Vor einem Jahr, am 9. März 2020, starben in Deutschland zum ersten Mal Menschen an Covid-19. Eine 89-jährige Frau aus Essen war unter den ersten Verstorbenen, ein 78-Jähriger aus Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. Corona galt noch als neuartiges Virus - und die Pandemie als Epidemie.
Seither sind in Deutschland rund 73.000 Menschen an Covid-19 gestorben. 73.000 Menschen, die Lücken in Familien hinterlassen haben und nun Töchtern und Söhnen, Enkeln und Partnern, Freunden und Kollegen fehlen. Was vermissen sie an ihnen? Wie erinnern sie sich an sie? ZEIT ONLINE hat in den vergangenen Monaten Leserinnen und Leser, die einen Menschen durch Corona verloren haben, gebeten, von ihren Verlusten zu erzählen. Viele haben sich gemeldet, um den täglichen Zahlen und Statistiken ein Gesicht zu geben. In persönlichen Gesprächen und im schriftlichen Austausch sind ihre Nachrufe entstanden.
Banafsheh über ihren Vater JamalMein Vater hat viel gelacht und geredet, er war ein sehr präsenter Mensch. Seit seinem Tod ist es seltsam still bei uns. Ich vermisse es, in unser Wohnzimmer zu gehen und zu wissen, er sitzt da und erzählt mir was.
Er hat Gedichte geschrieben, auf Farsi. In seiner Bibliothek, einem Zimmer voller Bücher, haben wir nach seinem Tod ein Buch gefunden, in dem alle seine Gedichte standen. Eines der letzten Gedichte handelte vom Tod, fast als hätte er es geplant. In dem Gedicht geht es darum, dass wir nicht zu lange trauern sollen, wenn er stirbt. Dass wir auf ihn trinken sollen.
Mein Vater hat das Leben sehr genossen. Jeden Samstagabend hat er sich eine Essensplatte mit Käse und Gemüse gemacht und dazu ein Glas Whiskey getrunken. Das hat er dann "seinen Feierabend" genannt. Jedes Mal hat er uns davon ein Bild geschickt, von der Platte und dem Whiskey; überhaupt hat er die komischsten Dinge fotografiert und uns per WhatsApp geschickt. "Guck mal, dieser Ast sieht aus wie eine Schlange!" Solche Dinge.
Er war Apotheker, beinahe sein ganzes Leben. Dieses Jahr wollte er in Rente gehen. Er stand also kurz vor einem permanenten Feierabend. Und eigentlich wollte er mit uns allen noch nach Südfrankreich reisen.
Mein Vater war der Mensch, den ich immer anrufen konnte. Er wusste meistens Rat. Als er mit Covid-19 auf der Intensivstation lag, saß ich eines Tages im Auto und dachte mir: Wenn ich jetzt einen Unfall bauen würde - wen würde ich anrufen, wenn nicht ihn?
Maren über ihre Freundin JessicaWenn ich mich an Jessica erinnere, erinnere ich mich als Erstes daran, wie sie gegangen ist. Sie hatte so einen federnden, sportlichen Gang. Als ob sie jede Sekunde loslaufen könnte.
Maren, 46, verlor ihre Freundin Jessica im Dezember 2020. Sie wurde 42 Jahre alt.
Christian über seinen Freund AmadeusWir haben keinen besonderen Anlass gebraucht, um uns zu unterhalten. Mal ging es um das Fußballspiel am Vorabend, mal haben wir geschwiegen. Jetzt ploppen einfach so Fotos von Amadeus auf meinem Handy auf, Bilder aus unserem gemeinsamen Urlaub oder von einem Barhopping. Manchmal nehme ich das Telefon und will ihn anrufen, meinen besten Freund; der Kalender auf meinem Handy erinnert mich an einen gemeinsamen Termin. Was macht man da - wenn dort steht: "Amadeus"? Löscht man die Erinnerung, den Termin, den Telefonkontakt, den Menschen, wenn er gestorben ist? Ich kann das nicht.
Kennengelernt haben wir uns in der Schule, in der achten Klasse. Wir beide waren sehr gesellig, haben große Feste gefeiert und ausgerichtet. Als Jugendliche sind wir zusammen betrunken an der Isar rumgelungert. Als Erwachsene haben wir zusammengearbeitet. Er hat Brautouren geleitet, Führungen auf den Nockherberg gegeben und sich Pläne überlegt für die Zeit nach der Pandemie. Die liegen jetzt auf meinem Schreibtisch. Er war mein Trauzeuge, Amadeus hat mir meine Frau vorgestellt. Er war sozusagen Mitbegründer meiner Familie.
Ama - so haben wir ihn genannt -, hat nie den klassischen Weg eingeschlagen. Keine Hochzeit, keine Ehefrau, keine Kinder. Er war Individualist, hat in einer Einzimmerwohnung gelebt, war anspruchslos, er hat immer selbstständig gearbeitet, hatte nie einen Führerschein. Seine Freunde waren für ihn seine Familie. Und für mich war Amadeus ein Teil meiner. Es ist irre, wie ein Mensch so eine riesige Lücke hinterlassen kann.
