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Giannis Antetokounmpo: Der Junge aus Athen

Giannis Antetokounmpo ist aus einfachsten Verhältnissen zu einem der weltbesten Basketballer geworden. Aus dem einst schmächtigen Jungen ist der Greek Freak geworden. Mit den Milwaukee Bucks will er den NBA-Titel gewinnen.

Wenn die großen Basketballer von ihren Anfängen erzählen, sind das oft tolle Geschichten: der erste eigene Ball, das erste Training - wie wunderbar das alles war. Bei Giannis Antetokounmpo ist das anders: „Ich hasste es. Ich wollte nicht Basketball spielen", erinnert sich der Grieche an seine Gedanken als Zwölfjähriger. Damals hatte ihn sein älterer Bruder zum ersten Mal auf einen Freiplatz in Athen geschleppt, obwohl der Jüngere doch Fußballer werden wollte.


Schnitt, knapp dreizehn Jahre später: Giannis Antetokounmpo ist vielleicht der beste Basketballer der Welt. In der vergangenen Spielzeit gewann er den Titel des wertvollsten Spielers in der NBA, zur Zeit bereitet er sich mit seinem Team, den Milwaukee Bucks, in Florida auf den Re-Start der nordamerikanischen Basketballliga vor.


Viele Experten trauen den Bucks zu, die Meisterschaft zu gewinnen. Das liegt vor allem an Antetokounmpo. Der schmächtige Junge mit dem breiten Grinsen aus dem Athener Stadtteil Sepolia ist zum „Greek Freak" geworden, zum griechischen Freak: 2,11 Meter groß, Schuhgröße 49, knapp 110 Kilogramm schwer. Und trotz dieser Maße beweglich und ballsicher. Einer, der mit krachenden Dunks Highlights produziert, aber auch einer, der das Spiel aufbauen kann wie ein 30 Zentimeter kleinerer Point Guard.


2007 wird Giannis auf einem Freiplatz entdeckt. „Ich habe sein Talent sofort gesehen", erinnert sich sein Entdecker Spiros Velliniatis in einer Dokumentation. Der Zwölfjährige habe zwar nicht Basketball spielen können, weil er bis dahin nur Fußball gespielt habe. Aber schon damals habe sich Antetokounmpo gut bewegen können. „Und er hatte den Willen, zu gewinnen."


Der Wille, zu gewinnen - er wurde in den Häuserschluchten der Athener Vorstädte geformt. Giannis und seine drei Brüder wuchsen im nördlichen Stadtteil Sepolia auf, weit ab von den Touristenmassen. Ihre Eltern waren auf der Suche nach Arbeit aus Nigeria nach Griechenland gezogen und in der Armut gelandet. Sein Vater, erinnerte sich Antetokounmpo später, habe oft auf Essen verzichtet, damit seine Söhne satt wurden.


Das Geld war knapp, Jobs auch. Das Leben im Griechenland der 90er-Jahre schweißte die Familie zusammen. Auch die Kinder mussten helfen. „Er hat alles mögliche gemacht, um zu überleben. Für sich, aber auch für seine Familie", erzählt Entdecker Velliniatis. Der Junge verkaufte Tassen oder Brillen auf den Straßen. „Kleinigkeiten", wie Velliniatis sagt, „um Essen nach Hause zu bringen."


Irgendwann merkt Antetokounmpo, dass auch der Basketball das Essen zahlen könnte. Gemeinsam mit seinen beiden jüngeren Brüdern spielt er beim Vorstadtklub Filathlitikos O.A. Dort beobachtet Takis Zivas, der erste Trainer des späteren NBA-Stars „ein dünnes, kränkliches Kind", das wahrscheinlich Probleme mit der Ernährung hatte. „Trotzdem war er jeden Tag beim Training."


„Als ich trainiert habe, dachte ich nicht an das Training - ich dachte an Mama und Papa", so Antetokounmpo später rückblickend. Nie wieder, so das Ziel des Jungen, sollten seine Eltern als Straßenverkäufer durch die Viertel Athens ziehen müssen. Die Stunden in der Trainingshalle zahlten sich aus. Irgendwann kamen die Scouts aus den USA und Europa, um Giannis spielen zu sehen. So viele, dass in der kleinen Halle des Klubs Stühle aufgestellt werden mussten.


Dann ruft die NBA. Im Juni 2013 wählen ihn die Milwaukee Bucks - jahrelang eins der schlechtesten Teams der Liga - an 15. Stelle des Draft aus. Der 18 Jahre alte Grieche zieht in die USA. Ohne Bankkonto, ohne Führerschein, alleine in einer fremden Stadt. Selbst seine Mitspieler kennt er nicht: „Wer ist O.J. Mayo?", fragt der Grieche unbedarft beim ersten Training. Der neue Kollege, ein NBA-Veteran, ist sauer - und der Start in Milwaukee versemmelt.


Die erste Saison ist voller Rückschläge: Antetokounmpo kommt von der Bank und erzielt nur sieben Punkte pro Spiel. In der Verteidigung ist er oft zu spät und zu langsam. Aber das Trainerteam der Bucks gibt dem jungen Griechen Zeit. Für sie ist der noch immer ziemlich dünne Schlaks ein Projekt, das es zu entwickeln gilt.


Antetokounmpo enttäuscht sie nicht. Er trainiert seinen Wurf, baut Muskelmasse auf - und wird jedes Jahr besser, selbst nach dem letztjährigen MVP-Titel. Inzwischen trifft er auch Dreier, seine Bucks führte er mit 53 Siegen und nur 12 Niederlagen an die Spitze der Liga - dann unterbrach Corona die Saison.


Der Junge aus Athen ist angekommen. Und bodenständig geblieben. Als sich viele NBA-Stars über die vermeintlich schlechten Hotelzimmer in der Re-Start-Blase in Florida beschwerten, sagte der 25-jährige: „Unsere Wohnung in Griechenland war kleiner."


Von Steffen Herrmann

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