Max, dein neues Album ist sehr detailverliebt im Vergleich zum ersten, Kein Punkt wird mehr fixiert. Das klang eher frei raus, wie eine Momentaufnahme, mit einem Vierspurrekorder mitgeschnitten. Welt in Klammern dagegen fühlt sich sehr durchdacht an und ist sehr detailreich. Kannst du etwas zum Produktionsprozess sagen?
Kein Punkt wird mehr fixiert entstand aus einem Gefühl heraus. Das war zu einer Zeit, als ich in Stuttgart gerade in eine sehr zentrale Wohnung gezogen bin. Es war extrem laut dort, draußen waren überall Bars. Es war eine ziemlich abgefuckte Wohnung, die seit Jahren von diversen Leuten als eine Art Proberaum genutzt wurde. Wirklich runtergesifft, aber überall standen Schlagzeuge und Verstärker, alles war voller Instrumente. Am ersten Morgen nach meinem Einzug, direkt nachdem ich aufgestanden bin, habe ich angefangen, an diesem Ding zu arbeiten. Ich habe glaube ich nur zehn Tage gebraucht, dann war ich damit fertig. Damit war das abgeschlossen. Kein Punkt wird mehr fixiert ist für mich auch eigentlich eine EP, wurde aber vom Label als Album verkauft, wahrscheinlich weil kein Mensch EPs kauft. Konzipiert als Album war es definitiv nicht. Noch bevor es rauskam, habe ich angefangen, am aktuellen Album zu schreiben. Ich wollte das wirklich fein ausarbeiten, der von dir beschriebene Eindruck ist definitiv beabsichtigt. Die Platte wurde 2013 begonnen und ungefähr Ende 2015 fertiggestellt. Das war natürlich ein komplett anderer Prozess. Ich habe Wochen dafür gebraucht, immer wieder von vorne angefangen. Ich hatte am Ende 160 Songs und bloß diese zehn ausgesucht.
Gibt es bei 160 Songs noch Material, das du irgendwann noch verwerten wirst?
Es gibt jede Menge Material, einige Sachen sind auch richtig gut, haben eben nur nicht im Kontext dieses Albums funktioniert. Ich plane auf jeden Fall noch so etwas wie Bonussongs zum Album, in welcher Darreichungsform auch immer. Vielleicht veröffentliche ich sie auf Kassette und verkaufe sie als eine Art Crowdfunding-Aktion für die Band, die ich jetzt starte und die ich gerne auch bezahlen würde. Das sind alles sehr gute Musiker, und ich weiß noch nicht wie das finanziell funktionieren soll. Könnte also sein, dass ich bis zur Tour eine kleine Spezialedition raus habe mit Material, das nicht auf dem Album gelandet ist.
Bisher wurden All-Diese-Gewalt-Veröffentlichungen bei Indies wie dem Stuttgarter Label Treibender Teppich Records vertrieben oder einfach bei Bandcamp hochgeladen. Was war der Grund, jetzt mit der Veröffentlichung auf Staatsakt einen Schritt weiter zu gehen?
Ich dachte, dass das eventuell noch mehr Leuten gefallen könnte als dieser Nische. Ich habe diese Musik nie für eine Nische machen wollen. Ich wollte zwar auch nie Musik für ein großes Mainstream-Publikum machen, aber ich bin trotzdem und generell der Meinung, dass alles grundsätzlich Pop sein kann, wenn man der Musik die Möglichkeit dazu gibt. Leute darauf aufmerksam zu machen ist eigentlich alles, was man dafür tun muss. Dieses Album soll auch Leute ansprechen, die gar nicht so sehr hinter den aktuellsten Platten her oder in Underground-Musik besonders bewandert sind. Es ist nämlich inzwischen extrem schwierig geworden, sich seinen Weg durchs Internet zu suchen und eben bei solcher Musik zu landen. Es war also nie ein Dogma, dass die Sachen nur auf Bandcamp rauskommen und nicht promotet werden. Es war dafür nur genau das Richtige, denn es waren Platten, die sich nicht verkaufen und die deshalb heutzutage eigentlich gar kein Label machen möchte. Ich fand sie trotzdem musikalisch spannend und dachte, dass es Leute geben könnte, die sich dafür interessieren.
Was hat es mit dem Albumcover auf sich, dem Hungarian Boy?
Das Gemälde von Marianne Stokes, ja. Ich habe es auf dem Flickr-Account
des Internet Archive gefunden. In diesem Archiv wurden ganze Bücher und
Bibliotheken eingescannt. Es wurde ein Algorithmus geschrieben, der in
diesen Scans Illustrationen und Bilder ausfindig macht, sie extrahiert
und auf den Flickr-Account lädt. Das ist vollautomatisiert, es gibt
Millionen von Bildern, Tausende von Seiten. Dieses Zeug hatte noch nie
jemand gesichtet. Ich dachte mir, da steige ich mal auf Seite 11.370 ein
und klicke mich einfach durch die Bilder, bis ich das eine finde, das
passt. Das war gar nicht speziell für das Album-Artwork gedacht. Ich
denke, dass wir in einer Zeit leben, in der es einen absoluten Überfluss
an Bildern gibt und ich mir selbst manchmal dämlich vorkomme, wenn ich
schon wieder ein eigenes Bild publiziere. Bilder verlieren ihre
Wirkmächtigkeit, weil sie so inflationär sind und viele Leute sich gar
keine Gedanken mehr machen, was sie auslösen können. Jeder hat eine
Kamera in der Tasche und fotografiert die ganze Zeit.