An Nikolaus ist Ama immer zu uns gekommen, so auch am 6. Dezember 2020. Verkleidet, mit seiner barocken Figur - er wog schon so 140 Kilo -, da hat das gut gepasst. "Ich werde 100", hat er immer gesagt und ich habe erwidert, dass er dafür zu dick sei. Er hat dann gelacht. "Pass nur auf, ich werde 100!"
Ich wünschte, er hätte Recht gehabt. Vier Tage nach Nikolaus wurde Amadeus positiv auf Corona getestet. Im Januar ist er daran gestorben.
Christian, 58, verlor seinen Freund Amadeus im Januar 2021. Er wurde 59 Jahre alt.
Marcus über seine Großmutter MariaMorgens hat meine Oma mir oft Frühstück gemacht, Toast, dazu haben wir Johannisbeeren gegessen. Und als sie noch als Postbotin gearbeitet hat, hat sie mich - wenn sie gerade dort auf Tour war - nach der Schule mit dem gelben Postauto abgeholt. Sie hat mich mit aufgezogen, damit Mama, die mich sehr jung bekommen hat, eine Ausbildung machen konnte. Die ersten 24 Jahre meines Lebens haben wir also zusammengewohnt, in einem Haus mit großem Garten. Den hat meine Oma geliebt. Den ganzen Sommer hat sie Beeren und Erbsen geerntet. Im Winter war meine Oma nie gut drauf. Es war so, als ob sie ohne ihre Gartenarbeit nicht glücklich sein konnte.
Sie war unglaublich neugierig, man konnte nichts vor ihr verheimlichen. Während ich im Unterricht war, hat sie manchmal in meinem Zimmer gestöbert. Sie hat es Aufräumen genannt. Einmal hat sie entdeckt, dass Münzen aus meinem Euro-Sammelalbum gefehlt haben, mit denen ich mir heimlich Zigaretten gekauft hatte. Oma ist mir auf die Schliche gekommen und hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich nicht mehr rauche. Dafür hat sie meinen Führerschein bezahlt.
In dem Seniorenheim, in dem sie seit ihrem Schlaganfall gelebt hat, infizierte sie sich im vergangenen März mit Corona und bekam eine Lungenentzündung. Davon hat sie sich nicht richtig erholt, im Sommer wurde sie palliativ behandelt. Meine Mutter erzählte mir, dass sie nur noch mit einem Wattestäbchen ein paar Tröpfchen Flüssigkeit aufnehmen konnte.
Bei meinem Besuch Anfang Juni hat sie noch alle Kraft zusammengenommen und ein ganzes Glas Cola getrunken. Als ich schließlich ein paar Wochen später im Schutzanzug mit Maske auf Station an Omas Bett stand, war sie dafür schon zu schwach. Meine Mutter und ich haben ihre Lieblingsmusik angemacht, André Rieu. Als ich zurückgefahren bin - ich war noch nicht zu Hause angekommen -, ist sie gestorben.
Marcus, 32, verlor seine Großmutter Maria im Juni 2020. Sie wurde 77 Jahre alt.
Birgit über ihre Mutter DorisEs war die Mutter. Was braucht es da Worte mehr.
Constanze über ihre Großmutter AnnelieseIch glaube, viele Menschen haben so süße Omas, die einen die ganze Zeit umkuscheln. So war meine Oma nie. Sie war eine strenge, aber herzliche Frau, bei der Zucht und Ordnung herrschten. Als wir klein und bei ihr zum Essen waren, hatte sie immer einen Kochlöffel auf dem Tisch liegen, damit wir uns benehmen.
Ihre Zuneigung hat sie mit kleinen Aufmerksamkeiten ausgedrückt. Wenn ich früher zu Besuch kam, hat sie Kartoffeln mit Spiegelei und irgendeinem Fleisch gekocht. Aber als ich vor zwei Jahren vegan geworden bin, ist sie extra in den Supermarkt und hat vegane Schnitzel gekauft.
Vor allem als Oberhaupt der Familie wird sie fehlen. Vor mehr als 30 Jahren hat sie mit meinem Opa die Tradition des Familiencampings initiiert. Seitdem fuhr die ganze Familie - drei Kinder, sechs Enkelkinder und sechs Urenkel - über Pfingsten fünf Tage campen. Und jedes Mal saß die Oma dann, die sonst immer adrett gekleidet war, in ihrem Adidas-Trainingsanzug auf ihren drei Kissen auf dem Campingstuhl im Westerwald. Am ersten Abend hat sie immer ihre sagenumwobene Buttermilchbohnensuppe gekocht. Und nach dem Abendessen haben wir manchmal die kleinen Schnapsfläschchen getrunken, die sie gesammelt hat. Die hatten so lustige Formen wie die eines Stiefels oder eines Schwans. Wenn ich heute solche Fläschchen sehe, denke ich an sie.
Timo über seine Großmutter Paula"'S Buale" hat sie mich immer genannt. Das ging noch so, als wir alle erwachsen waren und ich in die Stadt, nach Stuttgart, gezogen war.
