1 subscription and 0 subscribers
Article

Schöner, grüner, lebendiger

Kampung Admiralty, Singapur: südwestliche Ecke; die Seiten sind entsprechend ihrer Richtung farbcodiert. © K. Kopter

Städte neu denken ist eine immer wiederkehrende Aufforderung an Raumplanung und Architektur. Angesichts der spürbaren Veränderungen von Wetterereignissen mit oft katastrophalen Auswirkungen sind konkrete Maßnahmen gefordert.

Die Uhr tickt. Jährliche Hitzerekorde betreffen vor allem Städte. Klimaverbesserung und Hitzereduktion sind gefragt und die Suche nach Alternativen zum gesteigerten Einsatz von Klimatisierung hat längst zahl­ reiche Ergebnisse geliefert. Ein wichtiger Gesichtspunkt lässt sich mit der Forderung nach „mehr Grün“ zusammenfassen.

Es scheint allerdings oft, als sei die Erkenntnis noch nicht zu den primären Entscheidungsträgern durchge­drungen: dass es höchste Zeit ist, zu reagieren. In groß angelegten Studien – etwa von UN, McKinsey und Europäischer Kommission – wird nach Aufzählung der Probleme schnell auf eine abstrakte Ebene ausge­ wichen und die Thematik somit in die Ferne gerückt.


Studien werden verlangt, als gäbe es nicht bereits Unmengen davon, und Zeiträume jenseits von zehn Jahren werden anvisiert. In den einzelnen Themen­ bereichen findet sich „Climate Action“ erst an vorletz­ ter Stelle – vor „Challenges – Work Ahead“.

Die Ansatzpunkte für Aktionen sind längst bekannt. Städte mit ihrem hohen Energieverbrauch und ihren Schadstoffemissionen werden in der Liste von Ursa­chen der Klimakrise an einer der obersten Positionen genannt. Der erwartete Zuzug von Menschen wird diese Probleme noch vergrößern, wenn die gängigen Stadtmodelle fortgeführt werden. Vorschläge zur Dekarbonisierung lauten etwa Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Smart-Programme zu Energieeffizienz usw. Alles schon oft gehört, manches vorangetrieben, man­ches schleppt sich. Einige Länder formulieren weitaus ambitioniertere Ziele als andere und möchten diese auch schneller umsetzen. Nicht überraschend, stam­men doch solche Initiativen etwa aus Dänemark. Dort hat sich der Handlungsbedarf konkretisiert. Die Stadt Sønderborg mit ca. 75.000 Einwohnern sieht sich als wachsende Stadt, die bis 2029 CO2­neutral sein möch­te. Sie strebt die nachhaltige Nutzung der weltweiten Nahrungsmittel-, Energie- und Wasserressourcen an und will Innovationsmotor für neue Geschäftskonzepte und Technologien sein. Bereits seit 2007 läuft eine er­folgreiche Agenda zur Senkung des Energie­verbrauchs in Kooperation mit Hausbesitzern. Akteure in konkrete Pläne einzubeziehen ist die einzige Mög­lichkeit, tatsächlich etwas voranzubringen und nicht auf der Ebene von wissenschaftlichen Erkenntnissen auf dem Papier zu bleiben.

Klimanotstand

Mit einer solchen Hands­-on-­Einstellung haben auch einige europäische Städte den Klimanotstand ausge­rufen. Der Begriff „Climate Emergency“ wurde erstmalig 2009 bei einer Demonstration in Melbourne ver­wendet. Schon davor, in den 2000er­Jahren, war die Formulierung „Klimanotstand“ im Sprachgebrauch ge­wesen, bis sich die von der Bush­Administration ver­ wendete Redeweise vom „Klimawandel“ durchsetzte, um den menschengemachten Anteil herunterzuspielen. „Klimawandel“ trägt das fast positiv klingende, ma­gisch anmutende Element der Verwandlung in sich. Eine deklarierte Krise hingegen löst Handlungsbedarf aus.

In Europa deklarierten im Jahr 2019 Irland, Groß­britannien und Katalonien den Klimanotstand. Einige Städte in der Schweiz und in Deutschland haben sich angeschlossen. In Österreich verkündete Michaeler­berg­Pruggern in der Steiermark als erste Gemeinde den Klimanotstand, Traiskirchen in Niederösterreich war die erste Stadt. Es folgten zahlreiche Gemeinden und Städte, u. a. Perchtoldsdorf, Steyregg und Kuf­stein. Vorarlberg hat als erstes gesamtes Bundesland den Notstand erklärt. Auf Gemeindeebene können Maßnahmen getroffen werden, etwa den Baustoff Holz gegenüber Beton zu bevorzugen und CO2­Emmissionen genauer zu kontrollieren und einzu­dämmen. Auf lange Sicht sind Maßnahmen im größe­ren Radius notwendig, um großen Impact zu erzielen – genau dies ist auch ein Anliegen der Initiative.

