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Die Krise als Chance

Weiterbildung in Corona-Zeiten

Alles ist anders, alles ist neu: Viele Beschäftigte sind seit Monaten im Homeoffice, befinden sich in Kurzarbeit oder machen sich Sorgen, vielleicht gekündigt zu werden. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Weiterbildung? Text: Suse Lübker Foto: Jonas Ginter

Ausgestattet mit zwei Bildschirmen, Headset mit Mikro­­fon und Kamera loggt sich Ines Silberzahn direkt in die virtuelle Lernumgebung ein und bewegt sich mit ihrem Avatar durch Hörsaal oder Büro. Die gelernte Kinderkrankenschwester befindet sich mitten in der digitalen Weiterbildungswelt, zu Hause im Homeoffice. Seit September 2020 nimmt die 38-Jährige an einer Fortbildung zur Brand Managerin teil, gefördert von der Arbeitsagentur. In ihrer digitalen Umgebung lernt sie, wie man in Unternehmen einheitliche Markenbilder vermittelt - über Social-Media-Kanäle und Online-Plattformen, im virtuellen Austausch mit Lernenden aus ganz Deutschland. Ihr Wunsch: Sich im Online-Marketing so zu qualifizieren, dass sie Unternehmen mit ihrem Know-how unterstützen kann. Die Corona-Krise hat sie nicht gebremst, im Gegenteil: „Ich habe ganz offensiv geplant und schau mit Zuversicht in die Zukunft, auch jetzt in Corona-Zeiten." Gerade in schwierigen Zeiten sei es wichtig, mutige Entscheidungen zu treffen, um gestärkt weiterzumachen, ergänzt Silberzahn und freut sich auf die nächste Runde in ihrer virtuellen Lernwelt. Die Chancen stehen gut für Ines Silberzahn, der Arbeitsmarkt spricht für sie: Es scheint zwar ein Widerspruch, aber zurzeit suchen viele Betriebe händeringend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In einigen Branchen fehlen nach wie vor Fachund Führungskräfte, in der Bauwirtschaft zum Beispiel, in den Gesundheitsberufen oder in der IT-Branche. In allen Bereichen sind digitale Kompetenzen gefragt.

Gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, mutige Entscheidungen zu treffen, um gestärkt weiterzumachen. Ines Silberzahn

Auch für Irene Jatzkowski ist genau jetzt ein guter Zeitpunkt im Beruf neu durchzustarten: „Ich sehe in dieser ruhigeren Zeit mit wenig Freizeitterminen eine Chance, mich auf meinen weiteren beruflichen Weg und auf meine Ziele zu fokussieren", beschreibt die Diplom-Ingenieurin für Landschaftsarchitektur den derzeitigen Ausnahmezustand. Sie arbeitet beim Magistrat der Stadt Bremerhaven und nimmt seit einigen Monaten an einer berufsbegleitenden Fortbildung für angehende Führungskräfte teil. Coronabedingt finden die Kurse nur noch online statt. Für Jatzkowski ist diese Phase optimal, um sich voll und ganz auf ihre beruflichen Pläne zu konzentrieren, ohne Ablenkung und mit viel Energie: „Die Fortbildung erweitert meinen Horizont und bietet mir neue Chancen in meinem Beruf - schließlich habe ich noch 17 Jahre in meinem Job vor mir, die ich gern mit neuem Schwung füllen und angehen möchte." Und damit ist sie nicht allein, viele nutzen die Zeit, um sich fachlich fit zu machen, trotz oder gerade wegen der unklaren Perspektiven.

Aufstiegsfortbildungen werden mit dem sogenannten Aufstiegs-BAföG gefördert.

Der Vorteil der verschiedenen Angebote: Online-Seminare, virtuelle Konferenzen oder digitale Workshops lassen sich gut mit den Arbeitszeiten vereinbaren und vermitteln einen Einblick in neue Themen. Allerdings ist es nicht immer leicht, einen passenden Kurs zu finden, zumal das Angebot sehr breit gefächert ist. Oft hilft eine Weiterbildungsberatung oder ein Gespräch mit dem Arbeitgeber - gemeinsam kann überlegt werden, welche Fortbildung sinnvoll und machbar ist und welche Fördermöglichkeiten es gibt.

