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Schauspielerei und Identität: Wer darf noch wen spielen?

Bei den Dreharbeiten zu der historisch nicht allzu korrekten Serie "Bridgerton", 2021, in der so getan wird, als hätten schwarze Menschen selbstverständlich Zugang zum britischen Adel gehabt. © Liam Daniel/​Netflix/​Cinema Publishers/​Imago

Die "Identitätspolitik" polarisiert unsere Gesellschaft. Politische Minderheiten fordern Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kapital. Die Etablierten mit Mehrheitsidentität halten an ihren Privilegien fest. Das gilt natürlich auch für die Kunst- und Kulturszene, sie soll endlich vielfältiger werden, so die berechtigte Forderung. Doch hier wird es knifflig.

Das künstlerische Werk ist immun gegen moralische Urteile, seine Ästhetik ist nicht mit Ethik zu begreifen. Aber auch die Kulturszene ist nicht frei von Herrschaftsverhältnissen. Das zeigt sich drastisch in der milliardenschweren Film- und Fernsehindustrie. Oscar, Emmy, Golden Globe - seit Jahren hagelt es Kritik, weil diese wichtigen Preise weiß, heterosexuell und männlich dominiert sind. Jetzt hat Amazon für die eigene, einflussreiche Film- und Serienproduktion Richtlinien festgelegt, damit künftig mehr politische Minderheiten zu Wort kommen. Drehbuchautorinnen, Stoffe, Schauspieler - alles soll diverser werden. Um das zu erreichen, sollen nicht nur Figuren bestimmte Merkmale aufweisen, sondern diejenigen, die sie spielen, müssen sie mit ihren "echten" Merkmalen beglaubigen. Dafür hat Amazon einen Katalog entworfen: Entlang der Kategorien "race, Ethnizität, Nationalität, sexuelle Orientierung, Alter, Religion, Behinderung (inklusive geistiger Gesundheit), Körpergröße, Gender", Letzteres noch einmal fein unterteilt in "gelesenes, identifiziertes und ausgedrücktes" Geschlecht, soll die Quotierung verlaufen.

An dieser Stelle tut sich ein Dilemma auf: Darf man Kunst Regeln auferlegen und sie sogar bis ins Detail regulieren, damit die Szene diverser und damit gerechter wird?

"Ich ziehe in den Krieg", so beantwortet der britische Fernsehproduzent Russell T Davies diese Frage und will mit seiner Forderung die Serienlandschaft revolutionieren: Nur noch homosexuelle Schauspielerinnen und Schauspieler sollen Homosexuelle spielen. Davies hat das Drehbuch für die erfolgreiche englische Serie It's a Sin geschrieben, die seit einigen Monaten läuft; sie handelt von der Aids-Krise in der Schwulenszene der Achtzigerjahre. Für die Besetzung castete er fast ausschließlich schwule Darsteller, ein Novum. Außerdem ist Davies selbst homosexuell; er erlebte die HIV-Epidemie in Großbritannien mit. It's a Sin ist also auch seine Geschichte.

Davies' Forderung hat eine breite Debatte darüber ausgelöst, wer künftig wen spielen darf. Endlich wird sichtbar, was so lange stillschweigend als selbstverständlich hingenommen wurde: Heterosexuelle Schauspieler und Schauspielerinnen spielen regelmäßig LGBTQ+-Protagonisten, also Menschen mit nicht heterosexueller Geschlechtsidentität, in Großproduktionen - wie Tom Hanks in Philadelphia, Sean Penn in Milk oder Felicity Huffman in Transamerica. Das passiert vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Machtverhältnisse: Personen, die dem entsprechen, was als "normal" gilt, spielen Eigenschaften, für deren Akzeptanz die LGBTQ+-Community immer noch kämpfen muss.

Es ist immer Ausdruck eines Herrschaftsverhältnisses, wer wen spielen darf und so Deutungshoheit über das Gespielte hat. Einstmals praktizierte Spielstrategien wie "Blackfacing" (Weiße schwärzen sich die Haut, um Schwarze darzustellen) oder "Whitewashing" (nichtweiße Figuren werden von Weißen gespielt) sind inakzeptabel. Der umgekehrte Fall hingegen, wenn Homosexuelle Heteros spielen oder Schwarze Weiße, ist unbelastet, weil es in diesem Verhältnis keine Geschichte der Unterdrückung und Abwertung gibt. In der Serie Bridgerton zum Beispiel ist die diverse Besetzung eines eigentlich weißen britischen Adelshofs auf den ersten Blick unproblematisch. Allerdings ergibt sich doch ein Problem, weil brutale Unterdrückungsverhältnisse wie der Kolonialismus durch Royals-Verherrlichung und unkritischen Kostümklamauk relativiert werden.

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