Ein Mann. Eine Frau. Eine Nacht. Regisseur Rodrigo Sorogoyen skizziert in „Stockholm" die intensive Begegnung zweier Fremder. Liebe, Verführung, Entführung? Sorogoyens Anspielung auf das Stockholm-Syndrom wird erst spät offensichtlich.
Sympathisiert ein Opfer mit seinem Entführer, spricht man vom Stockholm-Syndrom. Auch „Stockholm" ist voller Widersprüche. Die junge Frau, die immer und immer wieder nein sagt und dann doch dem Charme des Mannes verfällt. Weder die Wohnung des Mannes verrät etwas über ihn, noch seine Mimik. Das Mädchen spielt das Mädchen. Nicht mehr, nicht weniger. Die Zauberhafte im weißen Tüllkleid mit langen roten Haaren. Ein Mythos, in den er sich „auf den ersten Blick verliebte."
Lügt er? Sagt er die Wahrheit? Doch der One-Night-Stand, der unausweichlich scheint, ist der Beginn des eigentlichen Dramas. Wie fühlt es sich an, wenn zwei Menschen ein Machtspiel spielen, bei dem keiner gewinnt, weil keiner verlieren will? Wenn die Maske des Abends fällt und die Fratze zum Vorschein kommt?
Ganz behutsam geht Drehbuchschreiberin Isabel Pena vor. Einer Annäherung folgt der Schritt zurück, bis beide das gleiche Tempo haben. Sensibel ist auch das Farbspiel in „Stockholm". Eine Szene ist komplett in schwarz, grau und weiß gehalten. Das wirkt nüchtern und fast sogar klinisch. Mit wechselnden Stimmungen verändert sich auch das Licht. Die kalten blauen Lichter der Großstadt zeigen Mann und Frau. Gemeinsam und doch Lichtjahre voneinander entfernt.
Der Film entstand in nur zwölf Drehtagen. Das geringe Budget ist sogar von Vorteil. Das Team leistete zehn Mal so viel als gewöhnlich.Statt täglich eine Minute zu drehen, nahm sich Kameramann Alejandro de Pablo zehn Minuten täglich vor. Viele Szenen entstanden am Stück. Ein Gewinn, denn das Schauspiel kann sich frei entfalten.
Javier Pereira, der als Jugendstar in spanischen Fernsehserien seine Schauspielkarriere begann, ist längst nicht mehr nur der Teenieschwarm. Der mittlerweile 33-Jährige spielte in „Heroína" ein Drogenopfer, „Tu vida en 65" thematisierte Selbstmord und in „Stockholm" ist es die intensive Beziehung zweier Menschen zueinander, die Pereira gemeinsam mit Aura Garrido meistert. Sie nähern und entfernen sich den ganzen Film über. Er bekam für seine Leistungen den spanischen Filmpreis Goya als bester Nachwuchsschauspieler.
Nicht die einzige Auszeichnung für das Team für „Stockholm". Und das zu recht, denn was der nur 31-jährige Regisseur Rodrigo Sorogoyen gemeinsam mit seinem WG-Mitbewohner Javier Pereira und der bezaubernden Aura Garrido auf die Beine stellte, gehört auf die große Leinwand: eine kleine Idee mit großer Wirkung und großem Schauspiel.
„Stockholm" läuft am 7. November im Kino Babylon-Mitte auf dem 3. Spanischen Filmfest. Die Botschaft des Königreichs Spanien bei globe-M und mehr Informationen zum Spanischen Filmfest.