Das bedeutet, das Thema endlich ernst zu nehmen. Politiker sollen nicht mehr länger mit ihren Ängsten vor Wählerverlust durchkommen, die sie davor abschre­cken, Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Etwa Benzin­preiserhöhungen, Förderung des Nahverkehrs, Umstel­lung der Ernährung. Dieses Thema scheint besonders unbeliebt, obwohl die Praktiken der Agrarindustrie mit ihrem Landverbrauch und ihren Emissionen massive Auswirkungen auf die Erderwärmung haben.


Architektur ist gefordert

Architektur kann und muss ebenfalls Einfluss nehmen, nicht nur durch die Wahl von umweltfreundlichem Bau­material. Begrünung verbessert das Mikroklima in Städ­ ten spürbar. Es gibt zahlreiche adaptive Modelle, die den Gegenargumentationen den Wind aus den Segeln nehmen. Zwar lassen sich in Europa keine dschungel­artigen Hochhausparks wie in Singapur anlegen, aber Vertical Forests nach dem Vorbild von Stefano Boeri haben schon wiederholt bestätigt, dass sie machbar sind. Momentan wird vom Studio Stefano Boeri Archi­ tetti in Kooperation mit der Landschaftsarchitektin Laura Gatti in Tirana der erste vertikale Wald entwi­ckelt, ein 21­stöckiges Apartmenthaus mit vier zusätz­ lichen Untergeschoßen. Hier werden 3200 Sträucher und 145 Bäume gepflanzt und so über 550 Quadrat­ meter grüne Fläche geschaffen. Außerdem wird ein Masterplan für Tirana 2030 erarbeitet. Er beinhaltet größtenteils Landschaftserneuerung mit fortschreiten­ der Aufforstung der Stadt. Vertikaler Wald erhöht die Biodiversität und kreiert durch die Vegetation ein urba­ nes Ökosystem, das für Vögel und Insekten bewohnbar ist. So kann ein Netzwerk von Umweltkorridoren entste­hen, die mit bereits vorhandenen Grünflächen in der Stadt korrespondieren und diese beleben.  


Intakte Dorfgemeinschaft

Ein weiteres Vorbildprojekt stammt von den Spezialis­ ten für urbanen Dschungel, dem Architekturbüro WOHA aus Singapur. Ihr preisgekröntes Städtebau-projekt Kampung Admiralty vereint eine Mischung aus öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen unter einem Dach. Auf einem 0,9 Hektar großen Gelände mit Höhenbegrenzung von 45 Metern wird Landnutzung maximiert, anders als in der traditionellen Handha­bung, in der jede Verwaltungsbehörde ein eigenes Grundstück gestaltet und viele einzelne Gebäude errichtet. Projekte von WOHA sind ökologisch und so­ zial wegweisend. In ihrem Ansatz Makroarchitektur­ Mikro-Urbanismus konzentrieren sie sich darauf, Gebäu­ de als integrierte Ministädte zu gestalten und nachhaltige und sozial verträgliche Umgebungen zu schaffen. Ihr Planungsansatz beim vertikalen Dorf baut auf einem Sandwichansatz auf. Mehrere Schichten mit unterschiedlichen Widmungen wie Einbindung ins Stadtleben durch öffentlichen Raum auf der unteren, medizinische Versorgung in der mittleren und Wohneinheiten in der oberen Ebene lassen sich zur übergreifenden Nutzung zusammenführen. 


Kindergarten und Community 

Park mit Alterswohnun­gen, medizinisches Zentrum und Einkaufsmöglichkeiten ergänzen die sozialen Funktionen. Die Konstruktions­prinzipien sind auf natürliche Querlüftung und optima­ les Tageslicht ausgelegt. „Kampung“ bedeutet Dorf und die Idee orientiert sich auch an einer intakten Dorf­gemeinschaft. Kommunikationsorte sind als wichtige öffentliche Räume eingeplant. Die öffentlich nutzbare Plaza auf dem Erdgeschoßlevel geht von der Idee ei­ nes riesigen Gemeinschaftswohnzimmers aus. Organi­sierte Veranstaltungen, Feierlichkeiten der Saison, Tanzkurse, Märkte – der Raum ist vielfältig nutzbar, schattig und vor Regen und Sonne geschützt.

Die People‘s Plaza ist eine öffentliche Fläche, ausgelegt als Gemeinschaftswohnzimmer und auf Fußgänger abgestimmt.


Revitalisierung der städtischen Umwelt

Spektakulär wird das Ganze vor allem durch das große begrünte Dach mit wuchernden Pflanzen und Gemüse- und Obstanbau. Der Community Park ist eine urbane Interpretation des Dorfangers, in dem man sich treffen, Sport treiben oder die gemeinschaftlichen Gärten pfle­gen kann. Solche Modelle sind dazu angetan, städtische Umwelt zu revitalisieren und als natürliche und soziale Ökosysteme zu begreifen. In Verbindung mit Stadtbe­grünung verbessern und beeinflussen sie das urbane Klima auf vielfache Weise. 


Original