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Taschen-Geld aus dem Netz

Lederwarenhersteller Picard setzt auf Tradition und Partnerschaft – beim Online-Shop sind für schnelle Lieferungen Einzelhändler integriert

Die größte Handtasche der Welt ist aus Beton und steht vor dem Firmensitz von Picard

Kleider machen Leute, das ist bekannt. Für Georg Picard spielen beim ersten Eindruck auch Taschen eine Rolle. „Stellen Sie sich in Frankfurt einen Banker im Anzug und mit sportlichem Nylonrucksack vor", meint er und schüttelt in Gedanken an so einen Stilbruch den Kopf: „Das geht nicht. So ein Rucksack passt nicht zur Businesskleidung und zerstört den Eindruck von Seriosität. Taschen unterstreichen die Außenwirkung von Personen."

Tradition mit Taschen

Georg Picard muss zu Taschen Stellung beziehen. Das ist er seinem Beruf und seinem Namen schuldig. Er gehört zur vierten Generation einer bekannten Feintäschnerfamilie: Nahe der Ledermetropole Offenbach startete sein Uropa Martin vor 84 Jahren mit der Produktion von Taschen. Großvater und Großonkel industrialisierten in den 1930er-Jahren das Handwerk und fertigten in Serie. Vater Thomas internationalisierte ab 1976 das Geschäft und baute den Namen Picard zur Weltmarke auf. Und Georg führt nun das Familienunternehmen ins Internet: Ein Jahr nach seinem Einstieg als Verantwortlicher für Marketing, Design und Produktentwicklung eröffnete Picard 1999 eine Präsenz im World Wide Web.

13 Jahre später findet sich hier ein Marken- Shop zum Bestellen: „Das Internet", sagt Picard, „erreicht andere Zielgruppen. Online sprechen wir Menschen an, die keine Zeit für einen Einkaufsbummel haben."

Handtaschen, Beutel, Aktentaschen, Koffer, Geldbörsen und Gürtel sind hinter Picard in den Regalen des Showrooms aufgereiht. Hier diskutieren gewöhnlich Handelsvertreter über Stückzahlen, Konditionen und Liefertermine. Natürlich finden sich auch Rucksäcke im Sortiment - aus Leder, versteht sich. Solche, die praktisch sind und mit denen die Trägerin Stil beweist: „Picard wird als Premiummarke wahrgenommen, wir könnten teurer verkaufen", erklärt Oliver Quell, der zunächst bei Picard lernte und jetzt den Online- Vertrieb aufbaut.

Mit Preisen zwischen 100 und 300 Euro für eine Handtasche positionieren sich die Hessen im Mittelfeld. Die Modelle bedienen Modetrends wie auch den Wunsch nach Klassischem. Picard baut auf Tradition und Handgriffe, die nicht durch Maschinen zu ersetzen sind. Das Unternehmen lässt in Billiglohnländern fertigen, aber eben auch am Stammsitz in Obertshausen. Solche Details verleihen ein Image von guter Qualität und fairen Preisen und ziehen Menschen an, die besser verdienen, sich Schönes gönnen und dabei auch auf Material und Verarbeitung achten.

Schutz für Image und Handel

Bisher wurden diese im Fachhandel fündig, in besseren Kaufhäusern und an Flughäfen. Weltweit haben rund 1.500 Händler die Marke im Programm, etwa die Hälfte sitzt in Deutschland. Das gut funktionierende Händlernetz war einer der Gründe, warum sich Picard im Internet zurückhielt. Nur wenige Shops wie Wardow, Zalando oder Koffer24.de vertrieben die Taschen mit dem silbernen P-Anhänger online.

„Wir wollten den Online-Verkauf nicht zu breit aufstellen, um unser Image zu schützen und unsere Handelspartner", erklärt Picard. „Andernfalls geben wir die Preisgestaltung zu sehr aus der Hand und wir könnten keine Markenstrategie verfolgen." Deshalb verließ Picard Amazon. Das Unternehmen prüft systematisch die Preise und verhandelt bei Bedarf auch mit Billiganbietern.

