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Der Kompass zeigt nach Norden

Stockholm entworfen in "Cities: Skylines"

Der anhaltende Zustrom neuer Bewohner in lebenswerte Städte Europas stellen Stadtplanung und Architektur vor große Herausforderungen. Häufig wird die große Vi­sion vermisst, Planungsentscheidungen dauern zu lang. Für Wien wird seitens der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) ein stärkeres Zusammendenken von Architektur und Stadtplanung gefordert, das traditionell funktionierende Wiener Modell sanfter Stadterweiterung könne mit der steigenden Dynamik nicht Schritt halten und biete zu wenig Antworten. Als großes Problem wird „die Trennung von Architektur und Städtebau, also das Bild der Architektur als reine Gestalterin von Objekten in einem bereits vorgegebenen Rahmen" gesehen (Quelle: Stadtplanungsstrategie für Wien; http://wien.arching.at/).

Digital Virtual Reality als ­Planungsgrundlage

In Stockholm wird diesem Themenkomplex sehr innovativ begegnet. Über die üblichen Stadtplanungsarbeiten hinaus wurde der Stadterweiterungsprozess im ehemaligen Industriegebiet am Hafen, „Royal Seaport", mit einem Computerspiel gekoppelt. Der Gaming-Experte David Bergström hat den Einsatz von „Cities:Skylines" für das Projekt geleitet und mit (zukünftigen) Stadtbewohnern unterschiedlicher Altersstufen Ideen und Konzepte möglicher Szenarien entwickelt. Bergström hat bereits Projekte innerhalb von Block-by-Block für UN-Habitat (blockbyblock.org) in Haiti und Nepal durchgeführt.

In dieser partizipatorischen Initiative zur Etablierung öffentlicher Räume kooperiert UN-Habitat mit Mojang, den Entwicklern von Minecraft. Das Indie-Open-­World-Spiel „Minecraft" ist ein Vorläufer des in Stockholm verwendeten Programms „Cities: Skylines". Wo „Minecraft" nur visualisierte, kann „Cities: Skylines" nun auch simulieren. De facto helfen Computerspiele also mit Stadtplanungstools beim Design realer Städte. Die Einbeziehung von Gaming-Software als Aufforderung an die Bevölkerung, sich beim Entwerfen und Gestalten des neuen Stadtteils mit Ideen und Vorschlägen zahlreich einzubringen, erwies sich als Pioniererfolg und bereichernder kreativer Prozess. Zudem punktete der Ansatz mit dem großen Vorteil partizipatorischer Projekte: Die involvierten Menschen fühlen sich als Teilhaber einer demokratischen Entwicklung.

Spielerisch Planen

„Cities: Skylines" simuliert Städtebau auf moderne Weise: Es geht nicht nur um das Errichten von Infrastruktur, sondern um Interaktionen und ihre Auswirkungen. Was passiert, wenn an diesem Ort eine Schule, eine Straßenbahnstation, eine Bäckerei steht, welcher Energieaufwand wird nötig, wie kann die Wasserversorgung gesichert werden, welche Räume sind öffentlich, gibt es einen Park? Wie hoch sind die Gebäude? David Bergström erklärt, wie man sich das Projekt vorstellen kann: „Cities:Skylines" startet auf spielerische Weise mit einer freien Fläche, auf der noch nichts gebaut ist. Zunächst wird, entsprechend den speziellen Vorstellungen eines Stadtbildes, das Layout der Ansiedlung bestimmt.

Sobald ein grundsätzliches Straßenlayout vorliegt, beginnt man, die Energieversorgung zu überlegen - soll es Windenergie sein, Sonnenenergie, Kohle oder Öl? Dann befasst man sich mit der Wasserversorgung - wird etwa Regenwasser gesammelt? Wie groß die Stadt tatsächlich wird, hängt aber letztlich von ihrer Attraktivität ab - etwas nicht im Vorhinein Planbares. Fragen wie Ausbildungsmöglichkeiten, Parkanlagen und Grünraum oder Orte zur Unterhaltung spielen bei der Gestaltung eine bedeutende Rolle. Ebenso ob und welche Arbeitsplätze es geben wird, welche Voraussetzungen für Jugendliche gegeben sind, sich später, wenn sie erwachsen sind, hier anzusiedeln. All diese Faktoren sind es auch, die unseren Lebenszyklus, ja den tatsächlichen Werdegang realer Städte und deren Größe schließlich bestimmen.