In der Krise neu orientieren

„Viele Ratsuchende, die von Kurzarbeit betroffen sind oder die Angst vor der drohenden Kündigung haben, überlegen zurzeit, ob sie jetzt den Job oder gar die Branche wechseln", so Hella Grapenthin, Weiterbildungsberaterin der Arbeitnehmerkammer. „Sie sehen die jetzige Situation als Chance, noch mal etwas ganz Neues zu lernen. Die meisten interessieren sich für Angebote, mit denen sie sich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhoffen". Besonders beliebt seien Fort- und Weiterbildungen im Bereich Social Media, OnlineMarketing oder E-Commerce. Zudem steige das Interesse an sogenannten Aufstiegsfortbildungen, also berufsbegleitenden Maßnahmen, die einen Aufstieg innerhalb des Unternehmens ermöglichen, erklärt die Beraterin. Dazu gehört zum Beispiel die Aufstiegsfortbildung als staatlich geprüfter oder geprüfte Betriebswirt oder -wirtin oder die Fortbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher.

Im Unternehmen aufsteigen: Förderung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Dass das Interesse an diesen Fortbildungen ungebremst ist, erlebt auch die Wisoak. Die Weiterbildungseinrichtung der Arbeitnehmerkammer ist technisch so ausgestattet, dass ein Teil der Seminare als Hybridunterricht angeboten werden kann: Während einige Teilnehmende vor Ort unterrichtet werden, schaltet sich eine weitere Gruppe von zu Hause aus dazu - in den Räumen der Wisoak können so die notwendigen Abstände eingehalten werden.

Aufstiegsfortbildungen werden mit dem sogenannten Aufstiegs-BAföG gefördert. Seit Anfang 2019 bietet der Bremer Senat zusätzlich eine Aufstiegsfortbildungs-Prämie von 4.000 Euro als Anreiz für alle an, die ihre Prüfung nach dem 1. Januar 2019 erfolgreich abgeschlossen haben. Die Prämie ist jüngst bis zum 31. Dezember 2023 verlängert worden. Es profitieren also alle, die in den nächsten beiden Jahren ihre Fortbildung starten. Die meisten dieser berufsbegleitenden Maßnahmen dauern mindestens ein Jahr. „Ich sehe in dieser ruhigeren Zeit mit wenig Freizeitterminen eine Chance, mich auf meinen weiteren beruflichen Weg und auf meine Ziele zu fokussieren." Irene Jatzkowski

Tatkräftige Unterstützung vom Staat

Gerade in Corona-Zeiten sei betriebliche Weiterbildung sehr sinnvoll - so sieht es Joachim Ossmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven: „Die Anforderungen werden sich in Zukunft stark verändern - So sind gerade diejenigen, die sich jetzt in der Krisenzeit um eine gezielte Qualifizierung kümmern, in Zukunft besser aufgestellt. In vielen Unternehmen ändert sich durch die Corona-Pandemie das gesamte Geschäftsmodell. Digitalisierung und Strukturwandel in der Arbeitswelt erfordern von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neue Kenntnisse und Fertigkeiten. Und das sehr schnell."

Allerdings können sich viele Unternehmen zurzeit keine umfangreichen Fortbildungen leisten, genau hier greifen die Fördermaßnahmen der Arbeitsagentur: Mit dem Programm „WEITER.BILDUNG!" unterstützt die Agentur für Arbeit Unternehmen während der Kurzarbeit, so übernimmt sie zum Beispiel in Betrieben mit unter zehn Mitarbeitenden bis zu 100 Prozent der Lehrgangskosten. Mittelständische und große Unternehmen erhalten einen von der Unternehmensgröße und den Beschäftigten abhängigen Zuschuss zu den Weiterbildungskosten (siehe Infografik). Während der Maßnahme finanziert die Agentur für Arbeit zusätzlich einen Teil des Arbeitsentgelts. Das Programm ist Teil des Qualifizierungschancengesetzes (QCG).

Mehr Unterstützung für Geringqualifizierte

Für Betriebe sei es sinnvoll, die Phase der Kurzarbeit für Weiterbildung zu nutzen - der Meinung ist auch Jessica Heibült, Referentin für Weiterbildung und Hochschulpolitik der Arbeitnehmerkammer: „Vor allem Geringqualifizierte profitieren von den Fördermöglichkeiten durch die Arbeitsagentur. Statt der 60 beziehungsweise 67 Prozent Kurzarbeitergeld werden bis zu 100 Prozent Lohnersatz während der Weiterbildungsmaßnahme gezahlt. Und zwar dann, wenn der Arbeitgeber sich entscheidet, eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter für den Zeitraum der Weiterbildung freizustellen." Davon profitieren zum einen Betriebe, weil sie Kosten sparen und gleichzeitig qualifiziertere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten und ebenso auch die Beschäftigten, weil sie die Zeit nutzen, um sich beruflich weiterzuentwickeln.