Gemeinsam handeln

Eine Alternative zum selbst organisierten Shop boten die Freiburger Software-Entwickler von Oxid Esales und der Karlsruher Dienstleister Gaxsys. Oxid lieferte die Einrichtung für den Webshop, und Gaxsys baute eine Plattform an, die die 25 ausgewählten Händler in Deutschland einbindet: Wird bei Picard bestellt, geht der Auftrag zuerst an die am nächsten gelegenen Läden. Danach öffnet sich das System immer weiteren Kreisen.

„Die Händler nehmen das System gut an", berichtet Quell. „Manche haben es mit dem Kassensystem verbunden, um noch schneller zu reagieren." Händler liefern aus ihrem Lager und freuen sich über den weiteren Vertriebskanal, für den Picard wirbt. Etwa die Hälfte der Bestellungen erledigt Picard selbst - weil der Handel nicht (mehr) alle Produkte auf Lager hat und online mehr Waren im Angebot stehen. „Agenturen und Branche verkaufen Zahlen, die nicht stimmen", kritisiert Picard. „In der Startphase sollte jeder mit einer Conversion Rate von nur einem Prozent kalkulieren, alles andere ist unrealistisch."

Seit Januar 2012 kann im Picard-Shop bestellt werden. Der Absatz läuft an, wenn auch nicht so schnell wie geplant. Noch ist der Webshop „ein Zuschussgeschäft" und verursacht mehr Kosten, als mit ihm Taschen- Geld verdient wird. Daneben setzt Picard Aktionsware über den Club Vente-privee.com ab. Zwei bis drei Prozent des Umsatzes, der sich im Jahr zu einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag summiert, werden 2012 online erzielt. Fünf bis sechs Prozent entfallen auf den Verkauf über die Picard-App, die vor allem von Tablet-Besitzern genutzt wird. „Je besser ein Produkt inszeniert wird, umso eher wird bestellt und desto weniger Retouren fallen an", beobachtet Quell. Schon reifen Pläne zur Verbesserung von Shop und System: Produkte sollten besser und bald im Video zu sehen sein, weitere Sprachversionen fehlen, die Bestellprozesse müssen vereinfacht, die Auswertung von Kundendaten muss systematisiert werden. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass bei standardisierten Funktionen wie dem Bestellen Verbesserungen nötig werden, war aber so", gibt Quell zu. „Online ist ständiges Optimieren."

Konzentriert werben

Sieben bis acht Prozent der Erlöse investiert der Taschenhersteller in Banner und Broschüren. 90 Prozent des Werbeetats fließen in Print-Reklame, in Anzeigen und Prospekte. „Wir sind kein Otto oder Zalando mit großem Werbeetat", sagt Picard. „Wir planen daher die einzelnen Maßnahmen mittelfristig sehr genau und konzentrieren sie auf ausgewählte Medien." Der schwarze Schriftzug ist in Frauen- und Publikumsmagazinen zu sehen, zudem in Wirtschaftsblättern. Auch online verbreitet Picard den Namen, hier zunehmend bei Google, auch wenn das teuer kommt: „Banner-Werbung fahren wir gerade zurück, weil sie nicht viel zur Conversion Rate beiträgt", erklärt Picard. „Google kostet zwar viel mehr, aber wir erhöhen damit die Frequenz im Shop und Google- Besucher kaufen eher."

Seit Ende 2010 ist Picard zudem Mitglied der Facebook- Community. In den ersten Jahren wurde dort bevorzugt die Kollektion präsentiert, seit Kurzem berichtet das Unternehmen auf dem Portal auch Interna: heißt etwa Auszubildende willkommen, motiviert User zu guten Taten und erzählt von Redaktions- und Händlerbesuchen.

„Wir registrieren durch die Geschichten in Text und Bild mehr Interesse", sagt Picard. „Facebook ist für den Verkauf nicht wichtig, hilft aber dabei, Kunden zu binden."

Das Resümee der Taschenspezialisten nach einem Jahr Online-Verkaufsoffensive fällt eher durchwachsen aus. An der Entscheidung, selbst online zu verkaufen, ändert das aber nichts. „Wir bleiben bei Online, das Internet ist ein wichtiger Vertriebsweg", meint Picard. „Die Ausgabenbereitschaft im Internet legt erst jetzt richtig los. Aber im E-Commerce wird sich noch viel verändern und das wird den Einzelhandel vor gewaltige Herausforderungen stellen." vs ❚

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