Wenn ich wieder mal grün im Gesicht geworden bin, weil sie Rindsaugensuppe gekocht hat und ich mir eigentlich Dampfnudeln gewünscht hatte, hat sie gesagt: "Dann koch' ma dem Buale, was des Buale gern hätt'", und hat Dampfnudeln gekocht.
Andra über ihren Mann NazmiZu spät hatte mich das Telefon laut schreiend ins Krankenhaus gerufen. Natürlich nachts. Viel zu spät. Es wäre meine letzte Chance gewesen, Nazmis Brustkorb mit Leben gefüllt zu sehen. Und dann - nachdem ich den mit Flutlicht beleuchteten Vorraum der Intensivstation betreten hatte - war es, als hätte ich mich geklont. Nur mein Double hielt die Fassung. Der andere Teil versuchte, vorauszueilen, um ihn, meinen Mann, meinen canım, in den schattigen Fluren des Hightech-Krankenhauslabyrinths zu finden und dort ein letztes Mal zu küssen. Heimlich und leise. Mit und trotz Corona. Ich hoffe, mein Herz hat seine Lippen berührt. Ich werde es nicht mehr dürfen. Nie mehr.
Eine Ewigkeit musste ich warten und den wenig emotionalen Worten des vor dem Virus resignierten Arztes zuhören. Hinter einer Scheibe, schwer wie Panzerglas, erfasste ich schließlich Nazmis Kopf. Bis unters Kinn hatte man ihn zugedeckt. Zart, verletzt und klein - Nazmi liegend mit geschlossenen, toten Augen auf der einen Seite der Glaswand. Und ich: schwer, brennend und tränenüberströmt auf der anderen Seite der Glaswand.
Er konnte nicht einfach so sterben. Nazmi hatte um jedes Menschenleben gekämpft; über ein halbes Jahrhundert war er begnadeter Chirurg. Ein mutiger Ungehorsamer. "Mein Vertrag läuft, bis ich 120 bin", behauptete er immer. Er wollte noch viel leben, noch lange. Er hatte begriffen, dass nur das Sein uns bestimmt - und nicht das, was wir besitzen. Nazmi forderte viel und bot dafür ein prall gefülltes Leben. Dreißig lange Jahre liefen wir Hand in Hand durch die Zeit. Er fehlt so sehr! Mir und all jenen, die ihn im Herzen vermissen.
Eva über ihren Großvater WernerOpa war immer topinformiert und bis zum Schluss sehr interessiert am Leben von uns Enkelinnen. Als ich als Au-pair in die USA ging, hat er sich extra einen Computer angeschafft und Internet eingerichtet, damit wir uns E-Mails schreiben konnten. Er saß dann im Dachboden und las Artikel über das, was wir erzählten, oder er schrieb uns. Als meine Schwester beruflich viel im Ausland war, druckte er die Wikipedia-Seiten von Bangladesch oder Jordanien aus, um mitreden zu können. "Das ist enorm!", sagte er immer, wenn ihn etwas begeistert oder erstaunt hat.
Bettina über ihren Vater FranzEs ist schwer, einen schon dementen Menschen zu verlieren, egal an welche Krankheit. Erinnert er sich an das Ende? Oder an das, was man davor geteilt hat? Spontan erinnere ich mich vor allem an das Lächeln meines Vaters, dieses vertrauensvolle Lächeln, das mir gesagt hat: Das wird schon alles gut, du machst schon das Richtige mit mir.
Mein Vater war begeisterter Jazzmusiker. Er konnte einfach drauflosspielen, ohne Noten, man musste ihm einfach nur eine Melodie vorsummen und er spielte. Wenn ich nach Hause kam, habe ich das Klavier meistens schon am Anfang der Straße gehört. Bis zum letzten Tag hat er gespielt, auch im Pflegeheim, und auch noch, als er an Corona erkrankt war. Wenn ich jetzt nach Hause zu meiner Mutter komme, steht da dieses Klavier und da spielt niemand mehr.
Wir hatten eine typische Vater-Tochter-Beziehung. Im Gegensatz zu meinen drei Geschwistern, die alle etwas "Gescheites" gelernt haben, bin ich auch in die musisch-künstlerische Richtung gegangen. Das hat uns sehr verbunden. Er kam oft zu meinen Vorstellungen.
In seiner letzten Zeit, in der ich die Pflege übernommen habe, haben wir ein noch innigeres Verhältnis aufgebaut. Irgendwann wusste er meinen Namen nicht mehr und ist dazu übergegangen, mich "die schwarze Frau" zu nennen, wegen meiner dunklen Haare. Der schnelle Kopf, der da mal war, kam auch in der Demenz immer wieder durch.
In den letzten Jahren trug mein Vater einen gepflegten, grau-weißen Vollbart. Wenn er mit irgendwas nicht einverstanden war, strich er immer mit seiner Hand über den Bart. Diese Geste machen wir oft nach, meine Mutter muss dann immer lachen.
Bettina, 53, verlor ihren Vater Franz im April 2020. Er wurde 86 Jahre alt.
