskanzleramt. „Ich hätte mir gewünscht, es wären mehr gewesen. Aber so etwas wie ein Tagebuch habe ich bereits in den USA begonnen", berichtet Herber. Das eigentliche Ziel, ein Buch zu veröffentlichen, reifte allerdings früh. Seine zahlreichen Kolumnen bilden den Grundstock für jede Menge Lesestoff rund um das orangene Leder. Immer echt, immer authentisch und immer herb(er) verfasst. „Herber geht´s nicht" - für gewöhnlich das Erste, was ich in der BIG lese.
„Vielleicht kann man aus der Kolumnen-Sammlung noch mal etwas machen. Das habe ich noch in der Schublade", blickt der Wahl-Berliner in die eigene Autoren Zukunft. Denn das Schreiben will er nicht aufgeben: „Es wäre schade, die Erfahrungen, die ich gewonnen habe, nicht weiter zu verwerten." Als ich die letzte der 255 Seiten zuschlage und wie bei einem Kino-Besuch die ersten Eindrücke auf mich nieder prasseln lasse, fühlt es sich so an, dass die Basketball-Gemeinde ein Follow-Up-Werk von Joe Herber erwarten kann.
Text: Sven Labenz // Fotos: Berlin VerlagVielleicht ein Reise-Tagebuch über Morgantown. Vielleicht eine Musikkritik zum neuen Axl Rose Album. Vielleicht ein politisches Statement über die internationalen Beziehungen von Kasachstan. Vielleicht ein Werk über modernes Arbeiten und ein Startup, das mit Nach-Zimt-riechenden-Sneakern Millionen scheffelt. Denn irgendwie ist Autor sein für Johannes Herber so ein bisschen wie fast im Himmel zu sein. Für den Leser übrigens auch.