Stand: 25.09.2018 16:00 Uhr
Die Donau liegt im Sonnenlicht und die Straßenbahn fährt mich klappernd am Parlament vorbei. Meine Reise soll mich zu den wenigen kritischen Medien führen, die es hier noch gibt. Budapest ist kein guter Ort für sie. Kaum ein Jahr, in dem hier nicht Zeitungen oder Sender geschlossen, aufgekauft und auf Regierungslinie gebracht werden. Ich habe oft darüber berichtet. Diesmal bin ich hier um mit denen zu sprechen, die noch da sind und weiter kritischen Journalismus machen.
Regierungskritische Blätter verschwinden vom Markt"'Heti válasz', die Wochenzeitung? Gibt es nicht mehr", sagt mir der Mann am Zeitungsstand und bietet mir stattdessen die regierungsnahe Boulevardzeitung "Ripost" an. Ihr Inhalt: Promis und Panik vor Flüchtlingen. Jedes Mal wenn ich ankomme, gibt es wieder ein paar Blätter weniger. Die große linke Tageszeitung "Népszabadság", die konservative "Magyar Nemzet" - beide inzwischen weg. Nur die kleine " Népszava" hält sich noch. Neben zwei regierungsnahen Blättern ist sie die letzte regierungskritische Tageszeitung Ungarns. Wie arbeiten die Journalisten dieser kleinen ehemaligen Gewerkschaftszeitung?
Regierungspolitiker antworten nicht auf JournalistenanfragenIn einem grauen sozialistischen Kasten, dem Abgeordnetenhaus neben dem Parlament, treffe ich Zoltán Batka. Er ist Reporter bei "Népszava" und recherchiert zu Korruptionsfällen. Heute geht er zur Pressekonferenz des parteilosen Oppositionsabgeordneten Àkos Hadházy. Das Thema: Abgeordnete, die nebenher verdienen. Batka will dem auf den Grund gehen. Seine Recherchen sind in den letzten Jahren immer mühsamer geworden, sagt er mir. Politiker der Regierung antworten auf seine Anfragen grundsätzlich gar nicht. Aber das ist es nicht einmal das, was ihn am meisten frustriert. Was er aufdeckt, habe überhaupt keine Konsequenzen.
Frust: Berichte über Korruption entfalten keine Wirkung"Vor der Wahl habe ich über Fälle von Korruptionsverdacht bei mehreren Politikern Artikel geschrieben. Ich prahle nicht gerne damit", witzelt er und lächelt ironisch, "aber ich glaube, alle, über die ich geschrieben habe, sind wiedergewählt worden." Zehn Jahre hat Batka bei Ungarns größter Tageszeitung "Népszabadság" gearbeitet. Bis ein regierungsnaher Oligarch sie kaufte und schloss. Dann rief "Népszava" an. Ein Glücksfall sei das gewesen, eine Aufforderung, wieder in den Ring zu steigen. Das kleine linke Blatt ist eines der letzten Auffangbecken für die entlassenen Journalisten der großen Tageszeitungen geworden, die von der Regierung geschasst wurden.
"Népszava" ein "Feigenblatt für die Orbán-Regierung""Népszava" ist zur geduldeten Oppositionszeitung geworden. Die Zeitung bekommt sogar staatliche Anzeigen. In Ungarn ein wichtiges Instrument der Regierung, mit dem sie Medien finanziert und steuert. Wie lange die Regierung Orbán "Népszava" so am Leben lässt, weiß Gábor Horváth nicht. "Wir sind klein und arm, sie haben auch schon größere und reichere als uns einfach zugemacht", sagt er. "Aber ich rechne nicht damit. Denn dieses kleine Feigenblatt braucht die Orbán-Regierung. Diesen minimalen Beweis: Das hier ist keine Diktatur, hier gibt es doch eine Oppositionszeitung!"
Es gibt noch einige kritische Medien - im NetzMedien, die aus dem Ausland finanziert werden, sind weit weniger abhängig. Wie der große Fernsehsender RTL. Aber RTL will mit mir nicht über die Situation in Ungarn sprechen. Im Internet gibt es noch mehrere unabhängige Medienseiten. Das größte Nachrichtenportal, " Index", ist keiner politischen Richtung zuzuordnen - was in Ungarn sehr ungewöhnlich ist. Mehr als eine Millionen Ungarn pro Tag lesen "Index". Bei einem Besuch zeigt mir Chefredakteur Attila Tóth-Szenesi die Redaktion, die 85 Mitarbeiter umfasst. "Index" ist schon fast zwanzig Jahre am Markt und in einer Zeit groß geworden, in der der Medienmarkt noch nicht so eng war.
Stiftung soll Unabhängigkeit von "Index" sichern"Jetzt ist es unser Ziel, dazubleiben. Wir leben von der Werbung und der Markt ist enger geworden. Aber wir haben keine Anzeigen vom Staat - und das ist auch gut so." Seine politische Unabhängigkeit versucht das Portal durch eine Stiftung zu sichern, der "Index" gehört. Ein Anwalt, dem die Redaktion vertraut, ist einziger Kurator der Stiftung und Geschäftsführer von "Index". Diese Konstruktion soll verhindern, dass sich regierungsnahe Unternehmer bei "Index" einkaufen und Einfluss nehmen. "Seitdem es diese Konstruktion gibt, wurde niemals irgendein Druck auf uns ausgeübt. Wir konnten vollkommen frei arbeiten", erklärt mir Gábor Milkósi, der stellvertretende Chefredakteur von "Index".
Das Internet: Zufluchtsort für unabhängige JournalistenAuch andere nutzen das Netz, um kritisch berichten zu können. Róbert Puzsér ist freier Publizist und veröffentlicht seine sarkastischen, politischen Glossen auf seinem YouTube-Channel. Hunderttausende klicken sie. Wir treffen uns vor dem Parlament und während Touristenschwärme an uns vorbeiziehen, erklärt Puzsér mir, wie er seine Unabhängigkeit wahrt. "Aus einem Fernsehsender oder dem Radio kann man mich rausschmeißen. Aber aus meinem eigenen Facebook-Profil können sie mich nicht rauswerfen. Aus meinem eigenen YouTube-Kanal auch nicht. Das ist ein Hoffnungsschimmer für unabhängige, autonome Journalisten. Dass sie im Internet existieren können."
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ZAPP | 26.09.2018 | 23:20 Uhr