Deswegen auch ein Gemälde und kein Foto?
Nein, das hat damit nichts zu tun. Deswegen ein Bild, das schon
existierte, und kein neu produziertes. Obwohl ich auch nicht sagen will,
dass ich nie mehr irgendwelche Bilder mache. Zu diesem Zeitpunkt fand
ich das aber interessant und habe mich tatsächlich wochenlang
durchgeklickt. Das Bild hat mich irgendwie angesprochen, und ich habe es
benutzt.
Wohnst du noch in Stuttgart?
Ich wohne seit kurzem in Leipzig.
Eigentlich wollte ich eine Frage zu Stuttgart stellen. Von außen
betrachtet wirkt es so, als hättest du dort in der Szene überall deine
Finger im Spiel. Deshalb wäre meine Frage gewesen, was Stuttgart so
eigen macht. Eine Frage, die dir wahrscheinlich schon oft gestellt
wurde.
Heute erst zwei mal. (lacht) Nein. In Stuttgart war es eben
zufällig so, dass sich zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute
getroffen haben. Ich denke, das ist deswegen passiert, weil es a) groß
genug ist, dass es genügend Leute gibt, die sich für alternative Musik
interessieren und b) klein genug, dass sich diese Leute gezwungenermaßen
irgendwann alle über den Weg laufen. Es sind wirklich nicht so viele,
aber diejenigen, die dabei sind, haben wirklich Lust darauf. Es kommen
ganz viele verschiedene Einflüsse dadurch rein, weil dann doch jeder aus
einer anderen Richtung kommt und auch in eine andere Richtung möchte.
Ich würde inzwischen auch nicht mehr sagen, dass diese Stuttgarter Szene
so massiv auf dem Vormarsch ist. Man muss sich das vielleicht wie viele
Bahnen vorstellen, die sich einmal alle an einem Punkt gekreuzt haben
und dann wieder ein wenig auseinandergedriftet sind. Jeder hat daraus
etwas mitgenommen. Es gibt Bands, mit denen ich dadurch immer noch
zusammenarbeite, und Bands, bei denen das nicht mehr der Fall ist. Auf
der anderen Seite ist es aber doch so, dass es ab einem gewissen Punkt
ein bisschen erschöpft ist. Dieser Punkt war schon vor einer ganzen
Weile erreicht, so dass ich dachte: Eigentlich gibt es hier nicht mehr
so viel zu holen. Ich wollte neue Sachen kennenlernen.
War das der Grund, nach Leipzig zu ziehen?
Nein, nicht gezwungenermaßen, und nicht spezifisch Leipzig. Ich hatte
dort die Möglichkeit, für kleines Geld ein richtiges Studio
einzurichten, wo ich so laut spielen kann, wie ich möchte. Das ist für
mich gerade wichtig, deswegen habe ich mich dafür entschieden. Gefällt
dir die Platte eigentlich?
Ja, sogar sehr gut. Den Detailreichtum finde ich schön, und das
wiederum finde ich interessant, weil ich vorher diesen rauen,
brummig-bassigen Charakter so mochte. Ich hatte die Befürchtung, dass es
mit einer aufwendigeren Produktion nicht mehr so gut funktioniert, aber
das ist gar nicht so. Es hat noch diesen harten, düsteren Charakter und
ist gleichzeitig aber auch Pop.
Dann kommt sie gut an, dann kommt sie an wie beabsichtigt. Ich hatte
auch Sorge, dass man damit gar nichts mehr anfangen kann, zumindest die
Leute, die das bisher gut fanden. Aber ich kann mich damit letztendlich
auch gar nicht aufhalten, dass die Menschen gerne dies und jenes hören
würden. Denn ich möchte keine Platte zweimal machen und halte nichts von
Musikern oder Künstlern, die immer und immer wieder dasselbe liefern,
weil sie gemerkt haben, dass das Konzept funktioniert. Ich finde es
wichtig, dass man immer schaut, wo es als nächstes hingehen soll.
Eine gewisse stilistische Ähnlichkeit haben deine
Veröffentlichungen aber schon. Würdest du nicht sagen, dass es für All
diese Gewalt diesen einen Musikstil gibt, so wie du ihn mal nanntest:
Drone Pop?
Ich habe es jetzt einfach mal Drone Pop genannt. Das Genre gibt’s ja auch gar nicht.
Also wird sich der Charakter von All diese Gewalt auch immer ändern?
Ja, natürlich, weil sich alles die ganze Zeit verändert, sowieso. Und
man selbst verändert sich auch, alles ist im Fluss. Das zu verneinen ist
für mich Stillstand. Und Stillstand ist das Schlimmste, das es gibt.
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