Hanna über ihre "Uroma" HelgaAn Weihnachten war die Lübecker Schokolade nicht mehr da. "Die Uroma" wusste immer genau, wer welche Schokoladensorte am liebsten hatte. Da wurde mir noch mal richtig bewusst, dass sie tot ist.
"Die Uroma" ist eigentlich die Oma meines Mannes, wir nennen sie aber wie unsere Kinder "Uroma". Sie war ein Kind der Kriegsgeneration und legte sehr viel Wert auf Ordnung und Sauberkeit. Die Fenster mussten schlierenfrei geschrubbt, die Bilder- und Türrahmen auch oben gewischt werden. Wenn die Kinder früher über ihren Teppich liefen, mussten sie die Fransen sofort wieder glatt streichen. Im Alter wurde dieser Charakterzug der Uroma noch spürbarer, weil sie den Haushalt nicht mehr allein führen konnte. Bei Besuchen hatte sie oft Aufträge für uns. Manchmal musste meine Schwiegermutter vier Stunden lang putzen. Beim Abschied sagte Uroma dann: "Jetzt haben wir kaum geredet."
Als uns die Nachricht erreicht hat, dass sie sich im Pflegeheim mit Corona infiziert hat, saß meine ganze Familie in Quarantäne. Mein Mann hatte auch Corona. Ich sagte, dass Uroma vielleicht daran sterben wird. Unser Sohn fragte plötzlich: "Sterben wir jetzt auch?"
Der Tod von Uroma ist nicht trauriger als der Tod einer anderen Oma. "An Corona" klingt so gewichtig. Dabei ist es nichts Besonderes, einen lieben Menschen an Corona verloren zu haben. Das Besondere ist, einen lieben Menschen während Corona verloren zu haben. Denn das wirklich Traurige war, dass wir uns nicht mehr verabschieden konnten.
Jürgen über seine Mutter HedwigMeine Mutter hat wie alle alten Menschen gerne von früher erzählt, das fehlt mir. Und natürlich fehlt mir auch das Ritual, mindestens zweimal die Woche zum Telefon zu greifen, um ihr die neuesten Begebenheiten aus dem Alltag der Enkel zu berichten. Oder regelmäßig die vielen Handyfotos, die das Aufwachsen der Kinder illustrieren, zu sortieren, auszudrucken und in ein klassisches Fotoalbum für Oma zu sortieren.
Lisa über ihren Großvater KasparEr war ein alter Mensch, 88 Jahre, da rechnet man jederzeit damit, dass es passieren kann. Auch über Nacht. Aber in seinem Fall waren die Umstände schwierig: Ihn nicht besuchen zu können und zu wissen, es geht ihm schlecht - und es ging ihm Stück für Stück schlechter -, war grausam.
Er hatte eine positive Art, die sich auf einen übertrug. Und die hatte er, obwohl sein Leben hart gewesen ist. Mein Opa wurde in Serbien, in Karavukovo, geboren - meine Familienmitglieder waren Donauschwaben, also Deutsche, die damals nach Jugoslawien ausgewandert sind. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war er sechs; sein Vater und sein Bruder zogen für die Deutschen in den Krieg. Von seinem Bruder hat er danach nie wieder etwas gehört. Von seinem Vater sehr, sehr lange nicht. Mit vierzehn kam mein Opa mit seiner Mutter in ein jugoslawisches Internierungslager. Dort musste er arbeiten, es gab wenig zu essen, die Lage war extrem. Oft hat er erzählt, wie er nachts ausgebrochen ist, um betteln zu gehen und irgendwo noch ein Stück Brot aufzutreiben.
Trotzdem war er später immer gut drauf. Wenn man mit ihm in ein Café gegangen ist, kannten ihn alle, von der Bedienung bis zu den Gästen. Und in dem Pflegeheim, in dem er die letzten Jahre gelebt hat, hat mein Opa das Bingo und einen Stammtisch organisiert. Da haben sie dann Wein getrunken. Er hatte keine Hemmschwelle, mit den Leuten zu reden, er hat mir immer alles gezeigt. Er war mit mir Angeln und hat mir auf Mallorca Schwimmen beigebracht. Opa war der Held meiner Kindheit. Wenn ich mal alt bin, will ich die Dinge so sehen wie er.
Lisa, 30, verlor ihren Großvater Kaspar im Dezember 2020. Er wurde 88 Jahre alt.
Gifty über ihre Freundin LynnLynns Lachen fehlt, ihr Lautsein, ihr Witz. Sie hat uns alle gepusht, dass wir das Beste aus uns machen. Wenn wir unterwegs waren, hatte sie ihre Digicam dabei und hat gesagt: "Los Leute, tanzt für mich, schreibt einen Song für mich!" Und wir haben's halt jedes Mal irgendwie gemacht. Ich bin für immer dankbar, dass sie mich gesehen hat, dass sie mich geliebt hat. Ich wollte immer Tänzerin werden, aber ich bin kein 08/15-Topmodel, sondern curvy, I got body, und ich habe immer sehr an mir gezweifelt. Aber Lynn hat mir einfach dieses Selbstbewusstsein gegeben und gesagt: "Maus, du bist wunderschön, du wirst schon sehen, wir werden Persönlichkeiten, wir werden Stars!"
