Februar ist in den USA und Kanada Black History Month. In diesem Monat soll Geschichtserzählung aus einer Schwarzen Perspektive beleuchtet werden. Seit einigen Jahren finden auch in Deutschland Veranstaltungen zum Black History Month statt. Zur Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland gehören auch immer Völkerschauen. Sie dienten im 19. und 20. Jahrhundert der Unterhaltung und hatten – anders als propagiert – herzlich wenig mit Völkerverständigung und kulturellem Austausch zu tun. Viele Veranstalter tourten wie Wanderzirkusse durch ganz Europa und machten nicht nur Halt in Großstädten. Vor 115 Jahren gastierte ein Menschenzoo aus Afrika im damals 49.000-Einwohner-kleinen Oldenburg.
Die Reportage zum Anhören: Das Somali-Dorf aus der Völkerschau, [3:25]
Die Oldenburger Völkerschau
Hinter dem Alten Landtag in Oldenburg liegt eine kleine, unspektakuläre Grünfläche: Die Dobbenwiese. Hier fand vom 9. Juni bis zum 20. September 1905 eine Landesausstellung statt. Ihr Highlight war das sogenannte Somali-Dorf. Eine Völkerschau.
"Es handelte sich dabei um eine Truppe von mindestens 50 Männern, Frauen und Kindern aus verschiedenen Ländern, die hier in einem aufgebauten Dorf lebten, verschiedene Gewerke ausführten. Die Produkte konnten die Besucherinnen und Besucher auch noch auf der Völkerschau kaufen, und es gab verschiedene besondere Programmpunkte, wie beispielsweise eine Hochzeit", erzählt Jennifer Tadge. Sie ist Doktorandin im Oldenburger Landesmuseum Natur und Mensch. Vor 15 Jahren gab es dort eine Ausstellung zu der Völkerschau. Die ist aber, genauso wie die Völkerschau, wieder in Vergessenheit geraten. Auf der Dobbenwiese erinnert nichts daran, dass hier vier Monate lang ein Menschenzoo stand – für dessen Eintritt Erwachsene 50 und Kinder 25 Pfennig zahlten.
"Das Somalidorf hier war ein Publikumsmagnet. Die Zeitungen berichteten, dass im Rahmen von ein paar Monaten über 150.000 zahlende Besucher zu Gast waren, um sich diese Völkerschau anzuschauen. Was interessant ist, dass ich in den Zeitungen fand, dass die Oldenburgerinnen und Oldenburger durchaus wussten, dass es sich hier nicht um das reale Leben dieser Menschen handelte, sondern um eine Inszenierung."
Kritik an der Vorführung der Menschen gäbe es allerdings keine. Dafür aber Zeugnisse des voyeuristischen Blicks weißer Europäer auf die vermeintlichen Wilden. So berichten die Zeitungen, dass sich die Besucherinnen und Besucher der Landesausstellung darüber erheiterten, wie Schwarze Menschen ins Kino gingen.
"Dieser Moment vom: “Aha, das kennt er nicht”. Das ist ja schon rassistisch in sich. Es ist halt so, wie, wenn man einem Affen ein Telefon gibt und sich dann darüber amüsiert", sagt Hodan Farah. Sie ist Schwarze politische Bildnerin und befasst sich mit deutscher Kolonialgeschichte und den Nachwirkungen des Kolonialismus. Die Gegenüberstellung von vermeintlich primitiven Menschen mit einer technologischeren, westlichen Welt ist rassistisch. Genauso wie die Tatsache, dass ein Ort exemplarisch für die Kultur einer riesigen Region stehen sollte. "Wenn beispielsweise eine Dorfgemeinschaft gezeigt wird und dann ist es: “Ach, so ist es in dem und dem Land.” Das ist eigentlich eine Single Story und in dem Erzählen einer Single Story als ganz einheitliche ist es ja schon rassistisch."
Im Fall des Somali-Dorfes wollten die Veranstalter die Lebensweise von Menschen aus einer Region im Osten Afrikas zeigen, die das heutige Somalia, Dschibuti und Teile Äthiopiens umfasst. Ein Gebiet, das fünfmal so groß ist wie Deutschland. "Die ganze Industrie, die dahinter steckt, ist eigentlich quasi so ein Bindeglied zu eben diesem weißen Vorherrschaftsdenken. Weil es halt Schwarzen Menschen und eben Menschen aus – in Anführungsstrichen – “neu erschlossenen Gebieten” die Menschlichkeit nimmt. Und sie halt zu so etwas konstruiert was dann halt eigentlich in der Realität gar nicht so richtig existiert, aber halt irgendwie seit Jahrhunderten immer und immer wieder von weißen, europäischen Dichtern, Schriftstellern, “Wissenschaftlern” – in Anführungszeichen – konstruiert wurde. So die Fremde, die Fremden." Für Hodan Farah ist das auch problematisch, weil schon lange vor 1905 Schwarze Menschen in Deutschland lebten. "Und die Frage von: Wer ist Deutsch und wer nicht bzw. können Schwarze Menschen Deutsche sein? Die bestand ja schon. Das hat alles zeitgleich stattgefunden. Und dennoch wurden Schwarze Menschen so dargestellt."
Das Somali-Dorf blieb bis zum 15. September 1905 in Oldenburg. Danach ging es weiter nach Leipzig und Zwickau.