„So sind gerade diejenigen, die sich jetzt in der Krisenzeit um eine gezielte Qualifizierung kümmern, in Zukunft besser aufgestellt." Joachim Ossmann, Agentur für Arbeit BremenBremerhaven Digitale Angebote stark nachgefragt

Der Ausbruch des Coronavirus treibt die Digitalisierung der Arbeitswelt voran. „Digitalisierungsbooster" nennt Claudia Ricci vom Fraunhofer-Institut diesen ungeplanten Wandlungsprozess. Studien zufolge steigt das Interesse an digitalen Weiterbildungsangeboten, besonders nachgefragt sind kostenlose Web-Konferenzen, die Nachfrage nach Präsenzveranstaltungen hingegen sinkt. Dozentinnen und Dozenten müssen ihre Lerninhalte neu konzipieren - keine leichte Sache, schließlich leben viele Angebote von dem persönlichen Austausch in der Gruppe.

Wer sich jetzt für Weiterbildungsangebote interessiert, muss zwangsläufig digitale Kompetenz mitbringen und sollte keine Angst davor haben, online zu lernen, egal, ob im Homeoffice oder im Betrieb. Dafür braucht es nicht nur finanzielle Mittel, sondern verständliche Lernmedien und bedarfsgerechte Konzepte, die auch denjenigen den Zugang ermöglichen, die nicht tagtäglich am Computer arbeiten. Nur so wird verhindert, dass neue Wissenslücken dort entstehen, wo Wissen gefragt ist und sich soziale Ungleichheiten verstärken.

Wir brauchen ein Recht auf Weiterbildung!

Kommentar von Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer

In Zeiten der Digitalisierung wird Weiterbildung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wichtiger. Doch nicht alle Beschäftigtengruppen profitieren gleichermaßen von beruflicher Weiterbildung.

Die Beschäftigtenbefragung der Arbeitnehmerkammer aus 2019 zeigt: An Weiterbildung nehmen vor allem diejenigen teil, die bereits gut qualifiziert sind und ein gutes Einkommen haben. Geringverdienerinnen und Geringverdiener sowie Beschäftigte ohne Berufsabschluss haben hingegen weniger Chancen auf eine Förderung durch den Arbeitgeber. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Die Arbeitnehmerkammer fordert deshalb ein gesetzlich verankertes Recht auf Weiterbildung, um allen Beschäftigten eine Freistellung von der Arbeit für abschlussbezogene Maßnahmen zu ermöglichen. Dieses sollte kombiniert werden mit einem Qualifizierungsgeld, damit eine längere Phase der Weiterbildung auch für Geringverdienerinnen und Geringverdiener attraktiv wird.

Weitere Informationen Weiterbildungsberatung der Arbeitnehmerkammer

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bremen können sich bei allen Fragen rund um die berufliche Qualifizierung bei der Suche nach passenden Weiterbildungsangeboten und Fördermöglichkeiten beraten und unterstützen lassen. Terminvereinbarung: 0421.3 63 01-432 www.arbeitnehmerkammer.de/weiterbildung

Weiterbildung bei der Wisoak

Die Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer bietet viele Weiterbildungen an. www.wisoak.de

Betriebliche Weiterbildung

Infos zum QCG-Programm „WEITER.BILDUNG!": www.arbeitsagentur.de/m/weiterbildungqualifizierungsoffensive Beratung für Arbeitgeber zur Weiterbildung für Beschäftigte bei der Bundesagentur für Arbeit: Telefon 0800.4 55 55 20

Weiterbildungsportal Bremen und Bremerhaven

Überblick über Weiterbildungsangebote in Bremen und Bremerhaven: weiterbildung.bremen.de

Aufstiegs-BAföG

Allgemeine Infos unter: www.aufstiegs-bafoeg.de

Aufstiegsfortbildungs-Prämie

Der Antrag beim Bremer Senat kann hier heruntergeladen werden: www.wirtschaft.bremen.de (Arbeit/Aufstiegsfortbildung)

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