Ich kenne wenige Menschen, die so krass empathisch sind wie sie. Wenn Lynn gemerkt hat, dass es mir nicht gut geht, hat sie oft einen kleinen Witz gemacht. Oder sie hat so was gesagt wie: "Maus, an einem Tag laufen die Dinge gut, und am nächsten laufen sie scheiße. Aber am Ende hält sich das die Balance wie Yin und Yang. "
Klaus über seine Bridge-Schülerin AndreaSeit vergangenem Dezember hatte ich Andrea digitale Privatstunden im Bridge-Spielen gegeben. Wir spielten fast jeden Tag zusammen. Sie erzählte mir von ihrer Krebserkrankung, von ihren Enkelkindern, ihrem Alltag, der Isolation. Und dann bekam sie Fieber. Ihre Haushälterin hatte wohl Corona ins Haus gebracht. Auf meine WhatsApp-Nachrichten reagierte sie nicht mehr. Ich schrieb: "Moin ... na, wie ist die Lage?", "Moin ... kommst du klar?", "Moin ... Sag doch mal piep", "Wird's langsam besser? Ich wünsch was fürs neue Jahr ..."
Anfang Januar bekam ich endlich Antwort. "Ich lebe noch." Mehr nicht. Ich antwortete: "Da beginnt 2021 doch gut." Ein paar Tage später, am 6. Januar, gratulierte ich ihr zum Geburtstag, dafür schicke ich immer den gleichen Cartoon - einen Dinosaurier mit Partyhütchen, darüber die Sprechblase: "Herzlichen Glückwunsch und danke für die Einladung. Leider können wir nicht kommen. Weil wir ausgestorben sind. Alle." Andrea teilte meinen flapsigen Humor. Doch die nächste Nachricht kam nicht von Andrea, sondern von ihrer Tochter: "Hallo Klaus, Mama liegt auf Intensiv und wird beamtet. Sieht nicht gut aus ..."
Am 9. Januar ist Andrea von uns gegangen. Ihr Tod hat mich schwer getroffen, obwohl ich sie erst in den letzten Wochen, ihren letzten, kennengelernt habe.
Samuel über seinen Großvater FelixEigentlich hatte mein Opa nicht verbrannt werden wollen. Aber bei einer Erdbestattung hätten Sargträger anwesend sein müssen. Und dann hätten wir Enkel nicht kommen können, wegen der Corona-Beschränkungen.
Am schmerzhaftesten finde ich, dass meine Oma nicht seine Hand halten und ihm im letzten Moment beistehen konnte.
Matthias über Rosa, die in dem Seniorenheim lebte, in dem er als Pfleger arbeitetFür unsere Bewohner sind wir größtenteils Familie, durch Corona wurden wir noch mehr zu ihr. Ich betreue im Altersheim zwanzig Senioren, zwei habe ich an Corona verloren, eine von ihnen war Frau Z. Sie war eine ziemlich hochbetagte Dame und kam vor zwei Jahren zu uns ins Heim. Wenn ich ihr draußen mit ihrem Rollator begegnet bin, hat sie mich immer angelacht. Und wenn ich sie morgens geweckt habe, hat sie so was gesagt wie: "Oh Gott, ich lebe ja noch, jetzt muss ich wohl doch aufstehen. Na, machen wir das Beste draus."
Insgesamt sind zwanzig Heimbewohner an Covid-19 gestorben. Wer das Virus ins Heim getragen hat - trotz der Schutzmaßnahmen, die wir getroffen hatten -, konnten wir nicht herausfinden und einen Schuldigen zu suchen, ergibt keinen Sinn. Ich habe mich auch mit Corona infiziert und lange darüber nachgedacht, wen ich unwissentlich angesteckt haben könnte. Dieser Gedanke hat mich zermürbt. Tod gehört für mich als Altenpfleger zum Arbeitsalltag, doch mit Corona ist das Sterben ein anderes. Die Menschen leiden anders. Sie sind isoliert, sie vereinsamen, sie sehnen sich nach ihrer Familie und haben keine Chance, ihre Angehörigen noch einmal zu sehen.
Frau Z. ist innerhalb von 24 Stunden gestorben, es ging rapide schnell. Ich habe mich nach meiner Schicht von ihr verabschiedet und als ich am nächsten Morgen wieder auf unsere Isolierstation mit den infizierten Bewohnern kam, war sie nicht mehr am Leben.
Matthias, 43, betreute Rosa als Pfleger im Seniorenheim. Sie starb im April 2020 im Alter von 96 Jahren.
Johannes über seinen Vater MarkusSein Tod traf mich sehr. Obwohl die letzten Jahre nicht so schön waren und meine Mutter längst meine wichtigere Bezugsperson war, war es eine existenzielle Erfahrung, plötzlich nur noch die Mutter zu haben.
Johannes, 29, verlor seinen Vater Markus im April 2020. Er wurde 63 Jahre alt.
