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Sprich, und ich sag dir, wer du bist

Anhand von Stimmproben erstellt eine Firma Persönlichkeitsprofile. Forscher warnen vor dem Verfahren.

Um in die Tiefe der Seele vorzudringen, benötigt Precire genau 15 Minuten. So lange muss ein Mensch mit dem Computerprogramm telefonieren, um eine Stimmprobe abzugeben. Was dann passiert, bezeichnen die Hersteller als "Natural Language Processing Data Mining": Die Software untersucht Eigenheiten in der Sprechweise und vergleicht sie mit Tausenden gespeicherten Aufnahmen. Am Ende entsteht daraus ein psychologisches Profil des Sprechers. So jedenfalls lautet das Versprechen des Herstellers Precire Technologies in Aachen.

Vor drei Jahren gegründet, vertreibt die Firma inzwischen ein marktreifes Produkt. Verschiedene Grossunternehmen wie der Flughafen Frankfurt nutzen Precire bereits. Der Personalvermittler Randstad setzt die Software bei der Rekrutierung der eigenen Belegschaft ein: "Wer einen Job haben will, muss den Precire-Test bei uns machen", erklärt Andreas Bolder, Personalchef bei Randstad Deutschland. Die künstliche Intelligenz soll Personalabteilungen dabei unterstützen, geeignete von ungeeigneten Kandidaten zu unterscheiden. Ist jemand fleissig oder faul? Kommunikativ oder introvertiert? Fröhlich oder depressiv? All das soll die Software in Minuten herausfinden.

Verräterische Sprache

Die Software Precire analysiert Tonlage, Wortwahl, Satzbau sowie Sprachgeschwindigkeit und Sprachrhythmus eines Sprechers und erstellt aus diesen Daten eine psychologische Charakterisierung.

"Das Verfahren ist nicht nur schneller als traditionelle Einstellungstests, sondern viel objektiver", sagt Precire-Chef Dirk Gratzel. Der Computer analysiere nur die Daten, auf die er programmiert sei. Geschlecht, Hautfarbe oder sexuelle Vorlieben interessierten die Software nicht. Auf den Inhalt der Aufnahme komme es nicht an. Precire erkenne, wie man etwas sage, also welche Wörter ein Sprecher kombiniere und wie häufig er sie verwende. "Jeder spricht anders", erklärt Gratzel. "Ein neugieriger Mensch unterscheidet sich zum Beispiel in 500 bis 1000 Aspekten von anderen Menschen."

Welche Aspekte das sind, weiss Gratzel nicht. Die intelligente Software hingegen angeblich schon: Bevor Precire auf den Markt kam, wurde die Datenbank mit den Persönlichkeitsprofilen von knapp 6000 Probanden gefüttert. Diese waren zuvor mit den Methoden der klassischen Psychologie untersucht worden. Vereinfacht gesagt, sollte die Software durch diesen Input lernen, wie etwa ein depressiver Mensch spricht - im Gegensatz zu einer Frohnatur. Als Einsatzgebiet für Precire ist folglich nicht nur das Personalmanagement denkbar. Versicherungen könnten Betrüger leichter enttarnen, ebenso die Polizei. Zumindest dann, wenn die Vorhersagen stimmen.

"Ich halte die Software für bedenklich, weil sie tief ins Persönlichkeitsrecht eingreift. Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein."

Ein Team von 30 Psychologen, Linguisten und Informatikern soll bei Precire genau das sicherstellen. Darüber hinaus wird die Firma von einem externen Beirat aus Wissenschaftern unterstützt. Einer von ihnen ist Siegfried Gauggel, Direktor am Institut für medizinische Psychologie und medizinische Soziologie der Uniklinik Aachen. "Ich finde dieses Projekt interessant", sagt Gauggel, "aber ich würde das Ganze vorsichtig sehen." So sei er sich nicht sicher, ob Precire wirklich eine Depression vorhersagen könne. "Solche Urteile sind nie hundertprozentig, es gibt immer Messfehler", bemerkt Gauggel.

Skeptischer ist Fredi Lang vom Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen gegenüber der Erfindung. "Die Genauigkeit von Precire ist nicht belegt", sagt er. "Das sind reinste Werbeversprechen." Lang verweist auf eine von Precire in Auftrag gegebene Studie der Universität München. Darin wurde die Stressbelastung von Probanden per Stimmanalyse gemessen. "Ob Precire in der Lage ist, zuverlässig eine erhöhte Stressbelastung zu erkennen, kann durch die vorliegenden Daten nicht eingeschätzt werden", heisst es im Studienbericht. Hinzu kommt, dass etwa die Hälfte der Teilnehmer Studierende waren. "Das ist schon eine sehr spezielle Gruppe", erklärt Lang. "Wenn Sie mit diesen Daten einen Stahlarbeiter einstellen wollen, können Sie nicht sagen: Das Verfahren ist geprüft."

Ein einfaches Richtig oder Falsch

Unabhängige Studien, die den langfristigen Erfolg von Precire messen, gibt es bis jetzt nicht. Joachim Scharloth, Professor für Angewandte Linguistik an der TU Dresden, stellt die Aussagekraft solcher Software generell infrage: "Es gibt in Teilen der Öffentlichkeit eine grosse Faszination für künstliche Intelligenz und Deep Learning, die teilweise auch ökonomisch ausgenutzt wird", sagt Scharloth. "Bei Fragen, wo es aber kein einfaches Richtig oder Falsch gibt, braucht es ein komplexeres Menschenbild."

Noch grössere Bedenken äussert Nils Schröder, Sprecher der Datenschutzbehörde im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. "Ich halte die Software für bedenklich, weil sie tief ins Persönlichkeitsrecht eingreift", meint Schröder. Bei Bewerbungsverfahren hält der Datenschützer den Einsatz für schlicht illegal. "Von Freiwilligkeit kann da keine Rede sein. Man steht unter Druck, die Prozedur so durchzuführen, wie das Unternehmen es wünscht."

Als Konsequenz wollen die Datenschützer hart durchgreifen. "Wir sind mit den Behörden der anderen Länder im Gespräch, um ein Verbot zu prüfen", erklärt Nils Schröder. Zumindest für sein Bundesland sei die Sache bereits klar: "Wenn eine Firma die Software in Nordrhein-Westfalen einsetzt, werden wir dagegen vorgehen."

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