Was wissen Hörende über Gehörlose? Nicht nur ihre Sprache, auch das Schicksal dieser Menschen in der Geschichte kennen die wenigsten. Die Theaterperformance „Die taube Zeitmaschine" des Possible World e.V. nimmt sich der Perspektive nicht Hörender an. Die Schauspielerin, Vereinsgründerin und Regisseurin Michaela Caspar über eine große Wissenslücke.
globe-M: 2008 erlitten Sie einen Hörsturz. Seitdem sind Sie auf einem Ohr taub und haben mit Possible World eine inklusive Theatergruppe für Hörende und Nichthörende gegründet. Wie gut sprechen Sie Gebärdensprache?
Michaela Caspar: Ich kann nicht sehr gut gebärden, weil Gebärdensprache doch eine komplizierte Sprache ist. Verständigen kann ich mich schon, aber im Arbeitsprozess sich mit Gebärden zu verständigen ist für mich schwierig, weil ich sehr schnell reagieren muss und lautsprachliches Denken ein anderes ist als ein gebärdensprachliches.
globe-M: Das führte auch in der Geschichte zu Missverständnissen.
Michaela Caspar: l`Epée, der die erste Gehörlosenschule mit Gebärdensprache gründete, glich die Gebärdensprache an die Lautsprache an und ließ sie nicht so, wie sie ist. Die Gebärdensprache funktioniert völlig anders. Sie hat einen anderen Aufbau und eine völlig andere Erzählweise als die Lautsprache. Gehörlose müssen sich viel mit der Lautsprache auseinandersetzen. Sie können viel mehr andocken an die lautsprachliche Welt als umgekehrt. Da fehlt viel Wissen auf der hörenden Seite.
globe-M: Mit Possible World beschäftigen Sie sich mit Inklusion von Gehörlosen, Schwerhörigen und Hörenden. Nach „Frühling Erwache!" und „Medea! Die Wahrheit!" bringen Sie gemeinsam „Die taube Zeitmaschine" auf die Bühne. Sie lassen Zeitzeugen Geschichte erzählen. Was war neu für Sie?
Michaela Caspar: Eigentlich alles. Man lernt fast nichts in der Schule über das Schicksal Gehörloser im Dritten Reich. Dass diese Menschen verfolgt wurden, wusste ich nicht.
globe-M: Gehörlose galten von jeher als krank. Wie können Sie das erklären?
Michaela Caspar: Früher wusste man nicht so viel darüber. Sprache hat unseren ganzen Bildungsrahmen geschaffen. Der, der die Lautsprache nicht konnte, galt als nicht bildungsfähig. Wer nicht sprechen konnte, konnte nicht am religiösen Leben teilnehmen, weil er - so die landläufige Meinung - die Bibel nicht lesen konnte. Es steht auch in der Bibel, dass Jesus die Gehörlosen geheilt hat.
globe-M: Neben Aderlass und dem Einsatz von Blutegeln waren auch Elektroschocks eines der drastischen Mittel, um Taube „hörend" zu machen.
Michaela Caspar: Hörende wussten nicht, dass Gehörlose außer, dass sie gehörlos sind, nicht beeinträchtigt sind. Sie experimentierten mit ihnen und trieben die Forschung voran. Wir erzählen in „Die taube Zeitmaschine" aus der Perspektive der Gehörlosen. Zum Beispiel lehnen viele Mitglieder der Gruppe das Cochlea-Implantat ab: „Wir sind vollwertige Menschen, wir können nur nicht hören. Wieso versucht man nicht, mit uns inklusiv zu leben, uns in unserer Sprache zu unterrichten und damit die Integration in die Gesellschaft anzustreben?"
globe-M: Was haben Sie von den Gehörlosen gelernt?
Michaela Caspar: Spaß, Witz, Offenheit, Spielfreude.
„Die taube Zeitmaschine" feierte ihre Premiere am 12. Dezember2014 im Berliner Ballhaus Ost und wurde zuletzt am 14. Juni 2015 aufgeführt.