Annetraut über ihren Freund OlafOlaf kam vor etwas mehr als zwanzig Jahren in unser Leben. Wir sind ein Freundeskreis von Eltern, deren Kinder gemeinsam zur Schule gegangen sind. Wir treffen uns für Wanderungen oder fahren gemeinsam nach Kassel auf die documenta. Jemand aus unserer Gruppe brachte dann also diesen neuen Mann mit. Da haben wir natürlich alle kritisch geguckt. Aber Olaf passte mit seiner offenen, bodenständigen Art sofort in unsere Gruppe. Er war Sport- und Geschichtslehrer, Segler, Tennisspieler, Schwimmer, Basketballer, ein sehr sportlicher Mann mit viel Humor. Nach der Nachricht seiner Erkrankung habe ich gedacht: Der schafft es auf jeden Fall.
Jetzt, wo er nicht mehr da ist, scheint es, als ob unsere Gruppe eine Wunde hat. Wir werden nach der Pandemie erst einmal schauen müssen, wie wir uns wieder zusammenfinden. Wir, die sieben Verbliebenen, wollen natürlich weiterhin miteinander zu tun haben. Aber es wird deutlich sein, dass da jemand fehlt. Olaf war ein unfassbar kluger, einfühlsamer Zuhörer. Das, was man ihm erzählt hat, hat er an sich herangelassen - und dann aus seinem Herzen geantwortet. Auch als Vater und Großvater war er unfassbar hingebungsvoll: Jederzeit brach er nach Brüssel auf, um seine Tochter mit der Enkelin zu entlasten.
Einmal im Jahr kommt unser Freundeskreis zusammen, um Weihnachtslieder zu singen. Erst deutsche Lieder und am Ende dann immer englische Gassenhauer. Olaf ist immer dabei gewesen - und Olaf konnte wirklich nicht gut singen. Aber er hat sich brav mit seinem Notenblatt hingestellt und irgendwas gebrummelt. Darüber konnten wir viele Witze machen. Olaf hatte eine gesunde Distanz zu sich selbst: Wenn er etwas nicht konnte, konnte er es halt nicht. Aber, das muss ich fairerweise erwähnen: Er konnte herrlich Twist tanzen.
Weil wir auf Olafs Beerdigung nicht singen durften, möchten wir das unbedingt nachholen. Wir wollen zu seinem Grab gehen und ihm etwas vorsingen. Vielleicht An Irish Blessing oder etwas von Mendelssohn.
Annetraut, 68, verlor ihren Freund Olaf im September 2020. Er wurde 72 Jahre alt.
Jannis über seinen Großvater UlrichEs gibt diese Geschichte, wie mein Opa an der tschechischen Grenze in einen Eisladen gegangen ist und mit dem Wirt gewettet hat, dass er es schafft, die Auslage dreimal durchzuprobieren. Mein Opa hat Unmengen Eis gegessen! Er hat es geschafft, klar, und dafür das Eis vom Wirt gesponsert gekriegt.
Jannis, 26, verlor seinen Großvater Ulrich im Dezember 2020. Er wurde 95 Jahre alt.
Gunther über seine Mutter PaulaDas Letzte, was ich meiner Mutter vorgelesen habe, war Hape Kerkelings Ich bin dann mal weg. Ich wusste zwar nie, was sie noch versteht, weil sie kaum reagiert hat, aber ich hatte das Gefühl, dass sie beim Vorlesen ruhig geworden ist. Ich habe ihr viel vorgelesen, anfangs Geschichten aus dem Krieg, da wurde sie oft traurig - dann habe ich es mit neutraleren Geschichten probiert und das mochte sie. Vielleicht hat sie es auch einfach genossen, dass jemand bei ihr auf der Bettkante saß.
Meine Mutter hatte 2014 einen schweren Schlaganfall und war seitdem halbseitig gelähmt. In den letzten drei Jahren konnte sie auch nicht mehr sprechen. Es war schwierig, auszumachen, wie es ihr geht. Ein Gespräch, bei dem man keine Antwort bekommt, ist eigentlich kein Gespräch. Es war, als würde sie im Wachkoma liegen. Anfangs hat sie mir zum Abschied noch gewunken. Zuletzt lag sie nur noch da. Ich bin mir sicher, dass sie mich bis zum Schluss erkannt hat.
Gunther, 49, verlor seine Mutter Paula im April 2020. Sie wurde 87 Jahre alt.
Cristina über ihren Onkel GerhardMit Onkel Gerhard sprach man auch mal über wichtigere Themen als Arbeit, Corona und den Alltag; es ging um Abenteuer, Pläne, Fantasie. Er erzählte von dem Flohmarkt, den er für Flüchtlinge organisierte, von Opernaufführungen, Istanbul, von allem, was er noch machen will.
Er hatte Lebensenergie und er war mutig. Nach seiner Rente zog er einfach nach Istanbul, um dort sein restliches Leben zu verbringen. Obwohl er weder Türkisch noch Englisch sprach. Er hat dann regelmäßig internationale Rundmails verschickt, an Freunde, Familie und alle, die er in der Türkei so kennenlernte. Die gingen an etwa 30 Leute. Wir haben manchmal tagelang gerätselt, was er meinte, weil sein Englisch so schlimm war. Einmal hat er sich zum Beispiel den Zeh gebrochen und geschrieben: " My footfinger hurt."
