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Buchkaffee Vividus in Esslingen schließt: Stirbt der Einzelhandel an der Küferstraße aus?

Von Stephanie Schlagenhauf

Fünf Jahre lang war Benjamin Wagner mit seinem Buchkaffee Vividus in der Küferstraße. Jetzt schließt er, wie auch bereits andere Geschäfte in der Küferstraße. Die Hauptschuld dafür sieht er bei der Stadt.

Der Buchhändler Benjamin Wagner sieht, trotz der Schließung des Vividus, optimistisch in die Zukunft. Er hat noch ein zweites Buchkaffee in Tübingen. Dort läuft es gut. Foto: Ines Rudel

Esslingen - Noch wenige Tage bis Weihnachten und somit auch die letzten für das Buchkaffee Vividus. Eine Mietverlängerung macht für Benjamin Wagner, den philosophie- und rethorik-studierten Buchhändler, keinen Sinn mehr: „Kurz vor Weihnachten wird noch fleißig gekauft, doch das Jahr über ist nicht viel los." Für seine Buchhandlung, mit handverlesenem Sortiment aus Belletristik, Antiquariat und Kunstpostkarten, sieht er in der Küferstraße keine Zukunft.

Dafür macht Wagner vor allem die Stadt verantwortlich: „Mir ist unklar, welche Strategie die Verwaltung verfolgt." Statt einen bewussten Kontrast zu Stuttgart durch eine Vielfalt im Einzelhandel mit individuellem Sortiment zu bieten, plane die Stadt ein weiteres Einkaufszentrum, das Via, und verlagere so den Umsatz von der Altstadt immer mehr in Bahnhofsnähe. „Ein Laden nach dem anderen schließt hier und hinzu kommt eine katastrophale Parkplatzsituation, die die Menschen aus der Altstadt fern hält", sagt Benjamin Wagner. Auch die Aktionen der City Initiative, der Wagner einst angehört hatte und die sich für die Belebung der Innenstadt zuständig sieht, findet er nicht wirksam genug.

Was die Umsatzverlagerung zum Online- Handel betrifft, hält sich Buchhändler Wagner mit seinem Geschäftsmodell gut aufgestellt. Er verkauft hochwertige Lektüre im Laden, sorgt mit dem Café für Lebensqualität und gleicht mit dem Online-Versandhandel von Antiquariat verkaufsschwache Tage aus. Sein zweites Buchkaffee in Tübingen läuft seit Jahren gut.

Ladenschließungen und Leerstände in der Altstadt

An das vierte Geschäft verlässt dieses Jahr die historische Küferstraße. Vor wenigen Monaten hat die alt eingesessene und Familienbäckerei Mohr gegenüber geschlossen. Die Geschäftsaufgabe von Bäcker Bernd Mohr ist zwar altersbedingt. Doch auch er hatte der Stadt nach der Schließung im September vorgeworfen, dass sie die Küferstraße verkommen lasse: „Die Küferstraße stirbt von Jahr zu Jahr mehr aus, während rund um die Bahnhofstraße investiert und gebaut wird, was das Zeug hält."

Nebenan steht nun auch das Traditions-Kaffeehaus Sonne leer. Und sogar die Brisky Galerie in der angrenzenden Ritterstraße ist anfang des Jahres ausgezogen. Dort stapeln sich nun bis an die Ladendecke Proteinpulver für Bodybuilder. Es ist nicht zu übersehen, dass hochwertige Anbieter vielerorts durch Billiganbieter wie Ein-Euro-Läden ersetzt werden.

Die Küferstraße und auch weitere Teile der Altstadt verändern sich. Sind die Geschäfte dort nicht mehr zeitgemäß?

Das Profil der Küferstraße verändert sich

„Die Fußgängerzone der Altstadt ist mit ihren nicht zusammenhängenden 1,2 Kilometern Länge sicher eine Herausforderung", sagt Silke Renninger-Metz, die Leiterin der City Initiative der Stadt Esslingen. Dennoch kann sie die Klagen von Buchhändler Benjamin Wagner nicht nachvollziehen.

Mit Großveranstaltungen, wie dem „Esslinger Herbst" oder „Esslingen funkelt" versuche man für die Einzelhändler einen Rahmen zu schaffen. Doch sich daran zu beteiligen, dafür sei letztlich der Händler selbst verantwortlich.

Politik und Stadt haben nur begrenzt Einfluss

Das Thema bewegt auch den Esslinger Gemeinderat. Beispielsweise Andreas Koch, Fraktionsvorsitzender der SPD, kennt das Ungleichgewicht zwischen der westlichen und der östlichen Innenstadt - samt Küferstraße. Laut Koch arbeite man an Konzepten, doch „der große Wurf war bislang zugegebenermaßen nicht dabei und ist angesichts der Kleinteiligkeit der dortigen Einzelhandelsflächen vielleicht auch gar nicht möglich."

Koch sagt auch: „An wen Hauseigentümer zu welchen Preisen ihre Läden vermieten, darauf hat der Gemeinderat keinen Einfluss, und es ist auch nicht die Stadt, die in Shoppingcenter in Bahnhofsnähe investiert."

Stadt erhofft sich durch „Via" Ausstrahlungseffekte für die Altstadt

Auch der Pressesprecher der Stadt Esslingen, Roland Karpentier, sagt: „Wir sind in engem Kontakt mit den Hauseigentümern, haben aber nur bedingt Einfluss". Die Straße solle im Ganzen weiterentwickelt werden, aber die Hauseigentümer hätten unterschiedliche Interessen: „Der Eine setzt auf kurzfristige Vermietung, die Nächste will langfristig planen und der Dritte will verkaufen." Das mache eine einheitliche Strategie für die Straße schwierig.

Die Küferstraße befinde sich im Windschatten von Weststadt und Bahnhof, und auch der Bau der geplanten Einkaufsmall des Via, auf dem Gelände des Karstadt-Parkplatzes, sei nur „bedingt verheißungsvoll" für die Küferstraße, sagt Karpentier. Dennoch erhoffe sich die Stadt „Ausstrahlungseffekte", die auch den östlichen Teil Esslingens stärken.

Vielleicht sind diese „Ausstrahlungseffekte" gar nicht mehr nötig. Denn seit Kurzem gibt es Überlegungen, wie die östliche Altstadt für innovative Jungunternehmer interessanter werden könnte.

Start-Up-Hochburg statt Einzelhandel ?

„Gründungsfreundliche Stadt Esslingen" heißt dieses neue Konzept der Stadt und des Wirtschaftsförderers Marc Grün, das in unmittelbarer Nähe zur Hochschule und im Bereich der Küferstraße und Kupfergasse Büros für Kreative, Selbstständige und Jungunternehmer schaffen könnte. Auch eine neue Stadtbücherei könnte hier entstehen. Allerdings müsste die Stadt in Vorleistung gehen.

Solche klaren stadtpolitischen Entscheidungen begrüßt auch der Buchhändler Benjamin Wagner: „Wenn es eine andere Strategie gibt, die den Einzelhandel hier nicht mehr will, ist das doch in Ordnung - das muss aber einfach offen und ehrlich kommuniziert werden."

Wagner wird sich nun auf seinen Laden in Tübingen konzentrieren. Dieser läuft nun seit über zehn Jahren gut. „Die Küferstraße habe ich als Einkaufsstraße aufgegeben", sagt Wagner. Am Samstag, 22.12. ist der letzte Tag, an dem das Buchkaffee Vividus geöffnet hat.

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