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Die Kinder der Jihadisten

Das Flüchtlingslager al-Hol im Nordosten von Syrien. Rund 200 tunesische Kinder sitzen in Lagern für IS-Anhänger in Syrien, Libyen und dem Irak fest. (Bild: Maya Alleruzzo / AP)

In keinem anderen Land hat sich ein so grosser Teil der Bevölkerung dem Islamischen Staat angeschlossen wie in Tunesien. Nun steht das kleine Land vor einem grossen Problem: Was soll mit den Kindern der vielen Auslandskämpfer passieren, die in den Krieg in Syrien oder Libyen hineingeboren wurden?


Der wichtigste Besitz von Bornia Mathlouthi ist ihr Handy. Die Grossmutter legt es nie aus der Hand. Ständig schaut sie auf das Display, ob es Nachrichten gibt, immer zwischen Hoffen und Bangen. Sie hofft, dass sich ihre Schwiegertochter Lamia aus dem kurdischen Lager an der türkisch-syrischen Grenze meldet. Mit einem Video-Anruf über Whatsapp, damit Bornia ihre drei kleinen Enkel sehen kann. Sie bangt, dass die Kinder im Zelt kauern, dass sie ihr von Hunger und Durst erzählen, von Kälte und Stürmen in der provisorischen Anlage und den ausgefallenen Haaren wegen der schlechten Hygiene. "Oma, kannst du nicht die Mauern hier einreissen und mich holen kommen?", fragt der siebenjährige Abdou dann. Aber das kann Bornia nicht.

"Für den tunesischen Staat ist Lamia eine Terroristin", erklärt die Grossmutter, "weil sie ihrem Mann nach Syrien gefolgt ist." Lamias Mann ist Bornias Sohn Bousaid. Das Gesicht der alten Frau verfinstert sich, wenn sie über ihn spricht. Im Jahr 2015 war Bousaid nach Syrien gereist und hatte sich als Jihadist der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen, wie so viele junge Menschen aus Tunesien.

Fast 7000 Tunesier sind laut der Denkfabrik The Soufan Group in den Irak, nach Syrien und Libyen gereist, um für den IS zu kämpfen. Damit ist der Anteil der Auslandskämpfer in Tunesien, mit seiner kleinen Bevölkerung von knapp 12 Millionen, grösser als in jedem anderen Land. Um die tausend Jihadisten sollen bisher zurückgekehrt sein. Mehrere hundert Tunesier befinden sich derzeit in Lagern in Syrien, Libyen und dem Irak in Gefangenschaft, unter ihnen auch Frauen und Kinder.


Aus der sicheren Heimat mitten in den Krieg

Warum ihr Sohn sich dem IS angeschlossen hat, weiss Bornia nicht. Niemand habe gemerkt, wie er sich radikalisiert habe. Er habe sich vollkommen unauffällig verhalten, sagt sie. Bis er eines Tages einfach weg gewesen sei. Bousaid zog zunächst ohne seine Familie nach Syrien. Bornia erzählt es so, dass er seine Frau Lamia unter Druck gesetzt habe, mit den zwei kleinen Kindern nachzukommen. Enkel Abdou war damals erst drei und seine kleine Schwester Fardaouz ein Jahr alt. Zweimal konnte die Grossmutter die Ausreise in letzter Sekunde verhindern, indem sie die Polizei informierte. "Beim dritten Mal war ich nicht schnell genug", sagt Bornia traurig. Wie ihre Schwiegertochter es ausser Landes schaffte, kann sich Bornia nicht erklären. Die Behörden hatten Lamia auf der Liste für potenzielle Jihadistinnen.

Lamia lebte fortan mit ihrem Mann und den Kindern im sogenannten "Kalifat" in Nordsyrien. Wo genau, das weiss ihre Schwiegermutter nicht. 2016, als der Krieg bereits heftig tobte, brachte Lamia ihren Sohn Mohamed zur Welt. Kurze Zeit später sei Vater Bousaid bei einem Luftangriff ums Leben gekommen. 2018 floh Lamia mit anderen Frauen und Kindern aus der Konfliktzone. An der türkischen Grenze wurde die Familie von kurdischen Truppen festgenommen und in ein Internierungslager für IS-Anhänger gebracht.


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