DNA-Studien bestätigen, dass Magersucht zum Teil genetisch bedingt ist. Dieses Wissen kann helfen, die Krankheit zu entstigmatisieren, sagt der Tübinger Mediziner Stephan Zipfel.
taz: Herr Zipfel, Sie haben zusammen mit über 200 weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus über zwanzig Ländern das Erbgut von 17.000 Personen mit der Diagnose Anorexie untersucht. Dass Magersucht zum Teil genetisch bedingt ist, ist aus zahlreichen Familien- und Zwillingsstudien bekannt. Was haben Sie Neues entdeckt?
Stephan Zipfel: Erst mal konnten wir vieles, was wir aus der Forschung und persönlichen Erfahrung mit Patientinnen kennen, noch einmal bestätigen. Dass Menschen genetisch bedingt ein höheres Risiko haben können, eine Essstörung wie Magersucht zu entwickeln, haben wir aufgrund von früheren vergleichenden Zwillingsstudien zwar vermutet, nun haben wir jedoch den genetischen Beweis. Dazu fanden wir starke Ähnlichkeiten mit dem genetischen Profil von Menschen mit Zwangsstörungen, Depression und Schizophrenie sowie Gene, die im Körper für bestimmte Stoffwechselprozesse zuständig sind - beispielsweise für die Entstehung von Diabetes mellitus Typ 2. Auch den erhöhten Bewegungsdrang, den viele Betroffene empfinden, konnten wir genetisch nachweisen.
Gene können sich über die Jahre verändern. Woher wissen Sie, dass die Gene, die Sie identifiziert haben, vererbt wurden und nicht erst durch die Erkrankung entstanden sind? Also dass die Betroffenen bereits vor der Erkrankung ein erhöhtes Diabetes-Typ-2-Risiko haben und dieses nicht erst durch das starke Untergewicht entsteht?
Es stimmt, durch die sogenannte Epigenetik wissen wir, dass einzelne Gene nicht nur vererbt werden, sondern auch durch Umwelteinflüsse verändert werden können. Diese Regulationen der Genstruktur werden beispielsweise durch bestimmte Enzyme ausgelöst. Um diese Veränderungen zu erforschen, schaut man sich dann die sogenannte Methylierung an. Wir untersuchten jedoch nicht die Methylierungen, sondern die Gene selbst. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Anorexie eine sehr komplexe Erkrankung ist. Das heißt, sie wird nicht durch ein bestimmtes Gen oder Chromosom ausgelöst, sondern durch ein Zusammenspiel von einer Vielzahl von Genen sowie psychosoziale Konfliktkonstellationen - etwa in der Familie. (...)
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