Als er dann wegen der politischen Situation in der Türkei doch zurückgekehrt war, wurde bei ihm Knochenkrebs diagnostiziert. Er hat sehr gut aufgepasst wegen seiner Krankheit, trotzdem wurde er im Dezember positiv auf Corona getestet. Kurz vor Weihnachten ist er gestorben und wir mussten zum ersten Mal den Panettone wegschmeißen, weil keiner in der Familie zum Frühstück Süßes isst außer Onkel Gerhard. Da hat er gefehlt. Alles andere fehlt auch: sein Optimismus, sein Kämpfergeist. Seine Pläne. Er hatte doch so viele.
Cristina, 39, verlor ihren Onkel Gerhard im Dezember 2020. Er wurde 71 Jahre alt.
Brigitte über ihre Mutter MariaJeden Sonntag um halb elf haben wir telefoniert. Wenn ich mal nicht angerufen habe, hat spätestens um 10:35 Uhr das Telefon geklingelt. Jeden Sonntag um halb elf wird mir jetzt bewusst, wie sehr sie fehlt.
Linda über ihren Vater AbdulIch kenne niemanden, der so leidenschaftlich und so gut gekocht hat wie mein Baba. Wenn ich nur den Appetit auf ein Gericht äußerte, ging er los, kaufte alle notwendigen Zutaten und kochte es für mich. Noch heute rieche ich die arabischen Gewürze, die durch die ganze Wohnung zogen. Für mich: der Duft von Heimat, von Liebe. Aber vor allem der von Baba.
Peter über seine Mutter WelitschkaMeine Mutter hat mich und meine beiden Geschwister allein großgezogen. Sie hat viel gearbeitet, um uns alles zu ermöglichen. Hat in Kantinen ausgeholfen und dort mitgenommen, was übrig blieb. Und obwohl wir nicht viel Geld hatten, hat sie mir einen Computer, den C64, gekauft. Den Führerschein hat sie uns Kindern auch bezahlt. Selbst hat sie sich nichts gegönnt. Sie hat das alte Brot gegessen. Das frische hat sie uns gegeben.
Als meine Mutter in Rente war, ist sie wieder nach Tschechien gezogen, weil das Leben dort günstiger ist. Sie hat in einem kleinen Haus mit Hühnern gewohnt. Meine Schwester und ich waren oft mit unseren Kindern da. Besonders meine jüngste Tochter hat es bei ihrer Oma geliebt, sie hat mit ihr immer die Hühner gefüttert.
Dann haben wir uns gestritten. Lange Geschichte, ich habe den Kontakt abgebrochen. Als wir doch wieder telefoniert haben, habe ich ihr die kalte Schulter gezeigt - so ging das drei Jahre, bis ich mich wieder versöhnen wollte. Ich hatte letztes Jahr einen Urlaub in Tschechien mit meinen Kindern geplant, aber dann waren die Grenzen zu. Als sie wieder geöffnet wurden, steckte sich meine Mutter mit Corona an.
Meine Schwester brachte sie zurück nach Deutschland. Sie kam ins Krankenhaus, Besucher durften nicht kommen. Meine Schwester hat mir erzählt, dass meine Nichte ihr noch ins Ohr geflüstert hat, dass Oma im Himmel nur frisches Brot essen soll. Ich vermisse sie schrecklich.
Heiko über seine Mutter ErikaMeine Mutter war nicht die Emotionalste. Aber man muss eben auch wissen, woher sie kam: in Dresden geboren, 1940. Kurz nach ihrem fünften Geburtstag war der Luftangriff auf Dresden. Das Haus, in dem sie mit ihrer Familie wohnte, wurde ausgebombt. Sie muss derart furchtbare Erinnerungen gehabt haben, dass sie im Laufe ihres Lebens bestimmte Dinge nicht mehr an sich herangelassen hat. Oder rede ich mir das schön?
Ich hätte gern mehr Nähe von ihr gehabt. In der Psychologie heißt es doch immer: Was ist Ihre erste Kindheitserinnerung? Und meine ist, wie ich in der Kinderkrippe stand, meine Mutter gegangen ist und ich wie ein Schlosshund geheult habe. Ich bin im Osten aufgewachsen, meine Eltern haben immer gearbeitet, da war es üblich, dass man seine Kinder früh in die Krippe gegeben hat. Das soll auch nicht undankbar klingen, ich habe nur eben diese Erinnerung, die ja mit Trennungsschmerz zu tun hat und mir zeigt: Mir hat da wohl etwas gefehlt.
