Wenn es eine Zeit gibt, die Sören Hochberg aka Search Yiu geprägt hat, dann definitiv die frühen Zweitausender. Die Ästhetik seines einzigen Musikvideos und all seiner Social-Media-Profile geht im Grunde auf Animé-Charaktere und 3D-Animationen zurück. "Ich habe früher Dragon Ball, One Piece, Vision of Escaflowne und all die anderen Animés geschaut, die sich jetzt im Musikclip wiederfinden", erklärt Hochberg. "Irgendwann kam dann die Zeit, in der ich das wieder gefeiert habe und die Idee war genau die Sachen zu integrieren, die mich geprägt haben." Sören Hochberg ist nicht der erste mit dieser Idee, aber auch einer, dem das egal ist: "Natürlich ist das so ein Internet-Tumblr-Ding. Aber es wäre Unsinn, etwas nicht zu tun, nur weil es gerade im Trend liegt. Wenn es mir gefällt, mache ich das."
In seinem Zimmer in einem Sechzigerjahre-Block irgendwo im ruhigeren Berlin-Schöneberg hat der Musiker aus Landau einen kleinen Eminem-Schrein aufgebaut. Im Hintergrund läuft R'n'B. Hochberg wohnt in einer WG mit Max " Drangsal" Gruber und Tim Roth alias Kalk Raus, seines Zeichens Soundbastler, Mitglied der Band um den Musiker, der die Achtzigerjahre mindestens doppelt so gut ins Heute holen will wie alle anderen, und Produzent des Search-Yiu-Debüts Ride On. Man wird den Eindruck nicht los, dass diese Wohnung so etwas wie das Zentrum der Südpfälzer Exilmusiker-Community ist: Keiner der ein- und ausgehenden Leute scheint nicht aus Umfeld der Bands Drangsal oder Sizarr zu kommen.
Bietet Berlin mehr Möglichkeiten als die Provinz? "Ich würde niemals sagen, dass Berlin mich stark inspiriert hat. Ich würde sicher auch diese Musik machen, wenn ich immer noch in Landau wohnen würde," ist sich Sören Hochberg sicher. "Oder wo auch immer." Stärkere Impulse als sein räumliches Umfeld gebe ihm das Internet, erklärt der 25-Jährige. "Wie wahrscheinlich bei 90 Prozent der Musiker heute. Aber natürlich haben auch die Freunde großen Einfluss, mit denen ich Musik mache."
Diese Freunde, das sind die Menschen, die hier wohnen und ein- und ausgehen. Es sind die Menschen, die teilweise im FFriends-FForever-Kollektiv vernetzt sind, einem Zusammenschluss von Künstlern aus Landau und Umgebung, das neben Search Yiu, Sizarr und Drangsal noch den Synth-Pop-Barden Bled White und den freien Künstler und Tätowierer Retro23 umfasst. Die Friends machen viel Musik zusammen - und wenn man ohnehin schon zusammen wohnt, muss man dafür nicht mal das Haus verlassen: "Ich sitze viel daheim, weil ich ständig mit meinen Mitbewohnern Musik mache. Ja, wir sind schon Stubenhocker."
Fruchtbar ist die gemeinsame Stubenhockerei aber allemal; so finden sich - na klar - auf Search Yius Debütalbum Ride On zwei der Friends wieder. Sizarrs Phillipp Hülsenbeck, der gerade solo unter dem Namen Doomhound unterwegs ist, trägt zu "Come Over" seine Percussions- und Gesangsexpertise bei. "Zuchtbulle", die Kollaboration mit Drangsal, ergänzt das eklektizistische Werk um eine Gitarrenrock-Facette.
Bleibt die Frage nach einer stilistischen Klammer. Hochberg antwortet darauf meist mit Future R'n'B. "Ich habe die Musik so gelabelt, weil sie im Herzen R'n'B ist, aber versucht, in die aktuelle Zeit zu passen." Prinzipiell gehe er aber mit allem d'accord, meint Hochberg genügsam -"es gibt ja auch Singer/Songwriter-Sachen auf der Platte. Mit Pop bin ich auch voll zufrieden." Überlegt man, wer sonst so unter dem Future-R'n'B-Label firmiert, etwa die weiblichen Superstars Kelela, Banks oder FKA Twigs, macht die Einordnung durchaus Sinn. Auch hier finden sich tiefe Bässe, vertrackte Beats, deeper Gesang. Glücklicherweise lässt der Junge aus der Pfalz dabei die Finger vom Autotune, einer Spielerei, die sonst - warum auch immer - dazuzugehören scheint.
Ob R'n'B oder doch eher Pop, irgendwie future ist der Sound von Ride On auf jeden Fall - oder zumindest mitten im Jetzt. In der Produktion von Kalk Raus hört man den musikalischen Eklektizismus einer Musikergeneration heraus, die sich völlig losgelöst von Genregrenzen durch die Musik aller Generationen und aller Ecken der Welt diggt - beziehungsweise klickt.
Dabei ist die produktionstechnische Reife von Hochberg und Roth einigermaßen erstaunlich, bedenkt man, dass alles in Eigenregie entstanden ist. Die Samples sind ausgetüftelt, der Instrumenteneinsatz wohl dosiert. Es geht recht emotional zu, sowohl gesanglich als auch instrumentell ist das Ganze deep und catchy zugleich. Selbst ein mit dem Kitsch flirtender Song wie "NoFace" kratzt die Kurve und überrascht plötzlich mit unerwarteten Soundwechseln.
Dabei gibt sich der Macher weniger ambitioniert als seine Musik: "Ich muss gestehen, dass ich nicht so krass hinterher bin, das hier irgendwie zum Erfolg zu bringen. Dafür alles zu versuchen, liegt mir fern", stapelt Hochberg tief. "Natürlich ist es ein Traum, mit der Musik richtig durchzustarten. Am Ende verlasse ich mich aber darauf, was sich ergibt" - der Mittzwanziger hat mit Studium und Job noch ein Leben neben der Musik. "Ich bin nicht darauf angewiesen, dass genau diese eine Sache funktioniert. Andernfalls fühlt man sich auch unter Druck gesetzt - und diesen Druck will ich nicht haben."
Mit dem zu viel an Freiheit, an dem andere Künstler scheitern, scheint Sören Hochberg ganz hervorragend umgehen zu können - wie seine Produktivität belegt: Nach der ersten EP Drugs I Did im Vorjahr und dem Debütalbum im Februar erschien im März 2016 mit "Inner Harm" das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Ambient-Musiker Paul Valentin. Heute kündigt Search Yiu mit dem neuen Song "More To Come" bereits ein zweites Album für den Spätsommer an, für das Hochberg ganz entspannt einen weiteren Namen ins Boot geholt hat: Silkersoft, der vorher allerhand Tracks auf der Erfolgsplatte Alles Brennt für Zugezogen Maskulin produziert hat. Tief stapelt man anders.