Die letzten Wintertage in St. Pauli, ein Hinterhof, vielmehr eine Gasse, unter der Unterführung durch, dann die Gittertür links, da klopfen - so hat man es uns geschrieben. Hier öffnet André Luth, Gründer und lange Jahre Chef des supereinflussreichen Labels Yo Mama, in den 90ern eines der Zentren des deutschsprachigen Hip-Hops. Auch DJ Koze hat hier früher Platten veröffentlicht. In Hinterzimmern und Fluren stapeln sie sich. Auf dem Klo bitten Fettes Brot, die hier die Hausherren sind, per handschriftlichem Zettel „auch die Damen" darum, sich zum Pinkeln zu setzen. Es ist das Heimstudio der Brote, nebenan hat Rocko Schamoni ein Atelier, und die Agentur Typeholics, die die Gestaltung nahezu aller Platten der Hamburger HipHop-Szene macht, sitzt schräg gegenüber. Zwischen Dachdeckern, Umzugsunternehmern und Menschen, die hier seit Jahrzehnten wohnen: in der Bernstorstraße 117. Natürlich hängen „Bernstor 117 bleibt"-Schilder in den Fenstern, natürlich gibt es einen Investor, der hier am liebsten radikal umbauen würde, wo die Szene noch funktioniert, wie sie einmal in Hamburg funktioniert hat, als es noch nicht um tanzende Türme ging.
Auch interessant Es klopft erneut, Samy Deluxe steht in der Tür und erzählt wirres Zeug von Schiffen und Fantasie-Instrumenten, was sich als Vorbereitung auf seine „MTV Unplugged"-Show herausstellt. DJ Koze ist mittlerweile auch da. So stehen sie beieinander: drei hochgewachsene Männer, die so vermutlich seit 30 Jahren beieinander stehen, immer wieder mal, und heutzutage nicht mehr reinpassen in das, was hier passiert, obwohl sie noch immer mittendrin sind, wo es passiert. Dass es in unserem Gespräch um das Altwerden gehen wird, darum, einfach nicht mehr mitmachen zu wollen, um ein Lebensgefühl irgendwo zwischen konservativ und klug, lässt sich zunächst nur erahnen.
Musikexpress: Du machst seit Jahrzehnten Musik, die sehr weit vorne ist, aber dein Name hängt immer noch fest in den 90ern!
DJ Koze: Ja, total! Ich teile das Los von Campino, Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni. DJ Koze - das ist einer dieser bescheuerten Namen, die man als 17-Jähriger erfindet, die im Positiven reinknallen: einmal gehört, nie mehr vergessen. Im Negativen muss man die im Alter dann mit Würde tragen und im „Cipriani" in Venedig den Tisch mit diesem Namen reservieren.
Nee, man muss die Marke ja auch füllen. Das war eine Schwierigkeit für mich: dass das kein Spaß-Punk-Quatsch bleibt, sondern der Name mit Inhalt eingefärbt wird.
Humor ist ein Markenkern von dir geblieben, auf deinem letzten Album gab es den Track „Track ID Anyone?", und KNOCK KNOCK endet mit „Drone Me Up, Flashy".
Ich bin sehr humorlos, was meinen Humor angeht. Auf die Dosierung kommt es an! Aber ich bin auch ein gebranntes Kind: Die Majorität ist komplett humorlos in Bezug auf elektronische Musik oder Musik überhaupt. Ist ja auch ein schweres Thema. Manchmal rettet eine Prise Humor vor Pathos. Ich suche immer nach dem Gegengewicht zu großer Schönheit oder gar Pathos - das muss aber nicht Humor sein. Das kann Schmerz, Dreck oder etwas Brüchiges sein, das dem Perfekten gegenübergestellt ist. Humor ist ein schnelles Tool, um das zu erreichen, aber es führt das andere schnell ad absurdum. Die meisten Leute können das dann nicht zusammen denken. Bei mir geht es mehr darum, zu verwirren oder zu irritieren, den Hörer bloß nicht in Sicherheit wiegen zu wollen. So höre ich ja auch Musik. Wenn etwas Unerwartetes mitschwingt, dann ist es für mich: Wow!
Ist das in der elektronischen Musikszene verloren gegangen?
Schon. Leider ist sie sehr formel-orientiert. Vielleicht nehme ich das auch nur aus Produzentensicht so wahr, weil ich die meisten Formeln kenne. Früher war diese Szene ja nur ein paar Privilegierten vorbehalten, die mit teuren Synthesizern rumexperimentierten, heute kann jeder Musik machen, die so klingt wie „andere" Musik.
Ist auch ganz geil, ja. Erst mal. Allerdings wird es so schwerer, das Destillat herauszufiltern. Es war für den Menschen früher angenehmer, weniger konsumieren zu müssen, aus weniger selektieren zu dürfen, mit weniger Happen auszukommen. Heute wissen wir das alles gar nicht mehr zu schätzen, was es alles im Überfluss gibt. Wann hattest du denn im letzten Jahr mal Zeit, dir ein Album wirklich ans Herz wachsen lassen zu können?
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