Wenn nun neue Elemente in bereits bestehende Grundlagen integriert werden sollen, wird die bestehende Bausubstanz am Screen angezeigt und neue Objekte können hinzugefügt werden. So lässt sich Stadterweiterung relativ einfach simulieren, und auch mögliche Probleme zeigen sich rasch. Atmosphärische Details der Umgebung werden ersichtlich, und auch emotionale Elemente fließen ein - gerade wenn unterschiedlichste Menschen in die Simulation eingebunden werden. Ein Computerspiel hierbei als planerischen Input zu verwenden bedeutet, Planen um ein weiteres durchaus fantasievolles Level zu bereichern.

Nachhaltig planen

Aber auch in puncto Nachhaltigkeit und Lebensqualität gilt „Royal Seaport" als absolutes Leuchtturmprojekt internationaler Stadtentwicklung. Das ehemalige Industriegebiet am Hafen wird im Norden und im Süden des weltweit ersten „National City Park" umgeben sein und liegt dennoch sehr zentrumsnah. Themen wie öffentlicher Raum, gute Erreichbarkeit, lebenswerte Umgebung, Grünflächen, umweltfreundliche Mobilität und nachhaltige Energieversorgung werden bei der Planung in den Mittelpunkt gestellt und auch nachvollziehbar realisiert.

Die ambitionierten Ziele im Bereich Nachhaltigkeit sollen in einer engen Kooperation der beteiligten Gruppen verwirklicht werden. Stadtverwaltung und Immobilienentwickler, Unternehmen und andere Interessenvertreter - etwa der zukünftigen Bewohner oder Anrainer - arbeiten stärker zusammen als bisher gemeinhin üblich. Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Bereichen Architektur und Stadtentwicklung, Urbanismus, Soziologie und Psychologie, Ökologie und Ressourcenmanagement sollen effizient zusammengeführt und Gemeinsames faktisch umgesetzt werden. Zukunftsgewandtheit, Partizipation und Mitgestaltung gehören zu den erklärten Grundlagen der Projekte.

Für HighTech und Lebensqualität

Firmengründungen und Headquarters erfolgreicher Hightechunternehmen und dazu der Hype der digitalen Innovationen machen die Stadt - abgesehen vom Silicon Valley - zur Region mit der weltweit höchsten Anzahl von Start-ups pro Kopf im digitalen Bereich. Unter den international erfolgreichen Firmen finden sich illustre Namen wie Skype, Spotify, aber auch Klama, Mo­jang und King.

Stockholm wird als positives Modell der Stadt der Zukunft gehandelt - das Einbringen der neuesten technischen Errungenschaften zum Zweck eines ökologisch und sozial optimal umgesetzten urbanen Environments folgt höchsten Ansprüchen. Planung und Umsetzung haben es sich zum Ziel gesetzt, neue Stadträume zeitgemäß zu gestalten. Priorität haben Lebensqualität und ökologische Vertretbarkeit. Kategorien wie „Verdichtung" oder „Highrise" werden diesbezüglich strikt funktional hinterfragt und umgesetzt.

Die Konkretisierung von Erkenntnissen aus den urbanen Forschungslaboren muss für alle sichtbar werden, wie Christina Salmhofer, Head of Sustainability, Stockholm Royal Seaport, und Martin Ottoson, Head of Communications, Stockholm Royal Seaport, im Gespräch erläutern. Mit diesem Projekt möchte man auch bezüglich innovativer Technologien und Services an der Spitze stehen. Planungsinstrumente für Entwickler, die eine Quantifizierung und Validation von Ökosystem-Services in öffentlichen Räumen vereinfachen, gehört ebenso dazu, noch vielmehr aber der Einsatz digitaler Planungssoftware.