Meine Eltern waren arm, beide kamen aus Arbeiterfamilien. Sie wollten sich einen gewissen Wohlstand erarbeiten, auch in der DDR. Meine Mutter hatte eine ziemliche Sehschwäche - ich weiß nicht, minus 15 oder was, ich kenne sie nur mit dicken Brillengläsern -, aber das hat sie vom Arbeiten nicht abgehalten. Sie war strebsam und hat alles Neue ausprobiert. Als es zum Beispiel Mitte der Achtziger losging mit Computern, war meine Mutter eine der ersten in ihrer Firma, die an so einem Gerät saß. Da war sie knapp fünfzig! Und wollte dazulernen. Das imponiert mir noch heute. Sie ist unter widrigsten Umständen aufgewachsen und hat sich trotzdem vieles erarbeitet, damit mein Bruder und ich es gut haben.
2018 hatte meine Mutter mehrere OPs und musste oft ins Krankenhaus, auch in eine Reha-Klinik in Dresden. Und im Sommer, als sie gerade wieder dort war, wurde in Dresden nahe einer Tankstelle eine Weltkriegsbombe entdeckt. Das war 500 Meter von ihrer Reha-Klinik entfernt. Die Klinik musste evakuiert werden. Ich bin mir sicher, dass damals etwas mit meiner Mutter passiert ist. Dass da irgendetwas wieder hochkam. So nah am Wasser gebaut wie nach diesem Vorfall habe ich sie zuvor jedenfalls nie erlebt.
Catharina über ihre Großmutter EmmiMeine Oma war wie eine zweite Mutter. Seit ich denken kann, haben wir jeden Tag telefoniert, und an jedem freien Tag habe ich sie im Pflegeheim besucht. Wir hatten unsere kleinen Geheimnisse, die der Rest der Familie nicht kannte. Wenn sie wieder was angestellt hatte, wusste ich als Einzige Bescheid. Einmal hat sie sich zum Beispiel ausgesperrt, als sie spazieren war. Da haben wir so getan, als sei sie bei meinem Großcousin, damit meine Mutter sich keine Sorgen macht.
Meine Oma hatte einen sehr speziellen, sarkastischen Humor. Als kurz vor der Pandemie im Pflegeheim Fasching gefeiert wurde, meinte sie grimmig zu mir: "Jetzt muss ich mich noch ein letztes Mal behängen lassen!" Sie hat Fasching gehasst. Und dann ist sie doch mit einer Stola und einem Cowboyhut am Rollator durchs Heim gelaufen. "Jetzt hau ich mit meinen neunzig Jahren noch mal richtig auf den Putz!"
Im Pflegeheim hat sie sogar noch eine beste Freundin gefunden. Die war auch schon über achtzig. Die zwei sind miteinander richtig aufgetaut, haben eine Spielgruppe gegründet und sind zusammen spazieren gegangen. "Wir hauen jetzt mal ab", haben sie gesagt, bevor sie sich mit ihren Rollatoren in den Wald aufgemacht haben. Als meine Oma sich mit Corona infiziert hatte, ist ihre Freundin sogar heimlich zu ihr ins Zimmer geschlichen, um sich zu verabschieden. Obwohl sie eine Vorerkrankung hat. "Ich wollte einfach noch mal zu meiner Emmi", hat sie später zu mir gesagt.
Drei Tage vor ihrem 91. Geburtstag ist meine Oma dann gestorben. Sie hat immer betont, dass sie nicht 91 werden möchte. "Ich will ja eh sterben", hat sie trotzig gesagt, seit sie achtzig war. "Der liebe Gott hat mich wohl vergessen. Ich hätte mal was anstellen sollen, ich war einfach zu lieb." Wir konnten über das Thema sehr offen sprechen. "Kannst du da nicht was machen?", hat sie mich oft gefragt. "Ich bring dich doch nicht um, Oma!", habe ich dann gesagt. Ihr Humor hat mir auch geholfen, ihren Tod zu verarbeiten.
Mit fast allen Leserinnen und Lesern, die unserem Aufruf gefolgt sind und die hier von ihrem Verlust berichten, hat ZEIT ONLINE persönlich gesprochen. Nur einer bat um schriftlichen Kontakt, weil er seine Erinnerung in einem Gespräch "ungern auffrischen" wollte. Alle vollständigen Namen sind der Redaktion bekannt.
Nachrufe
Trauern muss man nicht allein. Wenn Sie selbst einen geliebten Menschen verloren haben, finden Sie zum Beispiel Unterstützung und Rat unter www.telefonseelsorge.de oder bei der telefonischen Notfallseelsorge unter 0800-1110111 oder 0800-1110222. Speziell für Kinder und Jugendliche ist die Nummer 0800-1110333 eingerichtet. Unter der Telefonhilfe für Trauernde können Anrufer mit ausgebildeten Trauerbegleitern über ihre persönliche Situation sprechen: 0700-70400400.
Dieser Artikel stammt aus unserem Ressort X. Alle Texte und Schwerpunkte des Ressorts finden Sie hier.
Texte: Philip Faigle, Marlene Knobloch, Bartholomäus von Laffert, Annabelle Seubert, Ann-Kristin Tlusty, Vanessa Vu, Stefanie Witterauf Redigatur: Annabelle Seubert Illustration: Annick Ehmann Visualisierung: Julius Tröger Community: Julia Meyer