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Wenn die Dragqueen im Livestream auftritt

"Ich vermisse es in einem Raum mit stinkenden, schwitzenden, wunderschön gekleideten Menschen zu sein", sagt die Berliner Dragqueen Pansy in ihrer Online-Show.

Seit der Corona-Krise sind alle Clubs und Bars, in denen Dragshows organisiert wurden, geschlossen - niemand kann sagen, wann sie wieder aufmachen. Künsterlinnen und Künstler, die auf Publikum und Einnahmen angewiesen sind, waren innerhalb weniger Tage auftragslos.


Pansy reagierte schnell und veranstaltet nun seit sechs Wochen eine Online-Show.

Noch vor Corona stand sie dienstags um 22 Uhr vor schreiendem Publikum in der Karaokebar Monster Ronson's, gleich beim U-Bahnhof Warschauer Straße. Nun sitzt sie alleine vor dem Computer und schaltet Woche um Woche queere Performerinnen und Performer zur Online-Show auf der Plattform Twitch.


Pansy ist schon seit Jahren wichtiger Teil der queeren Szene Berlins und initiierte Veranstaltungen wie die jährliche Wahl zur Miss Kotti. "Alles, was queere Künstlerinnen und Künstler diesen Sommer geplant hatten, ist gestrichen, spendiert ihnen also Trinkgeld", sagt Pansy ihren Zuschauerinnen und Zuschauern, die im Chat auf sich aufmerksam machen.


Spenden werden per Kreditkarte, Paypal oder Sofortüberweisung gesammelt. Immer wenn jemand spendet, klingelt ein kleines Symbol mit Summe und Namen der Person in der linken Bildschirmecke.


Pansy stellt die erste Performerin des Abends vor: Miss Lola Rose. In der Online-Show gibt es keinen Applaus zu hören, stattdessen schreiben die Zuschauerinnen und Zuschauer "Yaaaas" in den Chat.


Es folgt ein Video, in dem Lola Rose zum Song "Come so far, got so far" aus dem Musical "Hairspray" in der U-Bahn-Station Bernauer Straße tanzt. Der Song, in dem Zusammenhalt und eine turbulente Vergangenheit besungen werden, erinnert an die aktuelle Krise - genau wie die menschenleere U-Bahn-Station, in der die Künstlerin herumspringt.


"Drag wurde nie als richtige Kunstform akzeptiert", sagt Pansy beim Telefongespräch mit Tagesspiegel. "Wir waren schon immer darauf angewiesen unsere eigene kleine Wirtschaft aufzubauen." Und die stehe nun still.


Mit der Pride-Season und allen Veranstaltungen im Sommer, die abgesagt wurden, sei auch jede Möglichkeit Geld zu verdienen, weggebrochen.


Die Online-Show, bei der niemand Eintritt zahlt, bringe auch nicht annähernd so viel Geld in die Kasse wie die Veranstaltung im Monster Ronson's. Außerdem könne die Online-Show den persönlichen Kontakt zwischen den Künstlerinnen und Künstler nicht ersetzen. "Wir sehen uns sonst jede Woche, unterstützen uns und sind wie eine Familie", sagt Pansy.


Aufgrund der abgesagten Veranstaltungen bieten Queens und Kings weltweit nun wie Pansy Livestreams an oder versuchen Geld über Merchandise-Produkte wie T-Shirts einzunehmen. Dass das die weggebrochenen Verdienste der Szene nicht ersetzen kann, bestätigt HP Loveshaft. Er gehört zum Venus Boys-Kollektiv in Berlin und kommt aus Los Angeles.

Performances sind seit eineinhalb Jahren seine Haupteinnahmequelle - und das hat bis zur Corona-Krise auch funktioniert. In der Zwischenzeit überbrückt er die weggebrochenen Einnahmen mit einer Finanzhilfe für Selbständige und mit Online-Shows. "Von einem auf den anderen Tag waren zwar alle Shows aufgrund der Krise gestrichen, aber schon am nächsten Tag gab es dutzende Drag-Shows im Netz", sagt er beim Video-Call mit Tagesspiegel.


"Die Online-Shows sind gut für meine psychische Gesundheit", sagt er. So habe er immerhin eine Beschäftigung während der Corona-Isolation, auch wenn Performances ohne Applaus und Reaktion der Zuschauerinnen und Zuschauer eigenartig sind. "Es ist schwer nicht darauf zu achten, wie ruhig es während den Performances alleine vor dem Computer ist", sagt er und lacht.


Woche um Woche sei es aber auch immer schwerer Zuschauerinnen und Zuschauer zum Einschalten zu bewegen. Die queere Community hingegen habe sich innerhalb kurzer Zeit stärker vernetzt als zuvor. So hatte HP nun bereits Auftritte in einer britischen und kanadischen Online-Show. "Die Spende eines Typen war so hoch wie meine Monatsmiete."


So viel Erfolg können nicht alle Online-Shows haben. Zwar spenden die Zuschauerinnen und Zuschauer auch bei Pansy, fest steht aber: Livestreams bieten nur für kurze Zeit die Möglichkeit Geld einzunehmen und sind keine Dauerlösung.


Die Kunst lebt vom Publikum, Dragqueens und -kings brauchen die schwitzende, schreiende Meute im Club, die die Songs mitschreit und applaudiert. "Das Schlimmste ist, dass wir nicht sichtbar sein können", sagt Pansy in ihrem Livestream. Die Auswirkungen der Corona-Krise könnten dazu führen, dass queere Kunst wieder unsichtbar wird - obwohl sie das schon viel zu lange war.

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