Vernetzt planen

Um einen Eindruck von der Größe des Projekts ­Royal Seaport zu erhalten, seien ein paar Zahlen, Daten und Fakten genannt: Es werden 12.000 neue Wohnungen errichtet, im Viertel wird es an die 35.000 neue Arbeitsplätze in verschiedensten Sparten geben; derzeit sind es 15.000. Im Gebiet sind 725 Unternehmen ansässig, darunter die schwedische Nasdaq.

Eine U-Bahn-Station in der Nähe sorgt für gute öffentliche Erreichbarkeit des neuen Viertels. Die durchgängige Planung von Radwegen ist ein weiterer wichtiger Punkt: Mit dem Fahrrad ist die Innenstadt innerhalb von zehn Minuten erreichbar. Zudem gibt es Elektro-Hybrid-Busse und Pendlerboote. Malin Klåvus, Stadtplanerin des Stadtplanungsbüros von Stockholm, spricht von der planerischen Herausforderung, das ehemals unattraktive Gebiet mit dem nahen Stadtzentrum zu verbinden. Die Topografie mit einem steilen Hügel ist nicht gerade einfach zu bearbeiten. Zudem gilt es, das neue Straßensystem mit dem bereits bestehenden zu verbinden.

Wichtig ist im gesamten Prozess vor allem die nachhaltige Nutzung von Ressourcen, sowohl im Wohnbau als auch bei Energieversorgung und Mobilität. Ganz klar setzt Stockholm auf Grundsätze der Smart City. Möglichst weitreichende Vernetzung von Informationen soll zum ökologischen Funktionieren einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein deklariertes Ziel lässt sich wie folgt formulieren: „Anhand von Smart-Energy-Networks werden Variationen im Verbrauch sichtbar. Der gesamte Müll wird recycelt. Die Auswirkungen werden visualisiert. Durch die Sichtbarmachung wird zu einer verantwortungsvollen Lebensweise ermutigt."

Transparenz ist gefragt

Und wie kann man sich diesen Vorgang vorstellen? Etwa, indem der eigene Energieverbrauch für Bewohner eines Apartments transparent wird. In einem mit Electrolux geplanten Projekt werden Daten zum eigenen CO2- und Energieverbrauch auf einem Display in der Wohnung - oder auf dem Smartphone - verfügbar gemacht. Möglichkeiten, den Verbrauch erst einmal sichtbar und von einer abstrakten Summe zu einem greifbaren Posten zu machen, stellen einen ersten Schritt zum leichteren Verständnis und zur Nachvollziehbarkeit der Verbrauchsdaten dar.

Wenn ersichtlich wird, wie sich die Kosten zusammensetzen, ergeben sich daraus auch meist Möglichkeiten eines effizienteren Umgangs - ein ressourcenschonenderes Verhalten ermöglicht dann unmittelbar größere Sparsamkeit und in der Folge Kostenreduktion. Umweltbewusstsein wird somit belohnt. Bis 2030 soll der Stadtteil komplett auf erdölbetriebene Transportsysteme verzichten. Zudem wurde in die Planung eine Adaptierung an zu erwartende Klimaveränderungen integriert sowie der Einfluss steigender Wassertemperaturen und eines höheren Meeres-und Grundwasserlevels eingearbeitet.

Die Entwickler des Projekts dürfen sich bereits über die Auszeichnung mit dem C40 Cities Awards freuen. C40 ist ein globales Netzwerk von Großstädten, das auf Probleme des Klimawandels fokussiert ist und Programme zur messbaren Reduktion von Treibhausgasen und Klimarisiken entwickelt. Öffentliche Institutionen werden in Stockholm besonders auf Nachhaltigkeit setzen, außerdem soll bei bereits bestehenden Grünflächen die Biodiversität vergrößert werden - als Anregung und Zeichen der Machbarkeit.

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